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Experte für Indigene Völker „Indigene sind die besten Naturschützer“

Indigene Völker leben unter gefährlichen Bedingungen: Ihr Lebensraum ist bedroht, oft geht es dabei um Rohstoffe. Niklas Ennen von Survival International erklärt, warum der Schutz Indigener für uns alle wichtig ist.

Survival International unterstützt indigene Völker dabei, gehört zu werden. Zu selten seien sie politisch in ihren Heimatländern vertreten, sagt Niklas Ennen. © privat

Survival International ist eine Organisation, die sich für die Rechte indigener Völker einsetzt. Wie können wir uns Ihre Arbeit vorstellen?

Wir verstehen uns als globale Bewegung für indigene Völker. Unser Ziel ist es, Indigene dabei zu unterstützen, ihr Leben zu verteidigen, ihr Land zu schützen und ihre Zukunft selbst zu bestimmen.

Die Arbeit unserer Menschenrechtsorganisation fokussiert auf drei Bereiche: Zum einen reisen unsere Experten und Expertinnen in indigene Gebiete und recherchieren vor Ort. Sie versuchen Menschenrechtsverletzungen aufzudecken und bauen Partnerschaften mit indigenen Völkern auf.

Bei den Partnerschaften kommt es uns darauf an, auf Augenhöhe mit den Völkern zu arbeiten. Wir sprechen nicht für sie, sondern bieten ihnen eine Plattform, auf der sie zur Weltöffentlichkeit sprechen können. Wir haben zum Beispiel das Projekt „Tribal Voice“: Für dieses Projekt nehmen indigene Menschen Botschaften auf Video auf, die wir als Organisation in den sozialen Medien teilen. Darüber hinaus organisieren wir auch Events, zum Beispiel in Deutschland, zu denen wir indigene Rednerinnen und Redner einladen.

Und der dritte wichtige Bereich: Wir versuchen mit unserer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für mehr Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu sorgen. Denn nur, wenn genug Leute über die kritische Lage von indigenen Völkern Bescheid wissen, können sie sich dafür einsetzen, dass sie als gleichwertiger Teil unserer Gesellschaft behandelt werden und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten beendet werden.

Um welche gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten geht es?

In den Ländern, in denen indigene Völker beheimatet sind, sind sie oft politisch kaum repräsentiert. Das bedeutet, dass sie von den nationalen Gesellschaften ausgegrenzt und ihre politischen und sozialen Rechte nicht anerkannt werden. Indigene Völker werden häufig sehr abwertend behandelt, oft haben sie es mit Argumentationen zu tun, wie wir sie vor 500 Jahren gehört haben. Dann heißt es, indigene Völker müssten „entwickelt werden“ oder dass indigene Völker nicht produktiv mit ihrem Land umgingen und man deshalb die Kontrolle darüber übernehmen müsse. Dahinter steckt natürlich meist, dass man die Rohstoffe, die auf ihren Gebieten vorkommen, ausbeuten möchte. Aktuell geht es dabei oft um Gold.

Wie definiert man indigene Völker denn eigentlich?

Wir definieren indigene Völker als die Menschen, die in einem Gebiet gelebt haben, bevor Menschen aus anderen Teilen der Welt dort angekommen und in die Lebensbereiche der Indigenen eingedrungen sind. Diese Neuankömmlinge dominierten dann die Gesellschaftsform der jeweiligen Länder – und tun das bis heute und sie unterscheiden sich in ihrer Lebensweise grundlegend von indigenen Völkern.

Indigene Völker haben außerdem eine eigene Kultur und sehr oft eine eigene Sprache. Und ganz wichtig: Sie sehen sich selbst als unabhängiges Volk und empfinden sich nicht als Teil der nationalen Kultur. Ein bekanntes Beispiel für ein indigenes Volk sind die Massai, die als Viehhirten in Tansania und Kenia leben.

Wir bei Survival International legen außerdem Wert auf einen weiteren Aspekt in der Definition: Wir arbeiten hauptsächlich mit indigenen Gruppen zusammen, die ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Umwelt haben und zum Überleben auf sie angewiesen sind. Das ist nicht mehr bei allen indigenen Völkern der Fall. Diese Völker verfügen über umfangreiches Wissen über die Natur um sie herum und finden dort alles, was sie zum Überleben brauchen: Nahrung, Medizin, Baumaterial für ihre Behausung. Sollte ihr Wald verschwinden, wird es für sie nicht mehr möglich sein, so zu leben, wie sie es sich wünschen.

Beim Schutz der indigenen Bevölkerung geht es immer auch um Umweltschutz und den Erhalt der Artenvielfalt. Können Sie uns etwas genauer erklären, wie dieser Zusammenhang zustande kommt?

Zuerst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass indigene Völker die besten Naturschützerinnen und -schützer des Planeten sind. In ihren Gebieten findet sich etwa 80 Prozent der globalen Artenvielfalt, obwohl sie nur ungefähr fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen.

Die indigenen Völker sind der beste Schutz gegen Abholzung der Wälder. Das kann man sehr gut auf Satellitenbildern erkennen. Oft erkennt man eine richtige Insel aus Wald inmitten von abgeholzter Fläche. Dann weiß man: Dort lebt ein indigenes Volk. Auf den Flächen darum herum wird – beispielsweise in Brasilien – Soja angebaut oder wir finden dort Rinderherden für den Fleischkonsum.

