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Jugendarbeit „Bewerben mit dem Handy geht nicht“

Laura Heyer

Die MUT Academy in Hamburg begleitet Jugendliche beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung. Wie funktioniert das in Corona-Zeiten? Laura hat dazu Philipp befragt.

Workshop-Szene

Philipp Arlt (l.) unterstützt Jugendliche auf sogenannten MUT-Camps beim Übergang von der Schule ins Berufsleben.©MUT Academy

Philipp, wie verändert die Corona-Krise eure Arbeit mit den Jugendlichen?

Wie viele Branchen sind wir ins Homeoffice gegangen. Damit haben sich natürlich auch unsere Arbeitsprozesse verändert. Das betrifft vor allem unsere direkte Arbeit mit den Jugendlichen. Wir veranstalten sonst Lerncamps, Workshop-Wochenenden oder treffen uns mit ihnen im Büro. Dort gibt es natürlich auch immer privaten Austausch. Stattdessen haben wir auf WhatsApp, Handygespräch oder Videocall umgestellt.

Und das funktioniert?

Wir mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erst einmal mit Laptops ausstatten und ihnen den Umgang damit erklären. Die Generation der Digital Natives macht fast alles mit dem Handy. Damit funktioniert aber zum Beispiel Bewerbungen schreiben nicht. Die dritte Herausforderung war der Arbeitsmarkt.

Warum?

Praktika oder Ausbildungsstellen, die wir schon vermittelt hatten, sind plötzlich weggefallen oder das Angebot ist stark zurückgegangen. Aber das war noch nicht alles an Problemen.

Was war noch schwierig?

Viele Jugendliche, die wir betreuen, konnten keinen Schulabschluss machen, da die Prüfungen aufgrund von Schulschließungen teilweise ausgefallen sind. Nach der neunten Klasse gibt es in Deutschland den Ersten Allgemeinbildenden Schulabschluss (ESA), der früher Hauptschulabschluss hieß. Jetzt haben viele junge Menschen keinen Abschluss, müssen sich aber auf Ausbildungsplätze bewerben.

Wir konnten immerhin 70 Prozent unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Abschluss oder eine weitere Ausbildung garantieren; in normalen Jahren sind es 80 Prozent. Im Schnitt schafften in Hamburg dieses Jahr nur 35 Prozent den Übergang von der 10. Klasse in eine Berufsausbildung.

Wie haben die Jugendlichen diese Zeit empfunden?

Natürlich war die Zeit für alle belastend. Vielen Jugendlichen war langweilig. Der alltägliche Rhythmus und die Schule haben gefehlt, denn sie sind nun einmal als junger Mensch der Lebensmittelpunkt. Wie es den Jugendlichen konkret ging, hing natürlich auch stark vom Elternhaus ab.

Welche Unterschiede gibt es da?

Einige konnten die freie Zeit genießen. Doch im schlimmsten Fall wohnen die Jugendlichen mit Eltern und Geschwistern auf kleinem Wohnraum, haben kein eigenes Zimmer und auch keine Möglichkeit, Homeschooling zu machen. Daher ist einigen wirklich die Decke auf den Kopf gefallen.

Wird den Problemen von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Krise genug Aufmerksamkeit geschenkt?

Zurzeit ist die Aufmerksamkeit für das Thema Schule sehr groß. Aber in den ersten Monaten des Lockdowns im Frühjahr lag der Fokus ganz klar auf den Abiturjahrgängen. An diesem Problem zeigt sich, dass die meiste Unterstützung eben dort ist, wo es eine Lobby gibt. Und das waren im Frühjahr vor allem die Eltern der Abiturienten und Abiturientinnen. Außerdem wird dem „akademischen“ Werdegang in unserer Gesellschaft immer noch ein höherer Stellenwert gegeben. Dabei haben wir einen enormen Fachkräftemangel bei den Ausbildungsberufen.

Was tun?

Wir können als Sozialunternehmen mehr Aufmerksamkeit auf die Probleme benachteiligter Gruppen lenken. Das geht jedoch nur, wenn bürokratische Hürden kleiner werden und es auch finanzielle Unterstützung gibt. Viele Stiftungen nehmen gesellschaftliche Verantwortung wahr und haben auch uns in der Corona-Zeit geholfen, als uns staatliche Gelder gefehlt haben.

Aber wenn wir das Problem von ungleichen Bildungschancen wirklich beheben wollen, muss der Zugang zu Schulen für nicht-staatliche Akteure leichter werden. Vor allem die Vernetzung von Ausbildungsbetrieben und Schulen kann für die bessere Berufsorientierung und Vereinfachung der Übergänge genutzt werden.

Was wünscht ihr euch von der Politik für die nächsten Monate?

Es gilt in den kommenden Monaten erstmal, kritikfähig zu sein und den Problemen ehrlich und mutig ins Auge zu sehen – anstelle sie wegen Versäumnissen in der Vergangenheit zu leugnen. Für das jetzige Schuljahr bräuchten die Jugendlichen die Möglichkeit, ihren Abschluss nachzuholen.

Zudem müsste gegenüber den Ausbildungsbetrieben kommuniziert werden, dass viele Jugendliche gar nicht die Chance hatten, einen Abschluss zu machen und die Aufnahmekriterien für eine Ausbildung müssten möglicherweise geändert werden.

Generell wünsche ich mir eine bessere Feedback-Kultur in Schulen, bei der die Schüler selbst gefragt werden, welche Art von Unterstützung sie brauchen. Politiker sollten genauer auf den Übergang von Schule zu Berufsleben schauen. Schon ohne Corona gab es einen Fachkräftemangel – ohne aktive Unterstützung wird sich dies nur noch mehr verschärfen.

(lh)

Über Philipp und MUT

Philipp Arlt ist Teil der Geschäftsführung der MUT Academy. Das Sozialunternehmen aus Hamburg begleitet Jugendliche im letzten Schuljahr beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung. Das Programm besteht aus fünftägigen MUT Camps, Teambuildings, Workshops und persönlicher Begleitung in die Ausbildung hinein, eröffnet Perspektiven und soll MUT machen. Das Projekt finanziert sich aus Spenden und Stiftungsgeldern wie der Hamburger Jugend Stiftung oder der Claussen-Simon-Stiftung; auch eine Förderung durch die Schulbehörde und die Agentur für Arbeit ist in Planung.

Mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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