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Wissenschaft und Forschung Hochschulbildung und Forschung sollen internationaler werden

Naomi Webster-Grundl und Jasmin Nimmrich

Ein internationales Netzwerk von Wissenschaft und Forschung ist essentiell: Für den Austausch, um gemeinsame Lösungen zu finden, um jene zu unterstützen, deren Freiheiten eingeschränkt sind. Doch welche Gefahren kann das auch bergen und wie kann Deutschland sich davor schützen? Das wurde in einer Bundestagsdebatte diskutiert.

Studierende in einem Hörsaal

Die Bundesregierung will Bildung und Forschung in ihrer internationalen Ausrichtung kontinuierlich weiterentwickeln und unterstützen. © picture alliance / dpa /Uli Deck

FDP: „Wissenschaft lebt von Mobilität“

Stephan Seiter (FDP), Obmann im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, betonte zu Beginn der Debatte die Wichtigkeit der Internationalisierung der Lehre für die Bundesrepublik Deutschland. Die Wissenschaft solle weiterhin als internationale Disziplin erhalten bleiben und den grenzübergreifenden Austausch ermöglichen. Doch durch die geopolitische Lage, die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine entstanden ist, sei die internationale Forschungs- und Wissenschaftskooperation durchaus herausgefordert. Nun stellten sich Fragen wie: „Mit wem forschen wir? Über was forschen wir? Wo forschen wir und wie forschen wir?“ Als Antwort auf diese Fragen gelte es, die Wissenschaftsfreiheit zu stärken, sowohl national als auch international, und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu schützen, egal wo sie forschen.

Doch auch um die Stärkung der nationalen Gegebenheiten müsse man sich kümmern. Auf die Frage, wie leicht man es internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mache, nach Deutschland zu kommen, fand Seiter selbst Antworten: Er diagnostizierte „Luft nach oben“ in der Bereitstellung von Visa, hier würden die entsprechenden Behörden bereits unterstützt. Auch sei die Willkommenskultur zu hinterfragen, denn diese müsse es ermöglichen, die eigene Arbeit ohne große Hürden aufzunehmen, und sie müsse verdeutlichen, dass Deutschland eine weltoffene Gesellschaft sei, in der Menschen aus dem Ausland willkommen sind. 

Seiter betonte die Erkenntnis, die sich auch im Bericht der Bundesregierung wiederfinde, dass „Wissenschaft von Mobilität lebt“. Fester Bestandteil der internationalen Kooperation sei die Möglichkeit für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, in andere Länder zu gehen, dort zu forschen und wieder zurückzukommen. Jegliche Bemühungen, diese Bewegungen und den Austausch zu beschränken oder ihn zu reglementieren, würden der nationalen wie internationalen Wissenschaft schaden. Die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit sei nötig, da Herausforderungen wie der Klimawandel es notwendig machten, international verfügbares Wissen und Ressourcen gemeinsam zu nutzen. Daher forderte Seiter: „Es darf keinen Protektionismus geben. Es darf keine Abspaltung geben. Es muss aber auf jeden Fall eine vernünftige, nicht-naive Wissenschaftsdiplomatie geben, wo wir uns genau anschauen, mit wem über was, wo und wie wir forschen.“

CDU/CSU: „Falsche Prioritätensetzung“

Alexander Föhr (CDU/CSU), ordentliches Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, stellte fest, dass Wissenschafts- und Hochschulbildung schon immer grenzübergreifend operierten. Durch weltweite Kooperationen und weltweiten Wettbewerb würden neue Erkenntnisse gewonnen und durch freie Kommunikation würde Wissen verbreitet und geprüft. Deutschland gehöre in diesem Wissenschaftssystem zu den Top-Wissenschaftsstandorten. Diese Stellung sei dabei zu großen Teilen den CDU/CSU-Regierungen, die den Haushalt des BMWF zwischen 2005 und 2021 mehr als verdreifacht und somit zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung beigetragen hätten, zu verdanken. 

Die aktuelle Bundesregierung kritisierte Föhr hingegen für die Mittelkürzung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, der Goethe-Institute und der deutschen Auslandsschulen. Dies schätzte er als „fatal, falsche Prioritätensetzung“ ein. Denn Institutionen wie die Alexander-von-Humboldt-Stiftung seien Brückenbauerinnen für den internationalen Austausch, die nun aber aufgrund der Kürzungen durch die Bundesregierung Programme und Stipendien streichen müssten

„Außenwissenschaftspolitik darf sich nicht in dramatischen Interviews und langen Fernreisen erschöpfen, sonst bleibt sie reine Symbolpolitik“, forderte Föhr auch für den Bereich der Wissenschaftsfreiheit. Seine Aufforderung an die Bundesregierung: „Stoppen Sie den Rückzug aus der internationalen Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung, lösen Sie ihr Versprechen an die deutschen Vermittlerorganisationen ein, sorgen Sie für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Stipendien.“ 

SPD: „Wer zum Studieren und Forschen nach Deutschland kommt, darf nicht auf Rassismus treffen.“

Ruppert Stüwe (SPD), ordentliches Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, wies darauf hin, dass ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern und Forschern, wie der DAAD und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung es geschaffen haben, für Deutschland von unschätzbarem Wert sei. Dabei gehe es um Kooperation auf Augenhöhe in der ganzen Welt. Der von den Ampel-Fraktionen vorgelegte Antrag gebe dabei eine strategische Orientierung für die Zusammenarbeit in der Wissenschaft, so Stüwe. Indem man die Internationalisierung der Wissenschaft und Forschung weiterhin stütze, wirke man geopolitisch einer gespaltenen Welt entgegen, schaffe stabile Netzwerke und investiere gegen globale Ungleichheit und in die Standfestigkeit des Systems bei globalen Krisen. Denn die Fragen der Zukunft bei Energieversorgung, Klimawandel oder Bekämpfung einer neuen Pandemie würden nicht alleine in Europa gelöst werden können, betonte Stüwe. 