Und obwohl wir wissen, dass indigene Völker die besten Naturschützer sind, lernen die westlichen Länder nicht von ihnen. Man könnte doch zu dem Schluss kommen, dass es wichtig ist, indigenen Völkern besonders viel Raum zu geben, damit sie den Planten für uns alle schützen. Leider ist oft das Gegenteil der Fall: Indigene Völker werden gerade in Afrika und Asien von großen Umweltorganisationen im Namen des Naturschutzes von ihren angestammten Gebieten vertrieben, um dort sogenannte Schutzgebiete einzurichten. Bei diesen Vertreibungen kommt es oft zu schweren Menschenrechtsverletzungen wie Folter, sexueller Gewalt, aber auch Mord. Und das führt tragischerweise dazu, dass die Gesellschaften, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen, am stärksten von den Folgen betroffen sind und nun auch noch für die zerstörerische Lebensweise des globalen Nordens zahlen müssen.

Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass die Naturschutzgebiete, die von westlichen Organisationen verwaltet werden, die Biodiversität in den Gebieten nicht erhalten oder erhöhen können. Deswegen bezeichnen wir die Naturschutzbemühungen einiger großer westlicher Umweltschutzorganisation als „grünen Kolonialismus“. Das Vorgehen ist rassistisch, weil sie der lokalen Bevölkerung nicht zutrauen, ihre Gebiete selbst zu verwalten. Und dahinter steckt die uralte Haltung, dass es eines „weißen Mannes“ bedarf, um die Natur zu schützen.

2021 hat die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen Nr. 169 zum Schutz indigener Völker der ILO (Internationalen Arbeitsorganisation) ratifiziert. Wie wichtig sind solche Prozesse für Ihre Arbeit?

Die sind sehr wichtig. Die ILO-169 ist das einzige verbindliche internationale Abkommen, das sich spezifisch mit dem Schutz indigener Völker widmet. Wir von Survival International haben uns seit der Gründung des Berliner Büros dafür eingesetzt, dass Deutschland diesem Abkommen beitritt.

Es hat eine entscheidende Signalwirkung, wenn ein einflussreiches und reiches Land wie Deutschland dieses Abkommen ratifiziert. Wir hoffen, dass andere Länder diesem Beispiel folgen, und erwarten von der Bundesregierung, dass sie andere Länder dazu auffordert, dem Abkommen beizutreten. Derzeit haben nur 24 Staaten das Abkommen unterzeichnet, obwohl es schon mehr als 20 Jahre alt ist. Und wir erhoffen uns außerdem von der Bundesregierung, dass Gesetze auf nationaler Ebene erlassen werden, die die Einhaltung der ILO-169 sicherstellen.

Außerdem bedeutet die Konvention, dass es klare Regeln dafür gibt, wie sich Organisationen zu verhalten haben, wenn sie Projekte auf indigenem Land planen oder mit den Völkern zusammenarbeiten wollen. Das ist ein wichtiger Schritt.

Sie sagen, dass indigene Völker keine angemessene Anerkennung für ihr Umweltschutz-Engagement bekommen. Hat sich die gesellschaftliche und politische Bedeutung der indigenen Bevölkerung in den letzten Jahren trotzdem verändert?

Wir beobachten schon eine Veränderung. Das Bewusstsein für die Bedeutung und Bedürfnisse indigener Völker ist in den letzten Jahren gewachsen. Die Leistung der indigenen Völker beim Klimaschutz wird vermehrt anerkannt, besonders im wissenschaftlichen Bereich.

Außerdem haben sich die indigenen Völker heutzutage besser als jemals zuvor organisiert. Sie kämpfen dafür, dass sie in Parlamenten vertreten sind und ihre Meinung bei politischen Debatten eine Rolle spielt. Auch Tools wie Social Media werden verstärkt von diesen Gruppen eingesetzt, um sich selbst Gehör zu verschaffen.

Aber trotz dieser positiven Entwicklung ist es so, dass die Gefahren für individuelle Gebiete weiterhin bestehen oder sogar größer geworden sind. Zum Beispiel wenn es um den Abbau der seltenen Erden geht, die bei der E-Auto-Produktion eingesetzt werden, oder um den schon erwähnten Gold-Abbau. Deswegen sind die indigenen Völker so gefährdet wie nie zuvor. Um ein Beispiel zu nennen: Auf dem Gebiet der Yanomami in Brasilien befinden sich derzeit etwa 30.000 Goldgräber. Wir arbeiten seit 50 Jahren mit den Yanomami zusammen und leider sind dort aktuell mehr Goldgräber als zu Beginn unserer Zusammenarbeit unterwegs.

Zur Person

Niklas Ennen

Niklas Ennen wurde 1989 in Frankfurt am Main geboren. Nach der Schule hat er ein freiwilliges Ökologisches Jahr in Hamburg absolviert, bevor er für sein Studium nach Bremen, Frankfurt und Südafrika gezogen ist. Seit drei Jahren ist er in Berlin bei Survival International und arbeitet hier als Pressesprecher.

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