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Blog Tag 2 Ein Foto aus Birkenau

Im Bus nach Auschwitz lernt Lukas einige seiner 60 Mitreisenden kennen. Und erfährt, wie sie zur Jugendbegegnung gekommen sind.

Gruppe von Jugendlichen

In Kennenlernspielen kommen die 60 Jugendlichen zum ersten Mal ins Gespräch. © DBT/Stella von Saldern

Um 7.30 Uhr, gut eine Stunde vor Abfahrt, stehe ich mit einem etwas zu schwachen Filterkaffee To Go vor dem Hotel, in dem die 60 Teilnehmer der diesjährigen Jugendbegegnung die letzte Nacht verbracht haben. Allmählich wird es hell und der nebenliegende gläserne Berliner Hauptbahnhof beginnt in der Januarsonne zu glänzen. Nach und nach trudeln die jungen Erwachsenen raus auf die Straße – bepackt mit Rucksäcken, Koffern, Lunchpaketen und Wasserflaschen. Die Reise geht los.

Wer sind die anderen?

Für die Teilnehmer hat das siebentägige Programm bereits gestern begonnen. Zuerst wurden Spiele gespielt, um sich kennenzulernen: Alle Teilnehmer sollten sich in Gruppen zusammenfinden – erst nach Anfangsbuchstabe der Vornamen, dann nach Nationalität. Anschließend gab es ein Abendessen im Mitarbeiterrestaurant des Bundestages und eine historische Führung durch das Reichstagsgebäude, die natürlich auch an einem der eindrucksvollsten Kunstwerke des Gebäudes Halt machte: dem sogenannten Birkenau-Zyklus des weltberühmten Künstlers Gerhard Richter.

Künstler Gerhard Richter vor einem Bild

Der Künstler Gerhard Richter vor seinem Werk "Birkenau-Zyklus". © DBT/Achim Melde

Horror mit Abstand

Ilias (19) aus Hessen, der im Bus hinter mir sitzt, erzählt mir, wie das Werk auf ihn gewirkt hat: "Wie eine entfernte Betrachtung von Horror“, sagt er. Er hätte einen großen Abstand zwischen sich und dem Gemälde gespürt – und das sei auch gut, denn manchmal brauche es diesen Abstand, um sich wirklich mit Dingen auseinandersetzen zu können, erklärt er.

Heimlich fotografiert

Aber was zeigt das Gemälde eigentlich? Wie bei den meisten abstrakten Kunstwerken ist das gar nicht so leicht zu beantworten: Graue, grüne, schwarze und rote Schraffierungen – mehr sieht man auf den ersten Blick nicht. Kaum erkennbar verbirgt sich hinter den Farbstreifen aber ein ganz anderes Motiv. Nämlich eine Fotografie der Leichen in den Gaskammern des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, heimlich aufgenommen von einem Häftling, der unter Zwang im sogenannten Sonderkommando arbeiten musste.

Von den Nazis gesprengt

Das Sonderkommando von Auschwitz hatte die Aufgabe, die Leichen nach der Vergasung aus den Gaskammern zu tragen, sie nach Goldzähnen zu durchsuchen und in den anliegenden Krematorien zu verbrennen. Knochen, die nicht vollständig verbrannten, mussten sie im Auftrag der SS (Schutzstaffel, eine nationalsozialistische Organisation) zermalmen. Die Gaskammern und Krematorien von Birkenau wurden kurz vor der Befreiung des Vernichtungslagers von den Nazis gesprengt. Es sollte keine Beweise für den unbeschreiblichen Massenmord geben. Die Ruinen werden wir in wenigen Tagen besichtigen können.

Gespräche im Bus

Im Bus spricht kaum jemand über das Ziel unserer Reise. Das Thema ist nur unterschwellig zu spüren – fast ein wenig so wie in dem Gemälde aus dem Reichstagsgebäude. Die Gespräche kreisen um die verschiedenen Studiengänge, in denen die Teilnehmer eingeschrieben sind, um die besten Fernsehserien, die besten Komiker und viele andere Themen des Alltags. Um 10.55 Uhr überqueren wir die Neiße und damit die deutsch-polnische Grenze. Kurz danach machen wir die erste Pause.

Zwei Mädchen im Bus

Um Punkt 10.55 Uhr überqueren wir die deutsch-polnische Grenze. © DBT/Stella von Saldern

„Warum tun Menschen so etwas?“

Von Clarisse (24), die aus der Nähe von Marseille kommt, erfahre ich währenddessen, wie sie zur Jugendbegegnung hinzugestoßen ist. Sie arbeitet im Camp des Milles, einem ehemaligen Internierungslager in Aix-en-Provence, einer Stadt in Südfrankreich. Auch von dort aus wurden Juden während der Zeit der deutschen Besatzung nach Auschwitz deportiert – in Zugwaggons gepfercht auf einer Strecke von über 1.500 Kilometern.

Clarisse beschäftigt sich dort aber nicht nur mit der Vergangenheit. In Workshops arbeitet sie beispielsweise auch mit jugendlichen Straftätern. Sie möchte verstehen, warum Menschen Verbrechen begehen, erzählt sie mir. Und noch mehr möchte sie verstehen, wie man das verhindern kann.

Jugendliche auf einem Parkplatz

Beine vertreten und Kaffee trinken - wir haben noch einiges an Strecke vor uns. © DBT/Stella von Saldern

Geschichte, Antisemitismus, Rassismus

Alle Teilnehmer der Jugendbegegnung haben einen Hintergrund wie Clarisse. Allesamt beschäftigen sie sich in unterschiedlichsten Projekten mit der Geschichte des Nationalsozialismus oder engagieren sich gegen Antisemitismus und Rassismus. Ich freue mich auf weitere persönliche Geschichten der anderen, die mir in den nächsten Tagen noch begegnen werden.

Jetzt aber heißt es erst mal Zimmer beziehen und Abendessen. Ich höre überall die Mägen knurren.

Bis morgen,

Lukas

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