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Verteidigungsausschuss Henning Otte: „Frieden erwächst aus Stärke, nicht aus Schwäche“

Jasmin Nimmrich und Jaspar Stucky

Was passiert hinter den Türen des Sitzungssaales 2.700, wenn der Verteidigungsausschuss tagt? Und wie geht man mit Angst und Sorgen um, wenn man Entscheidungen trifft, die die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands sicherstellen sollen? Dieses und mehr haben wir den stellvertretenden Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Henning Otte gefragt.

Ein Mann in Anzug und mit gestreifter Krawatte steht an ein Geländer gelehnt im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages.

Henning Otte (CDU) ist stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und Sprecher für den ländlichen Raum der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. © picture alliance / photothek | Joerg Carstensen

Was für Aufgaben haben Sie als stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses?

Mein Amt als stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses lässt sich in repräsentative und operative Aufgaben unterteilen. Operativ bereite ich stellvertretend die Ausschusssitzungen vor und leite diese im Bedarfsfall, sollte die Vorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) verhindert sein. In repräsentativer Funktion nehme ich an Konferenzen des Verteidigungsausschusses teil, empfange Fachbesucher-Gruppen oder ich veröffentliche selbst parteiübergreifende Stellungnahmen für den Verteidigungsausschuss.

Und was macht der Verteidigungsausschuss genau?

Gegenüber der Exekutive, also in unserem Fall dem Verteidigungsministerium, wirkt der Ausschuss als eine Art Aufsicht. Wir laden das Verteidigungsministerium dazu unter anderem auch zu Ausschusssitzungen ein, von deren Tagesordnungen es betroffen ist. Das Ministerium ist dann dazu aufgefordert, dem Verteidigungsausschuss gegenüber Rechenschaft abzulegen. Dies ist unser Instrument, um zu kontrollieren, inwieweit die Bundesregierung ihren verfassungsrechtlichen Auftrag, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen, erfüllt. Außerdem geben wir dem Deutschen Bundestag eine Fachempfehlung, ob die Bundeswehr sich an Auslandsmandaten beteiligen soll, und wir tragen dafür Sorge, dass sie mit genügend Material versorgt wird. Neben der Besonderheit, dass Artikel 45a des Grundgesetzes vorschreibt, dass der Verteidigungsausschuss in jeder Legislaturperiode bestehen muss, kann sich der Ausschuss sogar selbst als Untersuchungsausschuss ernennen. Dies ermöglicht uns, bestimmten Angelegenheiten intensiver nachzugehen und unserer besonderen verfassungsrechtlichen Aufgabe gerecht zu werden.

Eine weitere Besonderheit des Verteidigungsausschusses ist auch, dass er ein sogenannter geschlossener Ausschuss ist. Warum ist das so?

Der Verteidigungsausschuss hat eine besondere Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, aber auch gegenüber der Sicherheitslage des Landes. Der Schutz und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger ist die oberste Aufgabe des Staates, und hier müssen wir in der Entscheidungsfindung und Informationsbeschaffung frei sein von äußeren Einflüssen. Dennoch ist es aber auch enorm wichtig, der Öffentlichkeit immer wieder darzustellen, was im Verteidigungsausschuss besprochen und entschieden wird. Dazu dient auch, dass unsere Tagesordnungen öffentlich einsehbar sind. Dass die Sitzungen des Ausschusses geschlossen sind, der Zutritt zu seinen Sitzungen also auf einen ganz bestimmten Personenkreis begrenzt ist, dient auch dem Schutz von Verschlusssachen, damit beispielsweise sensible Informationen über die Verteidigungssysteme anderer Länder nicht nach außen gelangen.

Wie empfinden Sie das gestiegene Interesse an der Arbeit des Verteidigungsausschusses?

Ich begrüße es ausdrücklich, dass das Interesse für sicherheits- und verteidigungspolitische Angelegenheiten gestiegen ist. Angesichts der weltpolitischen Lage ist dies auch wichtig. Die Augen vor der Realität zu verschließen, führt uns zu viel größeren Problemen. Wir müssen dabei mit einem ordentlichen Selbstbewusstsein, aber auch mit einer gesunden Besorgnis die Dinge beobachten, die um uns herum geschehen. Deswegen müssen wir uns stark machen, wir müssen geschlossen stehen innerhalb der Europäischen Union und der NATO, denn Geschlossenheit bringt Stärke. Und mein Fazit, auch nach all den Jahren im Verteidigungsausschuss ist, dass Frieden aus Stärke erwächst und nicht aus Schwäche.

In der Ukraine, weniger als 1.000 Kilometer von Berlin entfernt, herrscht gerade Krieg. Inwieweit hat sich die Arbeit im Verteidigungsausschuss seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges verändert?

Unsere Arbeitsweise ist gleichgeblieben, denn wir arbeiten weiterhin anhand fester Schemata. Aber der Inhalt unserer Arbeit ist noch einmal verantwortungsvoller geworden, denn es geht darum, unsere Bundeswehr weiter und stärker auszustatten, um unseren Beitrag in der Landes- und Bündnisverteidigung zu gewährleisten. Dies soll auch eine Art Abschreckungswirkung sicherstellen, sodass niemand es wagt, uns anzugreifen, weil unsere Armee stark genug ist und unsere Bündnispartner uns zu Hilfe kommen würden. Außerdem sind unsere Unterstützung und die Lieferung von Material wichtig, damit die Ukraine gegen die Angriffe der russischen Streitkräfte bestehen kann. Am besten wäre es für uns alle, wenn sich Russland aus der Ukraine zurückziehen würde. Solange dies aber nicht passiert, müssen wir der Ukraine helfen, standzuhalten.

