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Aktuelle Stunde Meinungsfreiheit an Schulen

Jasmin Nimmrich

Ein Polizeieinsatz an einem Gymnasium in Ribnitz-Damgarten, bei dem es um verbreite rechtsextreme, mutmaßlich staatsschutzrelevante Inhalte in sozialen Medien ging, war Anlass einer Aktuellen Stunde zur Meinungsfreiheit an Schulen. Die Abgeordneten lieferten sich einen harten Schlagabtausch.

Blick in ein Klassenzimmer, der Fokus liegt auf zwei Mädchen, die ihre Hände erhoben haben, um sich zu melden.

Wie steht es um die Meinungsfreiheit von Schülerinnen und Schülern? Diese Frage beschäftigte die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in einer Aktuellen Stunde. © picture alliance / Hauke-Christian Dittrich

AfD: „Wir möchten, dass unsere Kinder ihre Gedanken frei und ohne Angst entwickeln können“

Leif-Erik Holm (AfD), der Landesvorsitzende der AfD Mecklenburg-Vorpommern, begründete die Einberufung der Aktuellen Stunde mit der anhaltenden Gefährdung der Meinungsfreiheit. Zuletzt habe sich diese im Fall einer Schülerin aus seinem Wahlkreis offenbart. Diese verursachte mit geposteten Inhalten in Sozialen Medien einen Polizeieinsatz an ihrer Schule in Ribnitz-Damgarten. Holm kritisierte die fehlende Empathie für die Schülerin, die auf das Bekanntwerden des Vorfalles folgte. Als Begründung für das polizeiliche Vorgehen sei einzig und allein die Gesinnung“ der Schülerin herangezogen worden. Bei dem Fall wurde deutlich eine rote Linie überschritten“, so Holm. Hier wurde ein junges Mädchen mit der ganzen Macht des Staates drangsaliert und das ist einer Demokratie absolut unwürdig.“ 

Der Staat habe übergriffig gehandelt und dies wirke sich nun auch auf die Kinder aus. Holm formulierte den Wunsch: Wir möchten, dass unsere Kinder ihre Gedanken frei und ohne Angst entwickeln können.“ Er dementierte, dass die AfD-Fraktion mit Vergleichen zum Stasi-Regime der DDR übertreibe. Auch Politiker anderer Parteien hätten Bedenken bezüglich einer Meinungsbeschneidung geäußert. So zitierte Holm den Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki (FDP) mit den Worten: Ich hätte mir nie träumen lassen, dass eine sozialdemokratische Innenministerin selbst zu einer Gefahr für die Demokratie wird“, die dieser in einem Interview zum Aktionsplan gegen Rechtsextremismus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), geäußert hatte. Holm schloss mit einer direkten Ansprache: Liebe Bürger, wir müssen jetzt wirklich wachsam sein. Die Demokratie geht nicht mit einem lauten Knall, sondern auf leisen Sohlen Stück für Stück.“

SPD: „Rechtsextremismus ist kein Kavaliersdelikt, über das man hinweg lächeln sollte“

Anna Kassautzki (SPD) zeigte sich bestürzt davon, dass die AfD-Fraktion das Rednerpult im Bundestag nutze, um Lügen und Hass zu verbreiten“. Die von Leif-Erik Holm genutzte Erwähnung der 16-jährigen Schülerin aus Mecklenburg-Vorpommern sei Teil einer Kampagne gegen den demokratischen Rechtsstaat“ und verantwortungslos gegenüber der betroffenen Schülerin. Sie warf der AfD-Fraktion vor, die Geschehnisse rund um die Postings der Schülerin zu verfälschen und für ihre Zwecke zu nutzen, um Aufmerksamkeit zu generieren. 

Rechtsextremismus ist kein Kavaliersdelikt, über das man hinweg lächeln sollte. Rechtsextremismus ist Gift für unsere Gesellschaft“, so Kassautzki. Es sei durchaus Teil des Erwachsenwerdens, Grenzen auszutesten, doch Rassismus und Menschenfeindlichkeit seien weder edgy noch cool, sie verletzen Menschen, sie töten Menschen“. Sie wandte sich an die Lehrkräfte des Landes und betonte die Unterstützung, die diese gegen die Verbreitung rechtsextremistischer Inhalte erhalten würden. Gegenüber allen Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus stellten und die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigten, betonte sie ihre Dankbarkeit: Wir müssen zusammenstehen als demokratische Kräfte in diesem Land, denn unsere Demokratie ist in Gefahr. Und wir werden diese Demokratie verteidigen gegen alle, die sie angreifen.“ 

CDU/CSU: „Dinge, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, sollen auch in Schulen kontrovers diskutiert werden können“

Lars Rohwer (CDU/CSU), Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, erinnerte die Abgeordneten zu Beginn seiner Rede an die Aufgabe des Parlamentes, die Gesellschaft zusammenzuhalten und eine Bereitschaft zur Versöhnung zu zeigen. Anhand des Beutelsbacher Konsenses, der die Grundsätze der politischen Bildung festlegt, definierte Rohwer die Aufgaben und Pflichten von Lehrerinnen und Lehrern: Sie seien zur Neutralität in politischen Fragen verpflichtet, Schülerinnen und Schülern sei keine Meinung aufzuzwingen, allerdings sollten sich Lehrerinnen und Lehrer auch gegen antidemokratische Prinzipien wenden. Es sei eine parteipolitische Neutralität gefordert, aber keine Neutralität gegenüber verfassungsgemäßen Werten. 

