Inklusion

Paul studiert Sport – mit Behinderung

22.06.2022 – Leichtathletik, Schwimmen, Turnen – in diesen und anderen Disziplinen müssen Bewerber fit sein, um einen Platz an der Deutschen Sporthochschule Köln zu ergattern. Auch Paul hat das geschafft. Er ist 21 und sitzt im Rollstuhl.
Kollage: Links ist ein Porträt von Thomas Abel zu sehen, rechts Paul beim Basketballspielen. Im unteren Bilddrittel ist die Sporthochschule Köln zu erkennen.
Paul (r.) und Thomas Abel (l.) sind sich einig: Das Miteinander an der Sporthochschule Köln sei nett. Paul ist Sportstudent mit Behinderung, Abel Rektoratsbeauftragter für Studierende mit Behinderung. © Privat/Dshskoeln/Wikimedia

Die jährlich stattfindende Eignungsprüfung der Deutschen Sporthochschule Köln ist berüchtigt: Die Durchfallquote liegt bei fast 50 Prozent. Die Auswahltage finden zweimal jährlich statt, zum letzten kamen 873 Teilnehmer, 453 fielen durch.

Auch Paul musste sich in der Prüfung bewähren. Er kam mit einem sogenannten „offenen Rücken“ auf die Welt, Spina bifida lautet der medizinische Fachbegriff. Bei seiner Geburt war die Wirbelsäule nicht komplett geschlossen, sodass es zu einer Verletzung des Rückenmarks kam. „Meine Beeinträchtigung lässt sich mit einer inkompletten Querschnittlähmung vergleichen. Ich kann meine Füße nicht spüren und habe nicht so viel Kraft in den Beinen“, erzählt Paul. Er kann deshalb nur kurze Strecken gehen und nicht lange stehen. Größtenteils ist er im Alltag und im Sport auf den Rollstuhl angewiesen.

Defizit? Weitermachen!

Am Tag der Eignungstests müssen die Teilnehmer sich in 20 verschiedenen Einzelprüfungen beweisen: Von Schwimmen über Leichtathletik und Ballsportarten ist alles dabei. Aber wie lassen sich Menschen mit und ohne körperliche Behinderung in sportlichen Disziplinen vergleichen?

„Grundsätzlich läuft der Tag für alle Bewerber und Bewerberinnen sehr ähnlich ab“, sagt Thomas Abel. Er ist Professor am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Sporthochschule und außerdem Rektoratsbeauftragter für Studierende mit Behinderung. Es gebe vor allem einen Unterschied, erklärt er: Prüfungsteilnehmer dürfen nur eine bestimmte Anzahl von Defiziten in den Einzelprüfungen aufweisen. Wenn sie in zwei oder drei Sportarten die Anforderungen nicht erfüllen, fallen sie durch und müssen die Eignungsprüfung abbrechen.

„Teilnehmer mit Behinderung machen trotz Defiziten weiter und am Ende wird von uns ein Gutachten erstellt“, so Abel. Dann werde bewertet, ob die nicht erfüllte Leistung auf die Behinderung zurückzuführen oder aber schlechter Vorbereitung oder einer mangelnden Eignung geschuldet sei.

Aufschlag von oben? Fehler!

Thomas Abel hat ein Beispiel: Ein Mann, der kleinwüchsig ist und an der Eignungsprüfung teilnehme, könne zum Beispiel im Hochsprung aufgrund der Körpergröße nicht die 1,40 Meter erreichen, die erforderlich seien. Die nicht bestandene Hochsprungleistung ist der Behinderung geschuldet. „Aber wenn die gleiche Person im Badminton einen Aufschlag von oben macht – ein Verhalten, das laut Regeln nicht zulässig ist – kann man sagen, dass dieser Fehler nichts mit der Behinderung zu tun hat“, so Abel. Dann sei sich vermutlich nicht ausreichend vorbereitet worden.

An der Sporthochschule Köln studieren über 6000 junge Menschen, sie werden von mehr als 500 Lehrenden unterrichtet. Neben dem Lehramtsstudium gibt es fünf weitere Bachelor-Studiengänge und verschiedene Master-Programme. Keine Behinderung ist kategorisch ein Ausschlusskriterium. „Dennoch muss man in Bachelorstudiengängen grundsätzlich in der Lage sein, an den Praxisanteilen des Studiums teilzunehmen“, so Abel. Er wisse von ungefähr 30 Studierenden mit Beeinträchtigung. Da es aber keine Meldepflicht gebe, gebe es möglicherweise auch mehr. „Zu den Beeinträchtigungen gehören schließlich auch nicht sichtbare Behinderungen und auch psychische Erkrankungen“.

