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Journalismus-Experte Lobigs „Es gibt keine Qualitätskontrolle mehr“

Meinungsbildung erfolgt heute zunehmend mit und in digitalen Medien. Seriöse journalistische Angebote werden immer seltener genutzt. Eine Gefahr für die Demokratie? Könnte ein „Spotify für Journalismus“ ein Ausweg sein? Mira hat Medienforscher Frank Lobigs gefragt.

Porträt von Frank Lobigs

„Die Frage ist, ob irgendwann überhaupt noch ein Meinungsbildungsprozess stattfindet, der auf Fakten und Vernunft basiert“, sagt Medienexperte Frank Lobigs. © Judith Wiesrecker

Die Bundesregierung schreibt in ihrem Medien- und Kommunikationsbericht, unser Medienystem befände sich im Wandel, in einem „Transformationsprozess“. Die mitmischen-Leser kennen vor allem die aktuelle Medienordnung. Wie war es denn früher?

Wenn ich von früher spreche, dann nenne ich das die „alte Medienwelt“: Die Welt der Zeitungen, des klassischen Programm-Fernsehens und des Radios. Und diese alte Medienwelt war dadurch gekennzeichnet, dass die Auswahl an Inhalten, Formaten, Plattformen und Kanälen viel kleiner war. Außerdem konnte man sich nicht jederzeit Informationen beschaffen. Nachrichten hat man zu festen Zeiten konsumiert: Morgens lasen viele Menschen die Zeitung, am Küchentisch, im Zug oder der Bahn, abends um acht wurde die Tagesschau im Fernsehen geguckt.

Das alte Mediensystem war also durch eingeschränkte Auswahlmöglichkeiten gekennzeichnet. Im neuen Mediensystem lässt sich über Smartphone und Internet alles ständig ansteuern. Das ist ein unglaublicher Unterschied.

Was ist heute besser und was ist schlechter?

Genau diese große Auswahlmöglichkeit ist einerseits besser, andererseits hat sie auch problematische Effekte. Zunächst ist es super, dass wir exakt nach unseren Bedürfnissen auswählen können. Zusätzlich kriegen wir über Computerprogramme, die im Hintergrund laufen, auch noch wie von selbst die für uns passenden Inhalte zugespielt. Wir konsumieren also wirklich das, was uns interessiert und bewegt. Das ist ein großer Vorteil.

Aber genau durch diese Dynamik geht auch ein ganz wichtiger Teil der alten Medienordnung verloren. Früher waren die großen Medienhäuser und Rundfunkanstalten die sogenannten „Gatekeeper“. Sie waren so etwas wie die Wächter über die Nachrichten und Informationen. Informationen wurden überprüft, bevor sie verbreitet wurden und aussortiert, wenn sie sich als falsch herausgestellt hatten. Es gab also eine Qualitätskontrolle.

Ist es nicht auch problematisch, wenn wenige große Medienhäuser kontrollieren, welche Informationen die Bevölkerung erreichen?

Ja, das war eine Herausforderung, und in der alten Medienordnung wurde auch viel darüber diskutiert, wie man trotzdem eine unabhängige und freie Qualitätssicherung gewährleisten konnte. Jetzt aber haben wir andere Probleme: Die komplette Öffnung der Medienwelt führt dazu, dass sich zum Beispiel Inhalte wie Fake News, also Nachrichten, die nicht auf Fakten basieren, weit verbreiten können. Heute gibt es quasi keine Qualitätskontrolle mehr.

Das konnte in der alten Medienordnung kaum passieren: Die Verlagshäuser mussten sehr auf ihre Glaubwürdigkeit achten und deshalb sorgfältig arbeiten. In der neuen Medienordnung ist es anders: Für den Einzelnen hat es keine Auswirkungen, wenn er etwas Falsches glaubt und verbreitet. Es gibt zu wenig Anreize, Inhalte zu hinterfragen. Wenn man etwas Falsches glaubt, wird das nicht „bestraft“.

Ohne Qualitätskontrollen, wie sie früher die Leitmedien übernommen haben, kann die daraus resultierende Dynamik einer zunehmend irrationalen, polarisierten und manipulierten Meinungsbildung ganz schön aus dem Ruder laufen. Die Frage ist, ob irgendwann überhaupt noch ein Meinungsbildungsprozess stattfindet, der auf Fakten und Vernunft basiert.

Würden Sie sagen, man muss hier mehr regulieren oder muss man die Nutzer besser schulen?

Mit der Regulierung ist es gar nicht so einfach, denn man möchte in unserer demokratischen Gesellschaft die Freiheit des Individuums zurecht nicht einschränken.

Also hängt sehr viel vom Rezipienten – so nennen wir in der Wissenschaft den Empfänger einer Information – selbst ab. Es ist sehr reizvoll, bestimmte Inhalte zu glauben, wenn sie mich beispielsweise auf emotionaler Ebene abholen oder in opportunen Vorurteilen bestätigen – man fühlt sich wahrgenommen, unterstützt, verstanden. Demgegenüber stehen wie gesagt kaum Anreize, zu überprüfen, ob das Gehörte etwa der wissenschaftlichen Forschung entspricht.

