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Straßenkinder "Sie hauen einfach ab"

Carolina Pfau

Stress mit den Eltern, Probleme in der Schule oder mit Drogen – manchmal braucht es gar nicht viel, damit Kinder und Jugendliche ausreißen und obdachlos werden. Caro hat Jesko Wrede vom bundesweiten Straßenkinderprojekt Off Road Kids nach seiner Arbeit befragt.

Zwei Menschen sprechen mit Obdachlosen

Off Road Kids betreibt Streetwork-Stationen in Berlin, Dortmund, Frankfurt, Hamburg und Köln. Gerade in großen Städten sei Wohnungslosigkeit bei Jugendlichen ein großes Problem, so Wrede. © Off Road Kids

37.000 Menschen unter 26 Jahren sind nach aktuellen Schätzungen wohnungslos. Wie landen Kinder und Jugendliche auf der Straße?

Zuerst muss man unterscheiden zwischen Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Wer wohnungslos ist, hat keinen eigenen Wohnraum, lebt aber nicht zwangsläufig auf der Straße. Das ist nur bei Obdachlosigkeit der Fall. Betroffen sind oft Kinder und Jugendliche, die entweder viel Stress zu Hause bei den Eltern haben oder die bereits viel mit der Jugendhilfe zu tun hatten. Letztere waren oft schon in verschiedene Wohnformen, haben dort Erzieher und Pädagogen erlebt und einfach alles satt – sie hauen ab.

Ein weiteres Problem ist, dass die Jugendlichen mit 18 aus der Jugendhilfe entlassen werden. Das heißt also, dass manche gerade ihr Abi machen und dann auf sich allein gestellt sind. Natürlich finden sie sich dann nicht sofort zurecht und können schnell in die Wohnungslosigkeit abrutschen. Deutschland hat das wohl beste Kinder- und Jugendhilfegesetz der Welt, aber eine der schlechtesten Umsetzungen.

Gibt es bestimmte Regionen oder Jahreszeiten, in denen sich die Wohnungslosigkeit häuft?

Online bekommen wir vor allem Anfragen aus Berlin, Hamburg, Köln und dem Ruhrgebiet. In ländlichen Gebieten kommt das eher selten vor, weil die Jugendlichen dort meist wegen der schlechteren Chancen ohnehin wegziehen. In kleinen Städten und Dörfern finden Jugendliche eher Wohnungen, in großen ist das schwieriger.

Die Jahreszeiten machen keinen Unterschied. Nur der Bedarf ändert sich durch die Jahreszeiten, im Sommer geht es zum Beispiel oft um die Versorgung mit Trinkwasser, im Winter werden eher Wärmflaschen benötigt.

Wie helfen Sie den Kindern und Jugendlichen bei den Streetwork-Stationen von Off Road Kids?

Wir versuchen, zwischen den jungen Menschen und den Ämtern zu vermitteln. Dazu können die Jugendlichen entweder zu uns kommen, oder wir sprechen sie an. Wir kennen die Treffpunkte auf den Straßen, haben Kontakt zu den Jugendlichen, und die machen oft auch den "Neuen" Mut, mit uns zu sprechen.

Wir versuchen, ihnen ein Dach über dem Kopf zu besorgen und sie zu beraten. Kinder unter 14 Jahren kriegen wir meist schnell von der Straße runter, da hilft es uns, wenn alle gut zusammenarbeiten, also etwa die Polizei-Vermisstenstellen, die Jugendämter, der Jugendnotdienst, der Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst, die Elternhäuser und Off Road Kids.

Schwieriger wird es, wenn die Jugendlichen bald volljährig werden. Die Jugendhilfe wird oft nur bis zum 18. Lebensjahr gewährt, obwohl sie laut Gesetz eigentlich bis zum 27. Lebensjahr gilt. In diesen Fällen ist es oft besonders schwer, an das Jugendamt zu vermitteln.

Was ist Ihre Aufgabe dabei?

Ich versuche, zwischen allen Beteiligten zu vermitteln. Ich komme mit zu Terminen, helfe den Jugendlichen dabei, sich in den Ämtern zurechtzufinden, berate sie in Sachen Jugendhilfe und Jobsuche. Oft brauchen die Jugendlichen auch einen Therapieplatz oder haben Suchtprobleme. Auch hier helfe ich, etwas Passendes zu finden.

