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Pro und Contra Proteste der „Letzten Generation“

Die Proteste der „Letzte Generation“ spalten die Gesellschaft. Schaden sie der Klimabewegung? Die mitmischen-Autoren Nikolaus und Niko diskutieren diese Frage.

Collage zweier Fotos: Links Porträt von Autor Niko, rechts Porträt von Autor Nikolaus

Gehen die Proteste der „Letzten Generation“ zu weit? Niko sagt: Die Demokratie muss das aushalten. Nikolaus kritisiert die Gruppe. © privat

Contra

Nikolaus, 20: „‚Letzte Generation‘ verprellt die Leute“

Die Klimaschutz-Bewegung „Letzte Generation” polarisiert. Seit die Aktivisten und Aktivistinnen mit Aktionen wie Straßenblockaden auf die Klimakrise aufmerksam machen, sind sie in aller Munde. Mediale Beachtung konnten sie so immerhin erreichen. Dennoch wird der Bewegung auch viel Wut und Unverständnis entgegengebracht.

Proteste treffen die Falschen

Die Protest-Maßnahmen der „Letzten Generation“ richteten sich gegen die falschen Menschen, lautet ein viel genanntes Argument in diesem Zusammenhang. Eine Straßenblockade an einem Montagmorgen hindert oft hunderte Menschen daran, ihre Kinder zur Schule zu bringen oder zur Arbeit zu fahren. Und wer wegen der sogenannten Klimakleber zwei Stunden im Stau steht, denkt sich deshalb bestimmt nicht, dass man sich nun intensiv mit der Klimakrise auseinandersetzen und nachhaltiger leben möchte.

Ein schlechter Tausch

Bei einigen Menschen bildet sich so eine Anti-Haltung. Es kommt Frust auf. Und während das Verständnis für die Aktivisten und ihre Aktionen abnimmt, sinkt auch die Bereitschaft, sich mit ihren Zielen und Ideen zu beschäftigen. Ich glaube, diese Protestaktionen können so schnell zu einer Art Tauschgeschäft werden: Mediale Aufmerksamkeit für die Klimakrise wird gegen die Unterstützung der Bevölkerung eingetauscht.

Natürlich bedarf es radikaler Maßnahmen, um die Krise zu stoppen. Diese sind jedoch nur umsetzbar, wenn die deutsche Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür entwickelt und größtenteils dahintersteht. Manche Leute wenden sich durch die Aktionen von der Klimabewegung ab, auch um sich von den Aktionen selbst zu distanzieren.

Großkonzerne als Ziel der Proteste

Die Klimakrise kann nur durch Einschränkungen der Großkonzerne und des Konsumkapitalismus bekämpft werden. Statt beim „kleinen Mann“ anzusetzen, könnten sich die Proteste also auch in verstärktem Maße auf Politik und Unternehmen konzentrieren. Aktionen, die Großkonzerne blockieren, werden gesellschaftlich deutlich weniger negativ wahrgenommen, obwohl diese ebenfalls illegal sind.

Stimmung spielt Gegnern in die Hände

In einigen Fällen spielt die „Letzte Generation“ mit ihren Protesten auch den Gegnern der Klimabewegung in die Hände. Rechte, neoliberale und konservative Kreise freuen sich stets über einen Anlass, den „links-grün-versifften Unruhestiftern” Rücksichtslosigkeit und Extremismus vorzuwerfen. Auch wenn die Anschuldigungen aus dieser Ecke nichts mit der Realität zu tun haben, kann auf dieser Basis Stimmung gegen die ganze Klimabewegung gemacht werden. Sämtliche linke, grüne oder alternative Ideen und Ansätze werden oft mit den radikalen Aktionen der „Letzten Generation“ in Verbindung gebracht und so diskreditiert.

Kunst und Klimaprotest

Eine weitere umstrittene Strategie der „Letzten Generation“ sind Angriffe auf Kunstwerke. Auch wenn diese selten reale Schäden hinterlassen, geht bei jedem Tropfen Tomatensuppe, der auf einen van Gogh landet, ein Aufschrei durch die Medien. Auch hier gilt: Das Ziel der medialen Aufmerksamkeit für die Klimakrise wurde erreicht. Doch während der Zusammenhang zwischen Auto-Blockaden und Klimaschutz für die meisten Menschen zumindest noch nachvollziehbar ist, sehen die wenigsten ein, was der Angriff auf ein Gemälde mit der Klimakrise zu tun haben soll.

Die Menschen mehr abholen

Mittlerweile passen die Aktivisten den Charakter ihrer Proteste immer öfter an den öffentlichen Diskurs an. So finden teilweise Straßenblockaden statt, bei denen nur bestimmte Fahrspuren wechselseitig für kurze Zeit blockiert werden. Währenddessen verteilen Mitglieder der „Letzten Generation“ Gebäck und Info-Flyer an die wartenden Autofahrerinnen und -fahrer. Auf diese Weise assoziieren die Betroffenen künftig vielleicht nicht nur Frust und Negatives mit dieser Art von Protesten. Und vielleicht setzen sie sich eher mit dem Thema auseinander.

Mediale Aufmerksamkeit nutzen

Mediale Aufmerksamkeit konnte die „Letzte Generation“ mittlerweile in großem Stil erreichen. Nun ist es an der Zeit, diese zu nutzen und die Bevölkerung für die Klimakrise zu sensibilisieren. Aktionen, die Druck auf Politik und Wirtschaft ausüben, könnten hier für Veränderung und vor allem Solidarität sorgen. Will die „Letzte Generation“ Erfolg haben, muss sie auch Aktionen durchführen, die keine Straftaten beinhalten, um es ihren Gegnern nicht so leicht zu machen, sie als kriminelle Vereinigung darzustellen und in eine Ecke mit Terroristen und Extremisten zu stellen.