Corona: Verschobene Prüfung

Paul hat seinen Eignungstest erst gemacht, als er bereits Student an der Sporthochschule war. Aufgrund von Corona konnte die Prüfung mehrere Semester nicht durchgeführt werden. Er sagt, das habe ihm geholfen: „Ich hatte mich zu dem Zeitpunkt der Prüfung schon etwas an die Hochschule gewöhnt und kannte einige Dozenten“, so Paul.

Bei seiner Bewerbung habe er sich damals etwas überfordert gefühlt. Denn er habe keine genaue Vorstellung gehabt, wie einige Prüfungen in seinem speziellen Fall durchgeführt werden würden. „In einigen Disziplinen wusste ich nicht, auf was ich mich vorbereiten muss“, erzählt er. Er könne sich deshalb vorstellen, dass es für Bewerber mit Beeinträchtigung sinnvoller sein könnte, die Prüfung erst zu machen, wenn sie mit der Hochschule bereits vertraut seien. Im Sinne der Gleichbehandlung aller Beteiligten sei das leider schwer umsetzbar, meint Abel dazu.

Wer schlecht sieht, liest langsamer

Seit 2007 beschäftigt Abel sich verstärkt mit dem Thema Behinderung und Teilhabe an einem sportwissenschaftlichen Studium. „Wir sind immer sehr um Verbesserung bemüht und haben ein offenes Ohr für die Anliegen der Studierenden, aber auch der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einer Behinderung.“ Zusammen mit einer Kollegin begleitet er die Auswahltage, die beiden sind aber auch Ansprechpartner für viele andere Bereiche. Zum Beispiel unterstützt sie bei Anträgen für einen sogenannten Nachteilsausgleich, denn manche Prüfungen müssen an die Bedürfnisse der Studierenden angepasst werden. „Da geht es beispielsweise um eine Schreibzeit-Verlängerung bei Klausuren oder Hausarbeiten, weil jemand mit Sehbehinderung weniger schnell lesen kann“, erklärt Abel.

Auch bei Härtefallregelungen werde man miteinbezogen. Bei Studierenden mit fortschreitenden Erkrankungen müsse zum Beispiel dafür gesorgt werden, dass sie bestimmte Studieninhalte vorziehen können. Natürlich gebe es auch mal Fälle, in denen Studierende unzufrieden seien. „Manchmal berichten Studierende mit Behinderung etwa, dass sie das Gefühl haben, immer nur durchschnittlich benotet zu werden“. Dann könne es sein, dass Dozenten Sorge haben, aufgrund der Behinderung zu gut oder zu schlecht zu bewerten und aus dieser Unsicherheit heraus im Mittelfeld bewerten. Da sei aber eher die Ausnahme, so Abel.

Von Vielfalt profitieren alle

Pauls Studienalltag sieht in weiten Teilen genauso aus wie der seiner Kommilitonen ohne Beeinträchtigung. „Ich treffe im Studium eigentlich auf wenige Herausforderungen“, sagt Paul. Natürlich müsse er sich um die genannten Nachteilsausgleiche kümmern und häufiger mit Dozenten abstimmen. „Insgesamt ist das Miteinander aber sehr nett“, sagt er, auch im Vergleich zu seiner Schulzeit. Er vermutet, dass hier auch das Alter eine Rolle spielt: „Alle gehen jetzt offener mit dem Thema um – auch ich selbst.“

Er sei oft erstaunt, wie viel Selbstverständlichkeit sich im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigung auf dem Campus etabliert habe, sagt auch Abel. „Für uns stellt Vielfalt eine große Chance da.“ Wenn man zum Beispiel bedenke, dass es viele Lehramtsstudenten an der Hochschule gibt und diese schon während des Studiums direkt erfahren, was es bedeute, auf unterschiedliche Funktionalitäten und Merkmale der Menschen einzugehen, sei das ein großer Vorteil. „So kann das Thema Inklusion direkt erprobt und für den späteren Berufsalltag in der Schule mitgenommen werden.“

„Auf einem guten Weg“

Sowohl an der Hochschule als auch gesellschaftlich sei man auf einem ganz guten Weg, findet auch Paul. Trotzdem müsse noch viel getan werden. „Ich denke da zum Beispiel an Treppen in der Hochschule oder an Aufzüge bei der Deutschen Bahn, die oft kaputt sind und nicht schnell genug repariert werden“, sagt er. Gemeinsam müssten alle dafür sorgen, dass solche Dinge schnell angegangen werden.

(Mira Knauf)

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