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Einblicke So machen Jugendliche in Geestland Politik

Laura Heyer

In den Ausschüssen der Stadt Geestland in Niedersachsen bestimmen neun Jugendliche darüber mit, wohin sich ihre Kommune entwickelt. Laura hat sich einmal angeschaut, wie das besondere Modell funktioniert.

Das sind die Jugendvertreter und - vertreterinnen aus Geestland zusammen mit Steffen Tobias, dem Ratsvorsitzenden (l.) und Bürgermeister Thorsten Krüger (3. v. r.): Jasper Rieck, Hannah Kreutzer, Moritz Ahlers, Bennet Taube, Sajana Klostermann, Tale Matthäi, Milena Gerdts, Leonie Gerdts (v.l.n.r).©Stadt Geestland

Die spitzen Giebel der roten Backsteinhäuser ragen in den Himmel. Sie umringen den Marktplatz von Geestland und eine Frauenfigur, die in der Mitte auf einem Brunnen steht. Die junge Dame aus Messing trägt einen Korb über dem linken Arm, als würde sie mich begleiten wollen zu meinem Ziel – dem Rathaus. Denn in Geestland, einer 30.000-Einwohner-Stadt in Niedersachsen, die aus 16 Ortschaften besteht, findet heute ein Ideenworkshop statt.

Dort treffen sich an diesem Donnerstagnachmittag der Bürgermeister Thorsten Krüger, Politikerinnen und Politiker sowie Mitglieder der Stadt, um über die Zukunft zu sprechen. Sie wollen eine „Smart City“ werden. Bei dem Projekt des Innenministeriums geht es darum, Städte fit für die Zukunft zu machen, damit Menschen dort gern leben. Und ich, mitmischen-Autorin Laura, möchte dabei sein. Denn hier in Geestland mischen junge Leute in der Kommunalpolitik mit.

Junge Gesichter

Doch statt im Rathaus in Niedersachsen sitze ich in meiner Küche. Meine Eindrücke der Stadt habe ich von Onlinekarten, über Instagram und Facebook. Denn wie es genau in diesem nördlichen Zipfel Deutschlands in der Nähe von Cuxhaven aussieht, das kann ich leider nicht vor Ort erkunden. Aufgrund der Corona-Pandemie trifft sich der Ideenworkshop heute virtuell. Das ändert aber nichts daran, dass in Geestland etwas besonders ist: Zwischen den 55 Anwesenden des Online-Treffens sehe ich auch sechs sehr junge Gesichter: Sie gehören Amelie, Bennet, Hannah, Jasper, Sajana und Tale.

Sie sind einige der Jugendvertreter und Jugendvertreterinnen der Gemeinde. Seit 2019 bestimmen die sechs zusammen mit Leonie, Milena und Moritz die Politik vor Ort mit. Diese Art der Mitwirkung ist einmalig in Deutschland, heißt es in Geestland. Denn die neun zum Teil minderjährigen Jugendlichen sind den gewählten Gemeinderatsmitgliedern gleichgestellt, sie haben genau wie diese ein Stimmrecht bei Entscheidungen.

Stadtbild

Im Rathaus von Bad Bederkesa (Teil der Stadt Geestland) treffen sich die Jugendlichen mit Politikern und reden über die Zukunft der Stadt. Aufgrund von Corona finden die Sitzungen online statt. ©Stadt Geestland

„Man wird richtig ernst genommen“

„Ich will nicht nur mit 16 den Bürgermeister wählen dürfen, sondern auch Teil einer Gemeinde sein“, sagt Jasper, als wir uns nach dem Ideenworkshop online unterhalten. Der 19-Jährige macht gerade sein Abitur in Geestland und sitzt zusammen mit Hannah im Ausschuss für Schule, Sport und Kultur. „Man kann sich das am Anfang gar nicht vorstellen“, sagt die 17-jährige Schülerin, „aber man wird da richtig ernst genommen“. „Ich wollte immer mal politisch was machen“, sagt auch Bennet, 16 Jahre alt und auch noch Schüler. Selbst Politik gestalten, das wollen sie alle hier.

Zwei Rathäuser

Auf den ersten Blick wirkt Geestland wie eine klassische Gemeinde irgendwo in Deutschland. Alles ist ein bisschen auseinandergezogen, ein Zipfel der langestreckten Fläche reicht direkt an die Nordsee. Zwischen Feldern und Wiesen reihen sich zahlreiche kleine Städte aneinander. Es gibt sogar zwei Rathäuser.

Einen großen zentralen Stadtkern finde ich auf den Bildern im Internet nicht. Anders als in großen Städten reihen sich hier nicht Modeketten und klassische Läden der Großstadt aneinander. Nicht gerade ein Einkaufsparadies mit Bars und Treffpunkten, das (junge) Menschen anlockt. Doch die Stadt möchte etwas für die Jugend tun.

