Zum Inhalt springen

Blog Tag 3 Viel Applaus für stille Helden

Marejke Tammen

Was während des Holocaust geschehen ist, zeugt von unermesslicher menschlicher Grausamkeit. Neben all diesem menschengemachten Leid gab es jedoch auch Individuen, die aus Güte und mit Respekt für jedes menschliche Leben handelten. Im Rahmen der Jugendbegegnung hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, mehr über diese sogenannten „stillen Helden" zu lernen.

Eine weiße Rose zum Gedenken auf den Steinen des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. © Stella von Saldern

Der Tag startet ähnlich früh wie gestern, nur haben wir diesmal eine Verspätung von 30 Minuten – einige Jugendliche haben den Wecker verschlafen und stolpern nun schlaftrunken in den Bus. Doch der Sonnenaufgang stimmt alle versöhnlich. Denn wir stellen fest: Das Farbspektakel über den taunassen Feldern Hessens macht der Berliner Sonnenaufgangsromantik mächtig Konkurrenz. Die fünfstündige Rückfahrt in nordöstliche Richtung wird sinnvoll genutzt: mit Schlafen, Filme schauen und für die Latein-Hausaufgaben.

Machtlos, schutzlos, wehrlos

Zurück in Berlin erwarten uns bereits die zwei Historiker von der Gedenkstätte „Stille Helden“, Johannes Schwarz und Stefan Bamberg. Bei einem gemeinsamen Stadtrundgang erlaufen wir an diesem Nachmittag verschiedene Orte, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Einer der wohl eindrücklichsten Orte ist das Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Ein Blick in das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Zwischen den Granitblöcken, mit Blick auf ein Haus und den blauen Himmel

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin-Mitte ist ein Ort der Erinnerung, des Gedenkens und der Mahnung. © picture alliance / Zoonar | Bruno Coelho

„Das Denkmal besteht aus 2.711 unterschiedlich hohen Betonstelen und erinnert an die bis zu sechs Millionen jüdischen Opfer des Holocaust“, erklärt Johannes Schwarz den Jugendlichen. „Es symbolisiert die Masse der ermordeten Jüdinnen und Juden.“ Begibt man sich ins Innere des Denkmals, fühlt man sich neben den teils meterhohen Betonblöcken sehr klein und ja, auch irgendwie machtlos. Einmal falsch abgebogen und schon hat man die Orientierung verloren. Klein, machtlos und ohne Orientierung – Gefühle, die der Architekt des Mahnmals, Peter Eisemann, mit seinem 19.000 qm großen Stelenfeld vermutlich erzeugen wollte. Und es funktioniert: Auch Stunden später bekomme ich beim Gedanken daran noch immer ein beklemmendes Gefühl. Wie es wohl erst den jüdischen Opfern ergangen sein muss, so schutzlos ausgeliefert zu sein?

Untold stories: Stille Helden

Nur wenige Schritt entfernt, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, befindet sich ein weiterer Gedenkort: das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Auch hier, im Berliner Tiergarten, dient ein quaderförmiger Betonklotz dem Gedenken an die Verfolgung von Lesben und Schwulen, die Leid und Unrecht durch die Nationalsozialisten erfahren mussten. Ein Film in Endlosschleife zeigt verschiedene sich küssende Frauen- und Männerpaare. Doch viel Zeit zum Verweilen bleibt nicht, denn auf uns wartet bereits eine Führung in der Gedenkstätte „Stille Helden“.

Junge Menschen in einem Museum. Sie lesen die Informationstafeln in orange und grün.

In Rom haben Helferinnen und Helfern verfolgte Jüdinnen und Juden auf dem Dachboden einer Kirche eingemauert und somit ihr Leben gerettet. © Stella von Saldern

„Als stille Helden und Heldinnen verstehen wir jene Menschen, die während des Nationalsozialismus verfolgten Jüdinnen und Juden beistanden“, erklärt uns Johannes Schwarz. „Sie brachten sich selbst in Gefahr, um das Leben anderer zu retten.“ Einer dieser stillen Helden ist der Apotheker Tadeusz Pankiewicz. Seine Apotheke lag im besetzen Krakauer Ghetto, zu dem nichtjüdischen Personen wie Pankiewicz der Zugang verboten war. Mit Hilfe von Schmiergeldern gelang es Pankiewicz jedoch, seine Apotheke weiterzuführen, und er rettete damit einige jüdische Leben. Denn sowohl der Apotheker als auch seine Mitarbeiterinnen halfen der jüdischen Bevölkerung, indem sie Medikamente kostenlos ausgaben, gefälschte Dokumente und Lebensmittel organisierten, heimlich Nachrichten übermittelten und sogar Personen vor Deportationen in der Apotheke versteckten.