Das Betreiben einer Armee und die Bereitstellung von Material kosten Geld. Wie steht es um die Finanzierung des Verteidigungssektors? 

Die Bundesrepublik Deutschland nimmt Geld als Steuern von den Bürgerinnen und Bürgern ein, um dieses sinnvoll und im Interesse des Landes zu investieren. Es ist mehr als sinnvoll, neben Bildung und Infrastruktur in die Sicherheit aller zu investieren. Die stetige Erhöhung des Verteidigungsetats, die nach meiner Einschätzung nötig wäre, da das sogenannte Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro endlich sein wird, ist leider gerade erst geblockt worden. Aktuell ist zu erwarten, dass dies spätestens im Jahr 2027 zu einer Deckungslücke von ungefähr 30 Milliarden Euro pro Jahr sorgen wird. Deshalb sage ich: Nein, der Verteidigungsetat ist nicht ausreichend ausgestattet, wir bräuchten mehr Geld, um neben dem Lohn der Soldatinnen und Soldaten auch das Material zu stärken.

Was ist das Sondervermögen Bundeswehr?

Im Haushalt 2024 sind knapp zwei Milliarden Euro mehr für die Materialerhaltung vorgesehen als noch im Vorjahreszeitraum. Die Mittel für Munition haben sich sogar verdoppelt. Finanziert werden soll dies sowohl aus dem regulären Verteidigungshaushalt als auch aus dem Sondervermögen Bundeswehr, welches zur Modernisierung der Armee 2022 durch die Bundesregierung geschaffen wurde. Hierfür sollen von den gesamt 100 Milliarden dieses Jahr 19,2 Milliarden Euro ausgegeben werden. Dies ist im Vergleich zum Vorjahr mehr als eine Verdopplung der genutzten Gelder aus dem Sondervermögen.

Der erhöhte Verteidigungsetat soll unter anderem die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands stärken. Nötig dafür sind aber auch ausreichend Soldatinnen und Soldaten. Um eine handlungsfähige Truppe sicherzustellen, werden Forderungen nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht immer lauter. Wie stehen Sie zu diesen Vorschlägen?

Die Einbindung in die NATO, die eine Bereitschaft unserer Streitkräfte vorschreibt, ist für uns der Garant für Frieden und Freiheit, da sie durch eine Abschreckungsdoktrin andere davon abhält, uns anzugreifen. Deswegen müssen wir unsere Streitkräfte so ausstatten, materiell wie personell, wie es für die Unterstützung der NATO notwendig und für unser Eingreifen im Angriffsfall eines Bündnispartners glaubwürdig ist. Und dafür brauchen wir ein starkes Personal und auch einen Personalzuwachs. Ich bin der Überzeugung, dass ein freiwilliges System das bessere System ist. Wir haben uns für ein Gesellschaftsjahr ausgesprochen, bei dem man sich je nach Interesse, Neigung und Fähigkeit seinen eigenen Bereich aussuchen kann, in dem man sich einbringen will. Dies soll jungen Menschen ein Angebot machen, sich für unser Land zu engagieren. Sei das nun im kulturellen, sportlichen, ehrenamtlichen oder militärischen Bereich. Dies bietet für die jungen Menschen eine Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, Chancen zu erkennen und zu ergreifen, derer man sich vorher vielleicht gar nicht bewusst war. Außerdem wäre so ein Dienst förderlich für die Einstellung zu unserem Land und könnte die Resilienz unserer Gesellschaft stärken. Für diejenigen, die einen Dienst leisten, wird es enorm wichtig sein, die gebührende Anerkennung zu erhalten. Da könnte man noch darüber reden, ob es für die Dienstleistenden eine Anrechnung auf das folgende Studium oder vielleicht zusätzliche Rentenpunkte gibt.

Bei all den Entwicklungen und Kriegen weltweit - haben Sie Angst, wenn Sie an die Zukunft denken? Wie gehen Sie mit Angst um?

Die Welt ist unruhiger geworden, deshalb müssen wir alle aufmerksamer sein. Ich betrachte die aktuellen Entwicklungen mit einer gewissen Besorgnis, aber auch mit einer starken Fürsorge für unsere Bürgerinnen und Bürger und auch persönlich für meine Kinder. Und ich sage: Wenn wir mit offenen Augen durch die Welt gehen, dann werden wir uns und unser Land auch schützen können. Dazu müssen wir aber auch bereit sein, uns einzubringen, wir müssen bereit sein, Geld zu investieren in die Sicherheit und wir müssen bereit sein, mit unseren Partnerinnen und Partnern eng zusammenzuarbeiten, denn gemeinsam kommt man besser durchs Leben.

Zur Person

Henning Otte (CDU) ist seit 2005 für den Wahlkreis Celle-Uelzen im Deutschen Bundestag. Neben seinem Amt als stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses ist er seit 2021 auch Fachsprecher für den Ländlichen Raum der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

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