Alles digital

"Wir wollen die jungen Leute da beteiligen, wo die Entscheidungen getroffen werden", sagt Bürgermeister Thorsten Krüger. Der SPD-Politiker ist seit 2015 Oberhaupt der Stadt. Die Posten der Jugendvertreter schrieb Geestland 2019 offiziell für 2,5 Jahre aus und machte an Schulen und über Social Media Werbung dafür. Eigentlich waren nur vier Plätze geplant – aber es gab so viele Bewerbungen, dass nun in jedem Ausschuss der Stadt zwei Jugendliche sitzen, statt wie geplant nur einer.

Anders als in sogenannten Jugendparlamenten, die es in einigen deutschen Städten gibt, sind die Jugendvertreter und -vertreterinnen gleichberechtigte Mitglieder des Stadtrates, der in Geestland aus 38 Ratsherren und -frauen besteht. Das heißt, sie bilden keine eigene Gruppe, die über Themen berät und dann Anträge an die Politiker und Politikerinnen stellt. Sondern sie können in den Ausschüssen direkt mitentscheiden.

Corona hat das Jugendprojekt allerdings deutlich erschwert: Die Neun konnten persönlich je nur an einer Sitzung der Ausschüsse teilnehmen, alles andere lief digital über Online-Treffen.

Badesee

Das „G" ist das Symbol der Stadt und auch am See in Bad Bederkesa zu finden.©Stadt Geestland

G für Geestland

Geestland hat eine eigene Instagram-Page, auf der mir Bürgermeister Thorsten Krüger und andere Mitglieder der Gemeinde freundlich zulächeln. Es gibt einen Podcast aus dem Rathaus und die "Geestland-Rundschau", ein Mitteilungsblatt für die Stadt. Und auf der Homepage, die von einem großen G in gelb, blau und grün geziert wird, finden sich Auszeichnungen für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis und die Energieeffizienz-Kommune.

Internet und Car-Sharing

Im Ideenworkshop zur "Smart City"-Bewerbung wird es konkret. Internet für alle wäre schon mal ein Anfang, finden einige Teilnehmer. Und vielleicht Carsharing als Alternative zum öffentlichen Nahverkehr? Alle in der Online-Runde sind engagiert, ob jung oder älter. Es ist ein später Donnerstagnachmittag und trotzdem hat jeder noch etwas zu sagen. Entschieden wird hier heute allerdings noch nicht.

Das „Mikrobudget“

Die Jugendvertreter haben schon im Vorfeld ein eigenes Projekt gegründet, mit dem sie nachhaltige Projekte in Geestland mit kleinen Summen finanziell unterstützen wollen. Bewerben konnten sich für das „Mikrobudget“, wie das Projekt passend zu dieser Art der Förderung heißt, Privatpersonen aus Geestland, aber auch Einrichtungen wie Schulen oder die Städtische Feuerwehr. „Wir waren total überrascht, wie viele Menschen sich beworben haben“, erzählt Jasper. Auch auf Facebook haben die Jugendvertreter einen Aufruf gestartet. Das Video wurde immerhin 1.244 Mal aufgerufen.

Durch den Corona-Lockdown war die Arbeit am Projekt natürlich ein bisschen erschwert. Statt offline gab es auch hier einige Online-Treffen und unzählige Gruppengespräche in Chats, um die Gewinner-Projekte auszuwählen. Wer am Ende gewonnen hat, erfahrt ihr hier.

Flugtaxen und Foodsharing

Was wünschen sich die Jugendvertreter noch für die Zukunft ihrer Gemeinde? Bessere Busverbindungen wären etwas, findet Jasper, als wir später sprechen. Langfristig könnten es natürlich auch gern Flugtaxen sein, ergänzt er lachend.

Ein bisschen schneller lässt sich da vielleicht der Plan von Sajana umsetzen. Die 19-Jährige macht gerade Abitur und sitzt im Nachhaltigkeitsbeirat. „Foodsharing oder so etwas wie die App ‚To Good to Go‘ wären klasse“, findet sie. Dort können Gastronomen kurz vor Ladenschluss übrige geblieben Ware und Essen günstiger anbieten, damit es nicht weggeworfen wird.

Neu denken

„Es gibt viele Dinge, die man einfach selber regeln muss“, sagt Bürgermeister Thorsten Krüger im Ideenworkshop. „Der Staat“, das seien schließlich wir alle. „Ich finde, es sollte eine Pflicht für Städte und Kommunen geben, Jugendliche einzubinden“, sagt Jasper später in unserem Gespräch. Sajana stimmt ihm zu: „Es sind die Jugendlichen, die neue Denkanstöße geben.“

Die Jugendvertreter möchten fast alle nach dem Abitur oder der Ausbildung erst einmal in Geestland bleiben. Aber irgendwann mal raus ist dann doch fast „eine heilige Pflicht“, lacht Jasper. Neue Eindrücke sammeln eben.

(lh)

Zur Person

Mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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