Pro

Niko, 23: „Protestbewegungen gehören zur Demokratie“

Viele Menschen kritisieren die „Letzte Generation“ und ihre extremen Formen des Protests. Ich nehme an, diese Menschen glauben, die Welt könnte gut ohne die „Letzte Generation“ auskommen. Also stellen wir uns doch einmal vor, in einer Welt ohne die Gruppe zu leben. Wäre die so anders?

Vielleicht gäbe es weniger Staus auf deutschen Straßen. Gut möglich ist auch, dass die Besuchervorschriften in Museen in Bezug auf Rucksäcke weniger streng wären. Die eigentliche Frage ist jedoch, ob unsere Gesellschaft anders mit dem Thema Klimaschutz umgehen würde.

Polarisierung existiert auch ohne die „Letzte Generation“

Mit oder ohne „Letzte Generation“– es gäbe Menschen in unserem Land, die fänden, dass Klimaschutz nur eines von vielen wichtigen Themen ist, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Und demgegenüber stünden andere Menschen, die der Meinung wären, dass es nichts Wichtigeres als den Klimaschutz gibt. In jedem Fall wäre die gesellschaftliche Debatte über die Klimakrise nicht gelöst. Sie würde mit denselben Argumenten und derselben unversöhnlichen Härte geführt werden.

Und schon das allein zeigt, wie ungerecht es ist, der „Letzten Generation“ die Polarisierung, die man beim Thema Klimaschutz beobachten kann, vorzuwerfen. Die Gruppierung ist nicht Ursache, sondern Symptom der gesellschaftlichen Debatten zu diesem Thema.

Es geht nicht um „richtig“ oder „falsch“

Wer die Maßnahmen der „Letzten Generation“ als „richtig“ oder „falsch“ einsortieren will, kommt nicht umhin, grundsätzlich zu fragen, welche Protestformen in einer Demokratie „richtig“ sind.

Natürlich ist es korrekt, hierbei zunächst auf Rechtmäßigkeit zu verweisen. Einige der Aktionen der "Letzten Generation" sind illegal. Diese müssen offensichtlich im Rahmen der Gesetze geahndet werden, daran führt kein Weg vorbei. Bedenken muss man jedoch, dass die „Letzte Generation“ genau hierauf abzielt und Illegalität absichtlich provoziert. Darum kann die Diskussion über „richtig“ und „falsch“ auch nicht an diesem Punkt enden. Die Situation ist zu komplex, als dass man sie anhand von zwei Kategorien verstehen könnte.

Kritik gehört zur Demokratie

Es gehört zu dem System Demokratie, dass Zustände fortlaufend kritisiert und Veränderungen gefordert werden. Das unterscheidet sie von autoritären Herrschaftsformen wie Diktaturen. Dass diese Prozesse erfolgreich und friedlich verlaufen können, hat sich gerade in der Geschichte der Bundesrepublik mit ihren verschiedenen Protestbewegungen gezeigt. Man kann hier also darüber sprechen, ob einzelne Maßnahmen rechtliche Grenzen überschreiten oder nicht. Nicht aber, ob eine ganze Gruppe „richtig“ oder „falsch“ ist.

Es ist wichtig anzuerkennen, dass die „Letzte Generation“ ein Ausdruck von zivilgesellschaftlicher Partizipation ist. Die Mitglieder der Gruppe sind Bürgerinnen und Bürger, die sich aktiv einbringen und für ihre Überzeugungen eintreten. Gleichzeitig gehört zur Kritikfähigkeit der demokratischen Gesellschaft auch, dass man die Methoden der „Letzten Generation“ kritisieren kann. In einer funktionierenden Demokratie sollte Platz für verschiedene Meinungen und Ansätze sein – und für kontroverse Diskussionen darüber.

Raum für Protest: ein Privileg

Protestbewegungen sind Ausdruck einer lebendigen Demokratie, auf die ein Land zurecht stolz sein kann. Und das bedeutet nicht, dass man auf die „Letzte Generation“ selbst stolz sein muss. Aber die Demokratie ist als einziges System in der Lage, solche Kritik überhaupt zuzulassen. In einer Demokratie gibt es Raum für zivilen Ungehorsam und Protest, solange dieser gewaltfrei und friedlich bleibt.

Wer Grenzen fordert, muss Grenzen akzeptieren

Es ist leicht, Wut und Hass auf die „Letzte Generation“ zu projizieren. Sie provozieren durch ihre radikale, kompromisslose und verblendete Haltung, auch durch ihre rechtswidrigen Aktionen. Wer deshalb fordert, der Gruppe harte Grenzen aufzuzeigen, muss konsequenter Weise die gleichen Grenzen für das eigene Verhalten akzeptieren. Dazu passt es nicht, mit Körperverletzungen auf Straßenblockaden zu reagieren. Selbstjustiz hat in diesem System keinen Platz. Wer die „Letzte Generation“ für ihr rechtswidriges Verhalten kritisiert, muss sich ebenfalls an die Grenzen des Rechts halten.

Und wer wegen einer Straßenblockade selbst im Stau stecken bleibt, wird sich völlig zurecht über die „Letzte Generation“ ärgern. Ich finde aber, man sollte sich trotzdem einmal mit der Frage beschäftigen, ob die Herausforderung im Umgang mit der „Letzten Generation“ wirklich die Gruppe selbst ist. Geht es vielleicht nicht eher darum, die eigene Toleranz gegenüber Kritik auszubauen? Denn dann könnte die Demokratie in Deutschland an den Protesten der „Letzten Generation“ wachsen.

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