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80. Jahrestag des Kriegsendes „Wie können wir frei leben?“

Am 8. Mai 1945 um 23:01 schwiegen mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht die Waffen und der Zweite Weltkrieg war in Europa zuende. Anlässlich dieses Jahrestages erinnerte der Deutsche Bundestag an die Verbrechen des Krieges und die Opfer.

Ein Mann im dunklen Anzug steht am Redepult des Deutschen Bundestages.

Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier hat in einer Gedenkstunde, in der im Bundestag an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren erinnert wurde, dazu aufgerufen, „unsere Freiheit“ und „unsere Demokratie“ zu schützen. © DBT / Thomas Köhler / photothek

In seiner Rede skizzierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Zustand Deutschlands am 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation: „Städte in eine endlose Trümmerlandschaft verwandelt, statt Häusern nur noch Schuttberge und Gerippe aus Mauerresten.“ Mehr als 60 Millionen Menschenleben in Europa habe der Krieg gekostet, „sechs Millionen Jüdinnen und Juden ermordet, Millionen obdach- und heimatlos, verwaist, gebrochen, verwundet, hungernd“.

Deutsche hätten diesen „verbrecherischen Krieg“ entfesselt und ganz Europa in den Abgrund gerissen, das Menschheitsverbrechen der Shoah begangen: „Und es waren Deutsche, die nicht willens und nicht fähig waren, selbst das Joch des NS-Regimes abzuwerfen.“

„Der Geschichtslüge des Kreml entschieden entgegentreten“

Den Befreiern, den alliierten Soldaten und europäischen Widerstandsbewegungen, gelte „unser tiefer Dank“, so Steinmeier unter Beifall: „Das vergessen wir nicht!“ Vergessen werde auch nicht der Beitrag der Roten Armee, die Auschwitz befreit habe. „Aber gerade deshalb treten wir den heutigen Geschichtslügen des Kreml entschieden entgegen“, sagte der Bundespräsident.

„Der Krieg gegen die Ukraine ist eben keine Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus. Putins Angriffskrieg, sein Feldzug gegen ein freies, demokratisches Land, hat nichts gemein mit dem Kampf gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg. Am Ende ist diese Geschichtslüge nichts als eine Verbrämung imperialen Wahns, schweren Unrechts und schwerster Verbrechen!“

Dank für Versöhnung und Kampf gegen Antisemitismus

Steinmeier bekräftigte, die Ukraine in ihrem Kampf um ihre Freiheit, Demokratie und Souveränität zu unterstützen: „Ließen wir die Ukraine schutz- und wehrlos zurück, hieße das, Lehren des 8. Mai zu verraten!“ Zugleich dankte er für das Vertrauen, „das uns so viele Länder nach dem Krieg entgegengebracht haben“, und nannte beispielhaft Polen, Frankreich und Israel: „Wir Deutsche können für dieses Geschenk der Versöhnung nicht dankbar genug sein!“ 

Es müsse gewährleistet werden, so der Bundespräsident weiter, dass „es für Antisemitismus in unserer Gesellschaft keinen Raum“ gibt. Geschichtsvergessen und unerträglich sei es, „wenn sich Jüdinnen und Juden nicht mehr sicher fühlen in unserem Land“ –  unerträglich nicht nur für Jüdinnen und Juden, sondern auch „für unsere Demokratie“.

Der lange Weg zu Freiheit und Demokratie

Am 8. Mai 1945, so der Bundespräsident weiter, habe Deutschlands langer Weg zu Freiheit und Demokratie begonnen. Im Osten des Landes sei die Freiheit den Menschen während der Einparteienherrschaft der SED weiter vorenthalten geblieben. Die Aufarbeitung der Vergangenheit habe Verletzungen hinterlassen, auch zwischen den Generationen. In der DDR sei Antifaschismus zwar Staatsdoktrin gewesen, eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Geschichte habe aber nicht stattgefunden. In der jungen Bundesrepublik seien viele in neue Ämter gekommen, „die treue Diener des NS-Regimes gewesen waren“.

