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Sondersitzung Ukraine-Krieg „Wir erleben eine Zeitenwende“

Am Sonntag kam der Bundestag außerplanmäßig zusammen, um über Russlands Angriff auf die Ukraine zu diskutieren. Es ging darum, was der Krieg für Europa und die deutsche Außenpolitik bedeutet. Streit gab es vor allem über die Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine.

Ein Paar umarmt sich auf einem Platz in Kiew, im Hintergrund die ukrainische Fahne

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew gibt es immer wieder Bombenangriffe, tausende Menschen fliehen. © picture alliance/abaca/Europa Press/ABACA

Seit drei Tagen herrscht Krieg in Europa. In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar hat Russland die Ukraine angegriffen. Seitdem toben im ganzen Land Kämpfe, hunderttausende Menschen sind auf der Flucht, viele davon fliehen aus der Ukraine in Nachbarstaaten. Zahlreiche andere Länder und Staatenbündnisse wie die Europäische Union, das Verteidigungsbündnis Nato und die Vereinten Nationen (United Nations, UN) versuchen, auf Russland einzuwirken, den Krieg zu beenden.

Um die Auswirkungen dieses Krieges auf ganz Europa und die Möglichkeiten Deutschlands und seiner Partner, einzugreifen, ging es in der Sondersitzung des Bundestages, die mit einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers begann.

Bundeskanzler Scholz (SPD): „Kriegstreibern wie Putin Grenzen setzen“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verurteilte Russlands Vorgehen als „menschenverachtend, völkerrechtswidrig und durch nichts und niemanden zu rechtfertigen“. Russlands Präsidenten Wladimir Putin nannte er „kaltblütig“ und „skrupellos“. Putin zertrümmere die europäische Sicherheitsordnung, so Scholz. Das sei „eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents.“ Die Frage sei, „ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen“. Diese Frage bejahte der Kanzler: „Wir nehmen die Herausforderung an.“

Scholz zählte auf, welche fünf Punkte ihm in der Reaktion der Bundesregierung nun am wichtigsten sind:

  • Erstens müsse Deutschland die Ukraine unterstützen. Deshalb habe man gestern beschlossen, Waffen in die Ukraine zu liefern.

  • Zweitens wolle die Bundesregierung alles tun, um Putin von seinem Kriegskurs abzubringen. Dafür habe sie gemeinsam mit ihren Bündnispartnern wie EU und USA eine Reihe von sogenannten Sanktionen beschlossen, also Strafmaßnahmen gegen Russland. Dabei sei besonders wichtig, dass die Sanktionen Putin und seine Verbündeten träfen, nicht das russische Volk. Denn: „Dieser Krieg ist Putins Krieg“. An dieser Stelle sprach der Kanzler den Menschen in Russland seinen Respekt aus, die gegen den Krieg demonstrierten, obwohl Hunderte von ihnen deswegen verhaftet würden – viele Abgeordnete standen auf und applaudierten für die mutigen Demonstranten. Scholz adressierte sie direkt: „Geben Sie nicht auf! Freiheit, Toleranz und Menschenrechte werden sich auch in Russland durchsetzen.“

  • Als dritten Punkte nannte der Kanzler das Ziel, zu verhindern, dass der Krieg auf andere Länder in Europa übergreife. Dafür werde das Verteidigungsbündnis Nato sorgen und Deutschland werde seinen Teil dazu beitragen.

  • Das führte zum vierten Punkt: Die Bundeswehr werde dafür „neue, starke Fähigkeiten“ brauchen. Um eine „leistungsstarke, hochmoderne Bundeswehr“ aufzubauen, brauche es viel Geld, deshalb plane die Bundesregierung ein sogenanntes Sondervermögen. 100 Milliarden Euro sollen dafür zur Verfügung gestellt werden.

  • ​​​​​​​Der Krieg in der Ukraine, mit diesem Punkt endete Scholz seine Aufzählung, sei eine „Zäsur für die Außenpolitik“. Bisher habe Deutschland und auch die Europäische Union auf diplomatische Gespräche gesetzt, um Konflikte zu schlichten. Aber: „Echter Dialog braucht Bereitschaft auf beiden Seiten – auf Seiten Putins mangelt es an dieser Bereitschaft.“ Deshalb müsse Deutschland nun zwangsläufig über andere Mittel nachdenken, und zwar gemeinsam mit seinen Bündnispartnern. Diese Bündnisse seien wichtiger denn je, um der Bedrohung durch Russland zu begegnen.