Außerdem müsse sich Deutschland für diejenigen einsetzen, bei denen Freiheit und Sicherheit der Forschung nicht gegeben sei. Die Mittel für den Schutz von geflüchteten Studierenden und Forschern müssten verstetigt, Visa an Wissenschaftler und ihre Familien müssten schneller vergeben werden. Es brauche eine feste Anlaufstelle für bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, „auch damit ihr Wissen nicht durch Krieg und Unterdrückung verloren geht“, so Stüwe. Als wichtigen Grundsatz formulierte er: „Wer zum Studieren und Forschen nach Deutschland kommt, darf nicht auf Rassismus treffen. Nicht am Arbeitsplatz und nicht in der Gesellschaft.“ Wichtig sei aber auch, dass die Sicherheitsstrukturen im Bereich von Forschung und Wissenschaft deutlich gestärkt würden. „Freiheit der Wissenschaft ist kein Freibrief für Naivität. (...) Wir brauchen eine freie, sichere und verantwortungsvolle Wissenschaft“, schloss Stüwe seine Rede.

AfD: „Vor der eigenen Tür kehren“

Götz Frömming (AfD), ordentliches Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, stellte die Frage, welche Werte und wessen Interessen im Titel des Antrags der Ampel-Fraktionen überhaupt gemeint seien. Er zitierte aus dem Antrag: „Des Weiteren lässt sich seit rund 15 Jahren in vielen Staaten ein Rückgang freiheitlicher Selbstbestimmung bzw. demokratischer Mitbestimmung beobachten.“ Er stellte die Vermutung auf, dass damit von Staaten wie Iran, Katar oder China die Rede sei. An ein bestimmtes Land würde die Ampel-Fraktion dabei nicht denken, so Frömming, und das sei Deutschland. Dabei liege auch hier einiges im Argen, was man gerade während der Corona-Pandemie gesehen habe. Er forderte einen Untersuchungsausschuss, um unter anderem die Rolle der „keineswegs freien Wissenschaft in dieser Zeit“ endlich aufzuarbeiten. 

Dann zählte er drei Protestaktionen von Studierenden aus den letzten drei Jahren auf und erklärte, dass die Bundesregierung für die Wissenschaftsfreiheit erst einmal vor der eigenen Haustür kehren müsse. Des Weiteren wies er auf die Gefahr der Wissenschaftsspionage hin: „Mit zunehmender Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung steigen die Möglichkeiten ausländischer Abschöpfungs- und Einflussversuche an unseren Universitäten“, so Frömming. Inzwischen seien 15.000 Forscher und Studierende beispielsweise aus China in Deutschland. „Wir müssen endlich genauer hinsehen, was sie hier tun. Internationalisierung ist gut, aber wir dürfen nicht naiv sein und müssen unser eigenes nationales Interesse im Blick behalten.“

Bündnis 90/Die Grünen: „Wissenschaft braucht Technik, Toleranz, Talente, keinen Hass und keinen Nationalismus“

Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, antwortete seinem Vorredner Frömming. Dafür zitierte er Johann-Wolfgang von Goethe: „Es gibt keine patriotische Kunst und keine patriotische Wissenschaft, beide gehören wie alles hohe Gute der ganzen Welt an.“ Goethe habe recht, denn gute Wissenschaft sei international und weltoffen, so Gehring. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Rassismus wies er auf die Gefahr hin, die durch Rassismus  auch auf die Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung ausgehe: „Wissenschaft braucht Technik, Toleranz, Talente, keinen Hass und keinen Nationalismus.“

Deutschland könne stolz sein auf die Positionierung in der internationalen Wissenschaft. Nichtsdestotrotz seien Bemühungen notwendig, um die Qualität der Forschung zu wahren und sie weiterzuentwickeln. Diese beträfen unter anderem den Bürokratieabbau, die Visa-Beschleunigung, eine Willkommens-Infrastruktur an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, verlässliche Karrierepfade, familien- und diversitätsfreundliche Campi sowie die Stärkung von Austauschprogrammen und Mittlerorganisationen. Er sprach eine Einladung an deutsche Studierende, Azubis und Forschende aus, mit Erasmus oder den DAAD-Stipendien Auslandserfahrung zu sammeln.

Der vorliegende Antrag der Bundesregierung sei eine Antwort auf viele neue Herausforderungen sowie auf die Gefährdung der weltweiten Wissenschaftsfreiheit. Gehring machte darauf aufmerksam, dass 3,6 Milliarden Menschen, also 45 Prozent der Weltbevölkerung, in autoritären Regimen lebten, in denen die Wissenschaftsfreiheit ganz oder vollständig eingeschränkt sei. Und dies müsse sich dringend ändern. Nötig dafür sei ein Ausbau der Unterstützung für bedrohte internationale Wissenschaftler und Studierende.
Die größte Bedrohung in Bezug auf Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage sei nach Einschätzung des Bundesverfassungsschutzes jedoch China. Darauf müsse reagiert werden, denn „maximale Freiheit geht nur mit mehr Schutz und mehr Sicherheit.“ Daher sei eine stärkere interessens- und wertegeleitete Wissenschaftskooperation, eine „Außenwissenschafts-Realpolitik“ nötig.

Die gesamte Debatte zur Internationalisierung von Wissenschaft und Lehre

Der Antrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur Internationalisierung von Hochschulbildung und Forschung wurde im Anschluss an die Debatte durch das Parlament mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Gruppe Die Linke angenommen. Die Oppositionsfraktionen CDU/CSU und AfD sowie die Gruppe BSW stimmten gegen die Vorlage.

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