40 Jahre nach der Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker sei der 8. Mai als Tag der Befreiung „Kern unserer gesamtdeutschen Identität geworden“, hob der Bundespräsident hervor. Heute müsse man aber nicht mehr fragen, ob der 8. Mai „uns befreit“ hat, sondern: „Wie können wir frei bleiben?“

„Ein doppelter Epochenbruch“

Die Befreier von Auschwitz seien zu neuen Aggressoren geworden. Hinzu komme, dass nun auch die Vereinigten Staaten, die die internationale Nachkriegsordnung auf Basis des Völkerrechts maßgeblich mitgeschaffen und geprägt hätten, sich von ihr abwendeten: „Eine Erschütterung neuen Ausmaßes.“

Der Bundespräsident sprach von einem doppelten Epochenbruch, der das Ende des „langen 20. Jahrhunderts“ markiere: der Angriffskrieg Russlands und der Wertebruch Amerikas. „Die Faszination des Autoritären und populistische Verlockungen gewinnen auch bei uns in Europa wieder Raum, und Zweifel an der Demokratie werden laut“, so der Bundespräsident und weiter: „Wir schauen auf unser Land, in dem extremistische Kräfte erstarken. Sie verhöhnen die Institutionen der Demokratie und diejenigen, die sie repräsentieren. Sie vergiften unsere Debatten. Sie spielen mit den Sorgen der Menschen. Sie betreiben das Geschäft mit der Angst. Sie hetzen Menschen gegeneinander auf. Sie erwecken alte böse Geister zu neuem Leben.“

Wer Gutes für dieses Land wolle, der schütze das Miteinander, den Zusammenhalt und den friedlichen Ausgleich von Interessen, forderte der Bundespräsident: „Das erwarte ich von allen Demokraten in diesem Land.“

„Demokratien sind keine wehrlosen Opfer“

Die Geschichte sei kein Gefängnis, betonte Steinmeier, sondern ein kostbarer Erfahrungsschatz. Er appellierte, ihre Lehren nicht über Bord zu werfen, „wenn sie uns etwas abverlangen“, für „unsere Werte“ einzustehen, nicht in Ängstlichkeit zu erstarren und Selbstbehauptung zu beweisen. Es dürfe nicht „unser Weg“ sein, dass wieder das „Recht des Stärkeren in seiner ganzen Rohheit zurückkehrt“. 

Eine bessere Ordnung als die Demokratie, die anstrengend und nie fertig sei, gebe es nicht. Demokratien seien keine wehrlosen Opfer: „Wir müssen alles tun, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern, um Putins Landnahme aufzuhalten.“ Deutschland werde gebraucht, um um Frieden zu ringen, „wo er verloren gegangen ist“. Auch das sei der Auftrag des 8. Mai.

Klöckner: Ungeheuerliches Ausmaß deutscher Verbrechen

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner betonte in ihrer Rede, dass das „ungeheuerliche Ausmaß der deutschen Verbrechen“ im Zweiten Weltkrieg bis heute nicht allen bewusst sei. Das Gedenken am 8. Mai diene deshalb auch dazu, der Tendenz entgegenzuwirken, sich nicht mehr damit beschäftigen zu wollen. Allein die Erinnerung an den Holocaust jährlich am 27. Januar schütze nicht vor neuem Antisemitismus. „Während wir noch das ,Nie-wieder‘ beschwören, passiert das ,Wieder‘ schon jetzt, auf unseren Straßen, im Netz und sogar an Universitäten!“

Eine Frau in schwarzem Kleid steht am Redepult des Deutschen Bundestages.

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner während ihrer Rede in der Gedenkstunde am 8. Mai. © DBT / Thomas Köhler / photothek

Erinnerung an das Leid der Frauen und Mädchen

Klöckner erinnerte insbesondere an das Leid der Frauen und Mädchen im Krieg und begrüßte auf der Tribüne die 82-jährige Tochter eine Frau, die im Sommer 1945 Zeugin der Vergewaltigung ihrer Mutter wurde und die in einem Schreiben an den Bundestag gebeten hatte, am 8. Mai an die Frauen zu denken, „die Opfer von sexualisierter Kriegsgewalt wurden und bis heute im Rahmen kriegerischer Konflikte Opfer von Gewalt werden, weil sie Frauen sind“. In Butscha, Irpin und Mariupol, so Julia Klöckner, würden Mädchen und Frauen wieder zu Opfern sexualisierter Gewalt, eingesetzt als Kriegswaffe.

Das Leid der Frauen sei in der deutschen Nachkriegsgesellschaft verdrängt worden. Daher sei es an der Zeit, ihr Leid anzuerkennen und „auch die unglaubliche Kraft, mit der diese Frauen ums Überleben kämpften und entscheidend zum Wiederaufbau beitrugen“. 

Zum Abschluss ihrer Rede sagte Klöckner: „Wer befreit wurde, der ist auch verpflichtet, zu verteidigen – die Freiheit. Das ist der Auftrag des 8. Mai.“