Es gibt ja nicht nur die Hilfe vor Ort, sondern auch im Internet unter sofahopper.de. Dieses Online-Hilfsangebot richtet sich an Jugendliche, die von sogenannter verdeckter Wohnungslosigkeit betroffen sind. Das heißt, sie schlagen sich irgendwie durch, indem sie bei Freunden, Verwandten, aber auch wildfremden Menschen übernachten. Wieso tun das so viele Jugendliche anstatt sich Hilfe zu suchen?

In vielen Fällen kennen die Jugendlichen gar nicht alle Hilfsangebote. Oft wächst ihnen alles über den Kopf und plötzlich ist die Wohnungslosigkeit da. Dies wollen viele auch nicht so schnell zugeben und versuchen, sich so durchzuschlagen.

Die verdeckte Wohnungslosigkeit wird immer häufiger zum Problem. Manchmal sind es Trennungen, manchmal Konflikte, manchmal ist es der Wohnungsmarkt, durch den Jugendliche dort hineingeraten. Wenn sie sich bei uns melden, ist aber der erste und wichtigste Schritt getan, denn dann fragen sie nach Hilfe. Wir treffen uns dann mit den Betroffenen und versuchen, etwas Passendes zu finden.

Die Mitarbeiter von Off Road Kids haben im letzten Jahr fast 50 Prozent mehr Zeit gebraucht, den Jugendlichen eine Bleibe zu vermitteln als in den Jahren davor. Das liegt Ihrer Meinung nach vor allem an mangelndem Wohnraum. Ist das auch für bei die Jugendlichen ein Problem?

Definitiv. Wir merken ja, dass es deutlich schwieriger geworden ist, überhaupt passende Wohnungen zu finden und uns mit den Vermietern zu einigen. Gerade in Berlin sind die verfügbaren Zimmer sehr teuer. Schon ein kleines WG-Zimmer kann ein Vermögen kosten. Manchmal müssen junge Menschen zum Beginn ihres Studiums in Turnhallen übernachten, weil sie noch nichts gefunden haben – auch das ist schon Wohnungslosigkeit.

Die Grünen fordern ein nationales Aktionsprogramm, um die Obdachlosigkeit drastisch zu senken. Was müsste da drinstehen, um vor allem jungen Menschen zu helfen?

Die Jugendhilfe sollte über den 18. Geburtstag hinaus gewährt werden, wie es das Jugendhilferecht auch vorsieht. Die Hilfe sollte bedarfsorientiert und unabhängig angeboten und individuell angepasst werden. Auch bei der Finanzierung muss sich etwas ändern.

Was ich mir auch wünsche ist ein Gegenstück zur Jugendberufsagentur. Dort finden Jugendliche alle Ansprechpartner zur Jobsuche unter einem Dach. Eine Jugendwohnagentur mit sozialpsychiatrischem Dienst, Suchtberatung und anderen Hilfsangeboten in demselben Gebäude würde vielen jungen Menschen helfen, nicht ins Leere zu laufen und die richtige Hilfe zu bekommen.

Wie können engagierte Jugendliche mithelfen?

Wir selbst bieten keine ehrenamtlichen Stellen an, aber es gibt die Möglichkeit, zum Beispiel in den Nachtschichten in Notunterkünften und Nachtcafés zu helfen – gerade in den Wintermonaten wird dort Hilfe benötigt. Oft gibt es dafür sogar eine kleine Entschädigung. Auch bei der Tafel werden immer helfende Hände gebraucht, dort tut ihr sogar was gegen das Problem der Lebensmittelverschwendung. Die Bahnhofsmission freut sich auch immer über ehrenamtliche Helfer.

Über Jesko Wrede:

Jesko Wrede ist 39 Jahre alt und Diplom-Sozialpädagoge. Er hat sich bereits als Schüler sozial engagiert und war auch schon in der Obdachlosenhilfe tätig, bevor er sein Fachhochschulstudium anfing. Seit Dezember 2008 arbeitet er bei Off Road Kids in Berlin.

Carolina Pfau

Zur Person

Portraitbild von mitmischen-Autorin Carolina Pfau
Mitmischen-Autorin

Carolina Pfau

ist 24, lebt in Nienburg (Weser) und arbeitet derzeit als freie Journalistin und Radio-Moderatorin.

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