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Enkelin von Eva Szepesi „Ich habe ein Trauma geerbt“

Nicole Tepasse

Celina Schwarz (26) ist die Enkelin von Eva Szepesi, die als Kind das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überlebt hat und die in der Gedenkstunde anlässlich des Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag spricht. Celina hat uns erzählt, was es bedeutet, ein Trauma zu erben und welchen Einfluss das Leben ihrer Großmutter auf ihr eigenes Leben hat.

Eine junge Frau in blauer seidener Bluse und schwarzer Jeans lächelt in die Kamera. Sie hat brustlange helle Haare.

Celina Schwarz wohnt seit einem Jahr in Israel. Von ihrer Großmutter Eva Szepesi hat sie von den Schrecken des Holocaust erfahren. © privat

In dieser Woche spricht deine Großmutter in der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag. Wie fühlt sich das für dich an?

Ich bin einfach stolz auf meine Oma, dass sie diesen Mut, diese Kraft, diese Stärke hat, ihre Geschichte vor so vielen Menschen zu erzählen – gerade im Deutschen Bundestag. Das ist für mich etwas ganz Besonderes. Und ich freue mich, dass ich sie bei diesem wichtigen Termin begleiten und mit dabei sein darf.

Du bist heute 26 Jahre alt. Wie alt warst du, als du zum ersten Mal mit deiner Großmutter über das gesprochen hast, was sie erlitten hat?

Ich war noch sehr jung, als ich meine Großmutter zum ersten Mal gefragt habe, warum sie diese Nummer auf dem Arm hat. Sie hat mir erklärt, dass böse Menschen ihr diese Nummer auf den Arm tätowiert hätten, und ich habe direkt gespürt, dass mehr dahinter steckt. Die Formulierung „böse Menschen“ hat ein komisches, ein schlimmes Gefühl bei mir hinterlassen. Viele Jahre später, bevor ich mit meiner Schulklasse nach Auschwitz gefahren bin, habe ich das Buch meiner Oma gelesen, das 2011 erschienen ist, und darüber habe ich dann noch viel mehr erfahren. Nachdem ich von der Schulreise nach Auschwitz zurückkam, hatte ich das Gefühl, dass ich dort eigentlich mehr Zeit gebraucht hätte, und ich habe meine Oma gefragt, ob wir zusammen dorthin reisen können. Sie hat erst gezögert, aber dann sind wir mit der Familie hingereist. Das war sehr besonders, dass sie dort stehen kann, mit ihrer Familie. Und es hat dazu geführt, dass sie uns mehr erzählt hat. Es kamen Dinge hoch, die wir vorher noch nie gehört hatten. Und wir haben dann auch mehr nachgefragt. Für uns als Familie war diese Reise sehr wichtig.

Du hast gesagt, dass die Geschichte deiner Großmutter dich immer begleitet. Sprichst du auch mit Freundinnen und Freunden darüber?

Bei meinen jüdischen Freundinnen und Freunden habe ich nicht das Gefühl, viel erzählen, viel erklären zu müssen. Sie haben ihre eigenen Geschichten, ihren eigenen Schmerz. Bei Freunden, die nicht jüdisch sind, habe ich manchmal das Gefühl, dass es eine Art Aufklärung ist, wenn ich mit ihnen über das Thema spreche, dass ich mehr erklären muss. Ich halte das Thema jedenfalls nicht geheim.

Eine ältere Frau mit Brille und rotem Schal neben einer jungen Frau.

Celina mit ihrer Großmutter Eva Szepesi. © privat

Deine Großmutter hat gesagt, für sie sei es eine Lebensaufgabe, über das zu sprechen, was sie erlebt hat. Wenn du jetzt beschreibst, du würdest erklären und aufklären, klingt das fast auch ein bisschen danach…

Ich spüre schon die Verantwortung, dass nicht in Vergessenheit gerät, was meiner Oma passiert ist. Auf eine bestimmte Art habe ich auch das Trauma meiner Großmutter geerbt. Es ist deshalb vielleicht auch so, dass es gut ist, darüber zu sprechen und mit diesem Trauma nicht alleine zu bleiben.

Wie äußert es sich, dass du das Trauma geerbt hast?

Wenn Freunde von mir sich früher in der Schule oder während des Studiums etwas auf den Arm geschrieben haben, eine Notiz, um etwas nicht zu vergessen, hat das immer ein komisches Gefühl in mir ausgelöst. Ich konnte das nie, mir etwas auf den Arm schreiben. Für meinen Bruder war es immer schwer, sich in einem Club einen Stempel auf das Handgelenk geben zu lassen. Uns ist erst vor zwei, drei Jahren in einem Gespräch bewusst geworden, dass es womöglich mit der Tätowierung auf dem Arm unserer Oma zu tun hat. Aber das Trauma äußert sich vielleicht auch in einem positiven Sinne: In unserem sehr sehr starken Familienzusammenhalt.

Seit einem Jahr lebst du in Israel und hast auch dort den Angriff der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober miterlebt. Wie hat das dein Leben verändert?

Der 7. Oktober war ein Schock – für Juden auf der ganzen Welt und auch für mich persönlich. Es ist der Tag, an dem die meisten jüdischen Menschen seit der Shoa ermordet wurden. Ich habe sofort an meine Oma gedacht und mich gefragt, wie es ihr mit diesen Nachrichten aus Israel geht. Für mich war das Gefühl der Existenzangst neu. Das real erleben zu müssen, ist schlimm. Freunde aus Deutschland haben gesagt, ich solle nach Deutschland kommen. Aber ich wusste nicht, wo ich wirklich sicher bin. Der Terroranschlag und die Raketenangriffe in Israel, und aus Deutschland habe ich die Nachrichten von antisemitischen Demonstrationen und Anschläge gesehen. Statt eines lauten Aufschreis, hat es eine sehr laute Stille gegeben. Das war sehr erschreckend für mich und ich habe mich gefragt: Wiederholt sich hier die Geschichte?

Wie geht es dir jetzt, fast vier Monate später?

Ich bin mit Polizeischutz vor meinem Kindergarten, vor meiner Schule aufgewachsen. Aber das jüdische Einrichtungen in Deutschland seit dem 7. Oktober noch viel mehr Schutz brauchen, dass beispielsweise auch meine Oma jetzt Polizeischutz hat, wenn sie in Deutschland in Schulen oder zu Lesungen geht, den sie vorher nicht gebraucht hat, ist für mich sehr erschreckend. Ich würde mir wünschen, dass das nicht notwendig ist, und ich würde mir wünschen, dass Menschen sich informieren, bevor sie irgendwelche Dinge posten und pauschal verurteilen. Der zunehmende Antisemitismus macht mir große Sorgen.