Eine graue Infotafel in einem Museum im Vordergrund, eine junge Person mit verschränkten Armen im Hintergrund.

Die Gedenkstätte „Stille Helden“ gibt jenen Menschen eine Bühne, die verfolgten Jüdinnen und Juden halfen – trotz Angst vor tödlichen Konsequenzen. © DBT | Stella von Saldern

„Es liegt in meiner ethischen Verantwortung“

Obwohl ich von mir behaupten würde, dass ich relativ gut über die NS-Zeit informiert bin und bereits selbst das ehemalige Krakauer Ghetto inklusive der Apotheke besucht habe, bin ich doch sehr überrascht, wie viele Menschen tatsächlich ihr eigenes Leben für das eines anderen Menschen riskierten. Besonders bewundernswert finde ich ihren Einfallsreichtum. Assoziierte ich mit dem Begriff „Tintentod“ bisher die Fantasy-Buchreihe von Cornelia Funke, erfahre ich jetzt, dass es sich dabei um ein Werkzeug handelte, das mit Tinte geschriebene Namen aus Dokumenten entfernte. Anstelle des eigentlichen Namens konnten so Tarnnamen eingesetzt werden.

Etwas ähnliches berichtet Nogah über ihre Erfahrung in der Gedenkstätte: „Ich finde es total interessant zu erfahren, wie Menschen den Juden geholfen haben; dass sie teilweise mit den kleinsten Aspekten Menschenleben retten konnten.“

Eine junge Frau mit dunklen Haaren und einem weißen Pullover im Paul-Löbe-Haus.

Im Rahmen des Projekts „Meet a Jew“ geht die 18-Jährige Nogah an Schulen und spricht mit Schülerinnen und Schülern über das Judentum und Antisemitismus. © DBT | Stella von Saldern

Gäbe es heutzutage eine ähnliche Situation, würde auch Nogah versuchen, eine stille Heldin zu sein: „Ich würde versuchen mein Leben zu riskieren, um Menschen zu helfen, weil ich genau weiß, wie es ist, in der Minderheit zu sein.“ Denn als Jüdin habe sie selbst schon Anfeindungen begegnen müssen. „Egal, wer es ist, es liegt einfach in meiner ethischen Verantwortung. Und wenn das heißt, dein Leben aufs Spiel zu setzen, dann sollte man dieses Risiko auf jeden Fall eingehen.“

Am Ende der Führung frage ich Johannes Schwarz noch, warum er denkt, dass die Ausstellung vor allem für Jugendliche relevant ist. „Unsere Ausstellung zeigt, dass es auch in unmenschlicher Zeit positive, mutmachende Momente geben konnte. Ich denke, dass diese allgemein menschlichen Werte auch heute noch wichtig sind, um Hass und Ausgrenzung entschieden entgegenzutreten.“

Weitere Einblicke zum dritten Tag der Jugendbegegnung:

Eine Gruppe junger Menschen lehnt sich an ein Geländer im Paul-Löbe-Haus.

Front row: Die Jugendlichen verfolgen die Ausstellungseröffnung „I said 'Auf Wiedersehen' – 85 Jahre Kindertransport nach Großbritannien“ im Paul-Löbe-Haus. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas begrüßt in ihrer Rede die Jugendlichen und sagt: „Ihr Engagement ist heute vielleicht notwendiger denn je.“ © DBT | Stella von Saldern

Eine Gruppe junger Menschen in Winterjacken liest sich die Infotafel an einer Gedenkstätte durch.

In der Tiergartenstraße 4 (kurz T4) befand sich eine geheime NS-Behörde, in der die Ermordung von kranken und geistig behinderten Menschen geplant wurde. Heute befindet sich dort ein Gedenkort für die rund 300.000 Opfer der „Euthanasie-Morde“. © DBT | Stella von Saldern

Ein junger Mann spricht vor einer Fernesehkamera. Ein Stabmikrofon ist zu sehen. Um ihn herum andere junge Menschen.

Sogar die Tagesthemen berichten über die Jugendbegegnung. Timo erzählt vor der Kamera von seinen Erlebnissen der letzten Tage. © DBT | Stella von Saldern