Dinge, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, sollen auch in Schulen kontrovers diskutiert werden können“, so Rohwer. Er berief sich dafür auch auf das sächsische Schulgesetz, das die Aufklärung über extremistische Positionen und Tendenzen“ als wichtiges Bildungsziel in allen Schulformen vorschreibe. In Richtung der AfD-Fraktion gewandt, äußerte Rohwers den Vorwurf: Sie stehen als AfD nicht mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz, ganz im Gegenteil, sie treten es mit Füßen!“ Er beendete seine Rede mit den Worten: „An unseren Schulen erfolgt weder staatliche Einschüchterung noch ideologische Repression, unsere Schülerinnen und Schüler lernen freiheitlich und demokratisch zu denken.“

Was ist der Beutelsbacher Konsens?

Der Beutelsbacher Konsens wurde 1976 bei einer Tagung der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg beschlossen. Er legt die Grundsätze für die politische Bildung fest und formuliert drei Grundprinzipien für den Politikunterricht:

  • das Überwältigungsverbot, das es Lehrkräften untersagt Schülerinnen und Schülern ihre Meinung aufzuzwingen

  • das Gebot der Kontroversität, das die Darstellung von Themen aus kontroversen Blickwinkeln vorschreibt, um die Meinungsbildung der Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen

  • und die Schülerorientierung, die es Schülerinnen und Schülern ermöglich soll, die politische Situation der Gesellschaft und die eigene Position zu analysieren

Den gesamten Beutelsbacher Konsens zum nachlesen findest du hier.

Bündnis 90 / Die Grünen: „Schulen haben auch einen Erziehungsauftrag“ 

Ganz ehrlich, eigentlich ist es eine Unverschämtheit, dass wir uns hier ernsthaft mit einer aufgebauschten und in Teilen frei erfundenen AfD-Propaganda beschäftigten müssen“, so Lamya Kaddors (Bündnis 90/Die Grünen) vor den Abgeordneten im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Der AfD-Fraktion warf sie die Instrumentalisierung des Vorfalls an der Schule in Ribnitz-Damgarten und die Verbreitung von Desinformation vor. Doch diese Strategie würde, nach Kaddors Einschätzung, nicht aufgehen, da sie zu offensichtlich sei. 

Schulen haben auch einen Erziehungsauftrag“ und die Schule und Schuldirektion der betroffenen Schülerin aus Mecklenburg-Vorpommern seien diesem Auftrag, entgegen der Darstellungen der AfD-Fraktion, vorbildlich nachgekommen, so Kaddor. Der AfD warf sie die Instrumentalisierung der Schülerin und die Verantwortung für das Bekanntwerden ihres Klarnamens vor. Mit dem Agenda Setting der AfD-Fraktion würde der Rechtsextremismus in ihren eigenen Reihen“ bewiesen werden. Sie schloss mit den Worten: Es ist ihre Partei, es sind sie, die rechte, demokratiefeindliche Propaganda betreiben und das werden wir als Demokratinnen und Demokraten in diesem hohen Haus und auch anderswo nirgendwo leise, sondern sehr, sehr laut deutlich machen.“

FDP: Die Meinungsfreiheit an Schulen ist ein wichtiges Thema 

Mit Bezug auf den Vorfall an der Schule in Ribnitz-Damgarten stellte Wolfgang Kubicki (FDP) fest, dass es sich bei der Angelegenheit nicht nur um die Frage der politischen, sondern auch der medialen Deutungshoheit drehe. Es wäre daher „eine Frage der politischen Klugheit, in dieser Sache keine voreiligen Schnellschüsse zu tätigen“. Auch zum Schutz der betroffenen Schülerin, der Lehrerinnen und Lehrer und Eltern wäre es angebrachter abzuwarten, bis die Sachlage geklärt sei, bevor man einen vermeintlichen politischen Skandal aufmache, der schwerwiegende Konsequenzen erfordere. 

Dass die AfD-Fraktion den beschrieben Vorfall als Anlass dafür nehme, um über die Meinungsfreiheit an Schulen zu debattieren, offenbare „eine Verantwortungslosigkeit, die den Vertretern dieses hohen Hauses nicht gut zu Gesicht steht“. Die Meinungsfreiheit an Schulen sei dennoch grundsätzlich ein wichtiges Thema. Es sollte ernsthaft darüber diskutiert werden, ob der Beutelsbacher Konsens mit den Säulen Überwältigungsverbot, Kontroversität und Schülerorientierung weiterhin die unumstößliche Grundlage der schulischen Bildung sei. Außerdem zu hinterfragen sei, ob Schülerinnen und Schüler ausreichend für die politische Meinungsbildung ausgebildet würden, auch die Debatte um eine Reduzierung des Wahlalters auf 16 Jahre stelle für ihn Diskussionsbedarf dar. Die AfD-Fraktion kritisierte Kubicki scharf. Mit dem Aufsetzen der Aktuellen Stunde habe diese nicht Deutschland, sondern nur sich selbst gedient.

Die gesamte Aktuelle Stunde

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