Neben Olaf Scholz sprachen drei weitere Vertreter der Bundesregierung im Bundestag:

Außenministerin Baerbock (Grüne): „Fassungslos, aber nicht ohnmächtig“

Die schrecklichen Bilder aus der Ukraine seien kaum zu ertragen, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen). Die Bundesregierung sei „fassungslos, aber nicht ohnmächtig“. Dieser Krieg zwinge uns, die Grenzen unseres außenpolitischen Denkens neu zu ziehen. „Wir haben es bis zur letzten Minute mit Diplomatie versucht“, so Baerbock, aber Putin habe alle Gesprächspartner „hingehalten und belogen“.

„Wenn unsere Welt eine andere ist, dann muss auch unsere Politik eine andere sein“, sagte die Ministerin. Deshalb habe sich Deutschland nun doch dazu entschieden, Waffen in die Ukraine zu schicken, denn: „Wir dürfen die Ukraine nicht wehrlos dem Aggressor überlassen.“ Ebenso wichtig sei es natürlich, den Menschen, die aus der Ukraine fliehen, zu helfen.

In Zukunft werde Deutschland bei Waffenexporten und militärischen Einsätzen weiterhin „aus vollster Überzeugung zurückhaltend sein“. Derzeit gebe es aber keine andere Möglichkeit. An alle anderen Länder der Vereinten Nationen appellierte Baerbock, „Farbe zu bekennen“. Sie spielte damit auf China, Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate an, die sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen enthalten hatten, als es darum ging, den Angriff Russlands auf die Ukraine klar zu verurteilen.

Finanzminister Lindner (FDP): „Preis der Freiheit“

„Es ist Krieg in Europa – was Geschichte war, ist Gegenwart geworden“, so begann Finanzminister Christian Lindner (FDP) seine Rede. Der Krieg sei ein „Angriff auf eine Werteordnung“ und somit ein „Angriff auf uns alle“. Die Konsequenz der westlichen Welt: „Wir werden Russland isolieren – wirtschaftlich, finanziell und politisch.“ Die Sanktionen würden auch für uns und unsere Wirtschaft negative Auswirkungen haben, räumte Lindner ein, „aber wir werden sie ertragen, denn sie sind der Preis der Freiheit“.

Der Finanzminister erklärte, an welchen Stellen Deutschland nun unerwartet Geld ausgeben müsse. Zum einen werde der Verteidigungsetat ab jetzt jedes Jahr erhöht werden, um die bisherige „Vernachlässigung der Bundeswehr“ auszugleichen. Zum anderen müsse Deutschland sich unabhängig von Russland machen, was den Bezug von Energie angehe. Für den Fall, dass wir von Russland kein Gas und keine Kohle mehr beziehen könnten, baue die Bundesregierung derzeit Reserven auf. Außerdem sei es wichtig, den Ausbau von erneuerbaren Energien schnell voranzutreiben, denn sie „leisten nicht nur einen Beitrag zur Energiesicherheit, sondern sie lösen uns von Abhängigkeiten – erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien“, so Lindner.

Wirtschaftsminister Habeck (Grüne): „Energieversorgung ist eine Frage der nationalen Sicherheit geworden“

Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) betonte die hohe energiepolitische Abhängigkeit von Russland, in der Deutschland sich selbstverschuldet befinde. „Wir waren politisch nicht wachsam und nicht klarsichtig genug“, mahnte Habeck. Das dürfe in Zukunft nicht wieder passieren. Wir bräuchten nun einen „Hochlauf von Wasserstoff und erneuerbare Energien“. Denn „die Energieversorgung ist eine Frage der nationalen Sicherheit geworden“, so der Minister.

Die Fraktionen SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP brachten gemeinsam einen Entschließungsantrag ein. Sie bekundeten darin ihre Solidarität mit der Ukraine, begrüßen die Sanktionen gegen Russland und forderten die Bundesregierung auf, die Ukraine politisch, wirtschaftlich, finanziell und humanitär zu unterstützen und Flüchtende aufzunehmen.

