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Bundestagsstipendiat 2022 „Das Leben wird lebendiger durch andere Kulturen“

Nersad aus Bosnien und Herzegowina lernt derzeit den Deutschen Bundestag von Nahem kennen. Sein Stipendium führt ihn zu Ausschuss-Sitzungen, Gewerkschaftstreffen und Botschaftsempfängen.

Junger Mann, im Hintergrund das Reichstagsgebäude

Freut sich über die Einblicke und den Austausch: Nersad vor dem Deutschen Bundestag. © DBT/Julia Karnahl

Internationales Parlaments-Stipendium (IPS)

Jedes Jahr lädt der Deutsche Bundestag bis zu 120 junge Hochschulabsolventen aus 50 Ländern ein, fünf Monate lang das parlamentarische Geschehen in Deutschland mitzuverfolgen und in einem Abgeordneten-Büro mitzuarbeiten. Details zum Programm findet ihr auf der IPS-Seite des Bundestages.

„Ich hätte nie gedacht, dass der Bundestag mich wirklich nimmt“, sagt Nersad (27), als er von seiner Bewerbung erzählt. Nersad kommt ursprünglich aus Tuzla in Bosnien und Herzegowina. In Sarajevo studiert er Wirtschaft und Management. Als er sich für das Internationale Parlaments-Stipendium bewarb, war er gerade für ein Austauschsemester in Italien. Von der Zusage war er so überrascht, dass er schnell noch das Deutsch-Zertifikat nachholen musste, das verlangt war.

Allerdings sprach Nersad zu dem Zeitpunkt schon seit vielen Jahren Deutsch. Er hat es an der Schule als zweite Fremdsprache gelernt. Später war er für einen Sommerjob bei der Deutschen Post für drei Monate in Hamburg. Und in Bosnien arbeitete er für eine Firma, deren deutsche Niederlassungen er betreute.

Karte von Bosnien und Herzegowina und Nachbarstaaten

Bosnien und Herzegowina ist ein südosteuropäisches Land auf dem Balkan. © Google Maps

Bürgeranfragen zum Ukraine-Krieg und erneuerbaren Energien

Auf die Zusage des Bundestags zog Nersad also für fünf Monate nach Berlin. In der Vorbereitungsphase im März wurden er und die anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten in das politische System Deutschlands und die Abläufe im Deutschen Bundestag eingeführt. Im April ging es dann mit der praktischen Arbeit im Parlament los. Nersad arbeitet als Praktikant im Büro des SPD-Abgeordneten Takis Mehmet Ali mit.

Er erledigt Büro-Aufgaben, bereitet Termine vor und darf zum Beispiel bei Ausschuss-Sitzungen dabei sein. Oft kommuniziert er mit Bürgerinnen und Bürgern, die sich ans Büro wenden – mit erstaunlich vielfältigen Themen, findet Nersad. Oft geht es derzeit um den Krieg in der Ukraine. In den Gesprächen bekommt Nersad sehr unterschiedliche Positionen zu hören, die ganze Skala von „Deutschland sollte mehr für die Ukraine tun“ bis „Deutschland sollte sich da raushalten“. Auch um Energie-Themen geht es oft, um erneuerbare Energien einerseits und Atomkraft andererseits. Um kompetent antworten zu können, schaut Nersad oft im Koalitionsvertrag nach, was dort zu den einzelnen Themen vermerkt ist.

„In Deutschland sind Gewerkschaften viel stärker“

Takis Mehmet Ali nimmt Nersad auch zu Abendveranstaltungen mit. Kürzlich waren sie bei einem Abendessen einer Gewerkschaft. Den Einblick fand Nersad sehr spannend: „In Deutschland sind Gewerkschaften viel stärker, weil sie demokratisch und transparent zusammengesetzt sind. In meinem Land ist das alles viel intransparenter.“

Was Nersad außerdem sehr beeindruckt hier in Deutschland: „Viele Abgeordnete sind in Bereichen tätig, in denen sie schon früher gearbeitet haben. Das erscheint mir sehr sinnvoll: Man hat Erfahrung mit dem Thema und wichtige Kontakte.“ Takis Mehmet Ali zum Beispiel hat früher mit Menschen mit Behinderung gearbeitet, nun setzt er sich im Ausschuss für Arbeit und Soziales für ihre Interessen ein. „In Bosnien ist das anders“, erzählt Nersad, „da gibt es nur Generalpolitiker ohne Spezialisierung“.

Austausch mit Menschen aus 40 Nationen

„Ich lerne hier wirklich sehr viel, über Politik, Prozesse, Verfahren“, freut sich Nersad. Auch die Begegnung mit den anderen Stipendiaten sei eine große Bereicherung. „Es sind Menschen aus 40 Ländern dabei“, erklärt Nersad. „Wann hat man sonst schon die Gelegenheit, sich mit Leuten aus Neuseeland oder Indonesien direkt auszutauschen?“

Eine Stipendiatin aus Indonesien hat ihn zu einem Empfang der dortigen Botschaft mitgenommen. Auch das ein spannender Einblick. Nersad ist sich sicher: „Ich werde mit vielen der anderen Kontakt halten.“ Das IPS-Programm hat eine Alumni-Struktur aufgebaut, um das zu unterstützen.

Die Zukunft? Hauptsache international

Internationalität ist Nersads großes Thema. Neben Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Deutsch und Englisch spricht er auch noch Spanisch, Italienisch und Französisch. Aktuell besucht er einen Russisch-Sprachkurs an der Humboldt-Universität in Berlin.

Nach seiner Zeit in Berlin wird er zuhause den Master machen. Und dann? „Ich bin für alles offen“, sagt Nersad. „Ich möchte eine Arbeit finden, wo ich alle meine Fähigkeiten einbringen und der Gesellschaft helfen kann.“ Ob das in der Politik ist oder in der Wirtschaft – „wichtig ist mir vor allem die internationale Ebene“.

Nersad erklärt auch, warum: „Das Leben ist lebendiger, wenn man andere Perspektiven kennenlernt, wenn man in ständigem Kontakt mit anderen Kulturen ist.“ Deshalb will er auch in der Zukunft in verschiedenen Ländern leben und arbeiten. „Wenn man immer nur in einem Land oder sogar einer Stadt lebt, dann vergisst man, dass es auch andere Kulturen gibt.“ Aber das wird Nersad ganz bestimmt nie passieren.

(jk)

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