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Blog Jugendbegegnung 2024 History Reloaded

Marejke Tammen

Am 28. Januar beginnt die Jugendbegegnung 2024. Das bedeutet: Eine Reise in die NS-Vergangenheit, schmerzhaftes Gedenken und kritisches Hinterfragen. Marejke wird die Jugendlichen während der vier Tage begleiten, Fragen stellen und hoffentlich selbst Antworten finden.

Schild auf einer Demonstration vor dem deutschen Bundestag. Die Aufschrift: Genauso hat es damals auch angefangen. #MargotFriedländer #NieWieder

Seit dem Ende des Holocaust sind 79 Jahre vergangenen. Eine Menge Zeit, um aus gravierenden Fehlern zu lernen. Könnte man meinen, oder nicht? © picture alliance / PIC ONE | Stefan Müller

Am 7. Oktober 2023 saß ich in einem kleinen Häuschen irgendwo in Brandenburg. Dank nicht vorhandenem Internetempfang hatte ich mir mehr oder weniger freiwillig eine Handy- und Medien-Auszeit auferlegt. Während in Israel also ein Krieg ausbrach, saß ich ahnungslos vor dem Kamin, schlürfte eine heiße Schokolade und fragte mich, ob es zum Abendbrot lieber Kartoffelgratin oder Gemüselasagne geben sollte. Von den vielen Entführungen, grauenhaften Vergewaltigungen und barbarischen Ermordungen erfuhr ich erst zwei Tage später – in der Regionalbahn zurück nach Berlin. Im Sekundentakt prasselten verpasste WhatsApp-Nachrichten und Push-Mitteilungen ein. Ein Freund schrieb: „Mit Israel mitbekommen? Hamas eingedrungen mit über 100-200 Terroristen, getötet, Geiseln genommen…härtester Angriff seit 50 Jahren.“

Das Wochenende in Brandenburg diente eigentlich als kurze Auszeit, ich wollte den Kopf abschalten, runterkommen. Doch die Meldung riss mich in nur wenigen Augenblicken aus meinem Zen-Status. Fast schon manisch scrollte ich die nächsten Stunden durch sämtliche Nachrichten-Apps und las Kommentare von Nahost-Experten; die Stimmen der Tagesschau24-Moderatoren als Soundtrack im Ohr. Doch auch nach stundenlanger Recherche fand ich keine befriedigende Antwort auf die immer lauter werdenden Fragen: Wie konnte das passieren? Haben wir denn gar nichts gelernt?

Wenn ich jetzt, fast vier Monate später, die Tagesschau-App öffne, lese ich: „Antisemitismus in Deutschland nimmt zu. Das BKA erfasste 2.249 antisemitische Straftaten in Deutschland seit dem Angriff der Hamas auf Israel.“ Ein paar Zeilen darunter die Schlagzeile: „Bücher über Holocaust angezündet: 63-Jähriger gesteht mehrere Brandanschläge in Berlin.“ Man könnte meinen, die App hat sich seit 1933 nicht aktualisiert.

Doch zum Glück gibt es Menschen, die es besser wissen. Menschen, die aus der Zeitschleife ausbrechen wollen. Menschen, die neugestalten, aber nicht vergessen wollen. Da ist zum Beispiel Dorothea. Die 20-Jährige kämpft gegen Holocaustleugnung; sie sensibilisiert Jugendliche für das Thema Nationalsozialismus und leistet ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Gedenkstätte Bergen-Besen. Oder Hicham, der sich fragt, wer die Geschichten, Lehren und Ratschläge der Holocaust-Überlebenden weitererzählt, wenn diese verstorben sind. 

Vier Tage lang, vom 28. bis 31. Januar, werde ich Dorothea, Hicham und 67 weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer der diesjährigen Jugendbegegnung begleiten – bei Podiumsdiskussionen, Workshops, Museumsbesuchen und Gesprächen mit Holocaustüberlebenden. In der hessischen Kleinstadt Bad Arolsen werden wir auf Spurensuche unserer Vorfahren gehen; in der Gedenkstätte „Stille Helden“ hören wir uns die Geschichten von mutigen NS-Gegnern an und bei einem Kinoabend nähern wir uns dem Holocaust aus Anne Franks Sicht. Das Programm ist straff, Momente zum Durchatmen wird es vermutlich nur wenige geben. Ob es mir wohl gelingt, Antworten auf meine Fragen zu finden? Werde ich verstehen, warum wir heute, 79 Jahre nach Ende des Holocaust, noch immer Antisemitismus, Hass und Terror erleben? Wir werden sehen.