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Gedenkveranstaltung Züge in das Leben, Züge in den Tod

Marejke Tammen

Vor 85 Jahren fuhren in Berlin die ersten Züge ab, mit denen mehr als zehntausend jüdische Kinder in Sicherheit gebracht wurden. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas erinnerte an diese Kindertransporte und warnte vor wachsendem Antisemitismus in Deutschland.

Eine Frau mit schulterlangen hellen Haaren steht an einem Rednerpult, vor ihr auf dem Pult liegen mehrere weiße und rote Rosen. Hinter ihr eine Bahn-Station im Winter.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vor der Skulptur „Züge in das Leben – Züge in den Tod“ des jüdischen Künstlers Frank Meisler, das am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin steht. © Marc Beckmann

Als Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am Dienstag, den 28. November 2023, abends zur Gedenkveranstaltung in der Friedrichstraße kommt, um an die Kindertransporte während des Nationalsozialismus zu erinnern, ist der Platz vor dem Bahnhof mit Schnee bedeckt. „Wir erinnern heute an diese beispiellose Rettungsaktion, die vor 85 Jahren begann“, sagt Bärbel Bas. Während sie spricht, wird ihr Atem an der kalten Luft sichtbar. Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, wie sich der Winter im Dezember 1938 angefühlt haben muss, als von hier die ersten Kindertransporte starteten.

Mit nur einem Koffer, einer Tasche, zehn Reichsmark und einem Foto stiegen in den Jahren 1938 und 1939 mehr als zehntausend jüdische Kinder in Züge, die sie aus Deutschland in Sicherheit brachten. „Für die Kinder bedeutete diese Reise Sicherheit. Aber auch einen schmerzlichen Abschied, traumatische Trennung, Verlust der Sprache und Identität“, sagte Bas. Das eine Foto, das die Kinder mitnehmen durften, sei für viele „die einzige Erinnerung an ihre Familien. Die einzige Verbindung zu Heimat und Herkunft“ gewesen.

Zehntausende überleben dank der Kindertransporte

Frank Meisler war eines dieser Kinder. In einem Viehwaggon gelang ihm die Flucht vor den Nationalsozialisten. Kurz darauf wurden seine Eltern in das Warschauer Ghetto verschleppt und in Auschwitz ermordet. Um an das Schicksal der jüdischen Menschen und vor allem der Kinder im Nationalsozialismus zu erinnern, baute Meisler viele Jahre später eine Bronzeskulptur mit dem Titel „Züge in das Leben – Züge in den Tod“.

Auf gerade einmal sechs Quadratmetern wird das Schicksal der vielen jüdischen Kinder zur Zeit des Nationalsozialismus spürbar. Das Kunstwerk zeigt zwei farblich unterschiedliche Gruppen von Kinderfiguren, die in entgegengesetzte Richtungen gehen. Die größere Gruppe bilden zwei Mädchen und drei Jungen, die für die 1,5 Millionen jüdischen Kinder stehen, die in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ermordet wurden. Die kleinere Gruppe, bestehend aus nur zwei Kinderfiguren aus hellerer Bronze, blickt in die andere Richtung und symbolisiert damit die mehr als 10.000 Kinder, die dank der Kindertransporte überlebt haben.

Die britische Botschafterin Jill Gallard während ihrer Rede vor der Bronzeskulptur „Züge in das Leben – Züge in den Tod“. © Marc Beckmann

Neues Leben in Großbritannien

Neben der Skulptur in der Friedrichstraße gibt es noch ein weiteres ähnliches Kunstwerk in London mit dem Titel „Kindertransport – Die Ankunft“. Der Grund: Die meisten Kindertransporte endeten in London. Mehr als 10.000 Kinder fanden bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Zuflucht in Großbritannien.

„Das britische Parlament hatte beschlossen, unbegleitete jüdische Kinder einreisen zu lassen. Über die BBC wurden Pflegefamilien gesucht. Die Anteilnahme der britischen Bevölkerung war groß“, sagte Bas und bedankte sich bei der britischen Botschafterin Jill Gallard, die ebenfalls an der Gedenkveranstaltung teilnahm.

Kein Platz für Antisemitismus

„Für die britische Geschichte war der Kindertransport eine wichtige Sache“, erklärte die Botschafterin. „Die Geschichte der Kindertransporte erinnert uns daran, dass der Funke auch in der dunkelsten Zeit nicht verloren geht.“ Doch sie sprach auch über die Gegenwart und betonte: „Demokratie darf nicht als selbstverständlich wahrgenommen werden. Wir müssen gemeinsam unsere Werte vertreten und gegen Antisemitismus kämpfen.“

Auch die Bundestagspräsidentin sieht in dem Denkmal eine Mahnung: „So rückt das Geschehene in das gesellschaftliche Bewusstsein. In die Gegenwart. Und mahnt zur Wachsamkeit.“ Dies sei heute „notwendiger denn je“, denn viele Jüdinnen und Juden müssten noch heute offenen Antisemitismus und Hass auf den Straßen Deutschlands erleben. „Antisemitismus darf keinen Platz in unserem Land haben, egal in welchem Gewand.“

Eine Ausstellung über die Kindertransporte wird im kommenden Jahr vom 31. Januar bis 23. Februar 2024 im Bundestag gezeigt. Mehr Infos dazu gibt es dann auch hier auf mitmischen.de.