Friedrich Merz (CDU/CSU): „Der Ukraine haben gute Worte nichts genutzt“

Trotz des gemeinsamen Antrags äußerte Friedrich Merz, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU und somit Oppositionsführer, auch Kritik an der Bundesregierung.

Merz begann damit, dem ukrainischen Präsidenten seinen Respekt auszusprechen. „Diesen mutigen Mann, der aus einer jüdischen Familie stammt, als Drogenabhängigen und Nazi zu bezeichnen, wie es der russische Präsident getan hat, zeugt von einem Ausmaß an Niedertracht und Menschenverachtung, wie wir es in den letzten Jahrzehnten auf diesem Kontinent nicht erlebt haben“, so Merz. Und weiter: „Wir sind beschämt und bedrückt, dass wir diesem Volk nicht schon früher haben helfen können.“

Die Bundesregierung habe zu lange auf Diplomatie gesetzt. Aber: „Der Ukraine haben gute Worte nichts genutzt“, konstatierte Merz. Deutschland müsse endlich bereit sein, seine Interessen auch anders, nämlich militärisch zu verteidigen. „Die Bundeswehr ist dazu heute nicht in der Lage“, befand Merz. Er appellierte an alle Fraktionen des Bundestages, gemeinsam für eine funktionsfähige Bundeswehr zu sorgen.

Die anderen beiden Oppositionsfraktionen machten allerdings deutlich, dass sie dazu nicht bereit seien.

AfD: „Historisches Versagen des Westens"

„Ein neues Wettrüsten lehnen wir ab“, sagte Tino Chrupalla für die AfD. Das gleiche gelte für Waffenlieferungen an die Ukraine. Stattdessen plädiere die AfD für einen „Dialog mit allen Verhandlungspartnern“ inklusive Russland. Deutschland sei Russland zu Dank verpflichtet, denn es habe nach dem Zweiten Weltkrieg zum Frieden in Deutschland beigetragen und die deutsche Einheit mit ermöglicht. Putin sei nicht Russland, so Chrupalla, man dürfe die „Brücken nach Osten“ nicht abbrechen. Dem Kanzler warf er vor: „Herr Scholz, Sie haben heute leider den Kalten Krieg reaktiviert mit Ihrer Rede.“

Auch Alice Weidel (AfD) plädierte dafür, Verständnis für Russland aufzubringen. Die westlichen Ländern hätten Russland mit der Aussicht, die Ukraine möglicherweise in die Nato aufzunehmen, „gekränkt“, das sei ein „historisches Versagen des Westens“ gewesen, das die Ukraine nun ausbaden müsse.

Die AfD fordert in einem Entschließungsantrag „strategische Gespräche auf Augenhöhe mit Russland“. In einem zweiten Antrag spricht sich die Fraktion für eine Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht aus, um die „Verteidigung des eigenen Hoheitsgebiets“ sicherzustellen.

Die Linke: „Hochrüsten führt nicht zu Frieden“

Auch die Linksfraktion sprach sich klar gegen das geplante Sondervermögen für die Bundeswehr aus. „Dieses Hochrüsten werden wir als Linke nicht mit unterstützen“, betonte die Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali. Die Geschichte habe gezeigt, dass das nicht zu Frieden führe. Auch die Waffenlieferungen in Kriegsgebiet könne Die Linke „niemals akzeptieren“.

Stattdessen forderte Mohamed Ali die Bundesregierung auf, den Flüchtlingen aus der Ukraine zu helfen: „Herr Scholz, dieses Bekenntnis habe ich in Ihrer Rede leider vermisst!“ Ausgaben für die zivile Hilfe würde Die Linke natürlich unterstützen. Auch Sanktionen, die Putin träfen, begrüße ihre Fraktion. Allerdings warnte sie, diese würden nicht so wirkungsvoll sein wie erhofft, da die Reichen in Russland längst Wege gefunden habe, die Strafmaßnahmen zu umgehen. Dagegen müsse die Bundesregierung angehen.

Auch Die Linke legte einen eigenen Entschließungsantrag vor, indem sie forderte, von Waffenlieferungen und der Entsendung weiterer Truppen der Bundeswehr abzusehen und stattdessen diplomatisch auf die russische Regierung einzuwirken, um dem Krieg ein Ende zu bereiten.

Die dreistünde Sondersitzung könnt ihr euch hier im Video ansehen:

(jk)

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