Hier bleibt uns vor allem die Bildung: Medienkompetenz muss in der Schule unterrichtet werden. Es muss Wissen vermittelt werden, das an die neue Welt samt neuen Medien angepasst ist. Dazu gehört auch, dass man vermittelt, wie Wissenschaft, Politik und digitale Medien funktionieren oder noch genauer: was eigentlich Tatsachen sind und wie sie zustande kommen.

Sie erwähnten die Tageschau, eine Nachrichtensendung der ARD. Die ARD gehört zum sogenannten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wie sieht dessen Zukunft aus?

Der müsste seine Aufgabe ganz neu interpretieren und Inhalte in Zukunft wirklich so präsentieren, dass sie auch bei den Zielgruppen ankommen, die die klassischen Medien nicht mehr nutzen. Man muss also dorthin gehen, wo die Mediennutzung stattfindet, beispielsweise auf Plattformen, um besonders die jungen Nutzer hier anzusprechen und abzuholen. Gleichzeitig muss man auch die Inhalte entsprechend anpassen.

Vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich damit beschäftigen, wie Meinungsbildung in der neuen digitalen Medienwelt funktioniert und an welcher Stelle man so einhaken kann, dass man nicht von vorneherein abgelehnt wird.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt. Dazu gehören die ARD mit ihren verschiedenen Landesrundfunkanstalten, das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) und das Deutschlandradio.

Die öffentlich-rechtlichen Medien finanzieren sich durch Gebühren, sodass sie wirtschaftlich unabhängig sind und sie haben den Auftrag, zur freien individuellen Meinungsbildung beizutragen.

Der Bericht der Bundesregierung basiert auf einer Studie, an der Sie beteiligt waren. In der Studie ist von einer „künftigen Medienordnung“ die Rede. Wie sieht die aus?

Aussagen über die künftige Medienordnung zu treffen, ist sehr schwierig. Wir wissen eigentlich noch gar nicht, wie eine neue demokratische Medienordnung im digitalen Zeitalter im Positiven aussehen kann. Wir stecken mitten im Transformationsprozess und sehen, dass die Nutzer bereits von den klassischen Medien hin zu den sozialen Medien und zu den großen international aufgestellten Streaminganbietern abgewandert sind.

Wir sehen auch, dass in der Folge private Medien weniger Einnahmen haben und sie teilweise Probleme bekommen, sich zu finanzieren, insbesondere Verlagshäuser und hier ganz besonders im Bereich Lokaljournalismus.

Wie bekommt man also die Transformation hin? Die künftige Medienordnung soll einerseits aufklären und die Meinungsbildung fördern, ganz so wie die alte, und andererseits gleichzeitig diese große beliebige Auswahl bieten, die wir heutzutage haben. Auf die Frage haben wir noch keine Antwort.

Im Bericht heißt es auch, wir bräuchten „alternative journalistische Plattformkonzepte“? Können Sie uns erklären, was das ist? Und steckt hinter diesem Begriff vielleicht eine Lösung für die derzeitigen Probleme?

Die Hoffnung ist, dass man auf diesen Plattformen viele verschiedene journalistische Inhalte in einer Form anbieten kann, die gerade auch die Jüngeren erreicht, weil sie anderen Streaming-Plattformen ähnelt. Deswegen sprechen wir von „Spotify für Journalismus“.

Im Kern geht es um ein journalistisches Angebot und darum, dass man Inhalte, die derzeit hinter einzelnen Bezahlschranken verschwinden, wieder zugänglicher macht. Besonders wichtig bei dieser Idee ist, dass man die journalistischen Inhalte zu einem günstigen Abo-Preis anbieten kann. Dafür bräuchte man sehr viele Nutzer, denn nur dann kann man mit den Preisen runtergehen und trotzdem einen guten Umsatz für die Medienhäuser erzielen.

Es gibt theoretische Modelle, die daraufhin deuten, dass das funktionieren könnte. Diese Plattformen funktionieren schließlich auch für viele andere Angebote im Internet. In einer Befragung im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW untersuche ich gemeinsam mit anderen Forschern, wo der Preis für derartige Inhalte liegen könnte.

Idealerweise heißt das: sehr viele Nutzer, geringer Preis, viel Umsatz für die Unternehmen. Damit hätte man allen geholfen. Wenn ein solches Konzept in der Praxis funktioniert, könnte das ein Element einer neuen funktionsfähigen Medienordnung werden.

Es wird seit vielen Jahren davon gesprochen, dass der Journalismus in der Krise steckt. Ist denn irgendwann ein Ende der Krise absehbar?

Erstmal muss man sagen, dass wir eigentlich sogar in zwei Krisen gleichzeitig stecken.

Es gibt die finanzielle Krise, in der der Journalismus, insbesondere die Zeitungen, stecken. Da ist die Lage zwar jetzt schon schwierig, aber die richtige Krise kommt erst noch. Denn die Zeitungen werden derzeit noch überwiegend von der älteren Bevölkerung, die immer noch Zeitungs-Abos hat, finanziert. Natürlich gab es hier auch massive Umsatzeinbrüche, vor allem im Anzeigenmarkt, die man derzeit noch damit auffängt, dass sich Verlagshäuser zusammenschließen, um die Kosten zu senken, und gleichzeitig die Abo-Preise der älteren Nutzer kontinuierlich angehoben wurden. Aber je mehr von den älteren Nutzern verschwinden, desto schlimmer wird die Krise.

Darüber hinaus gibt es die Nutzungskrise. Hier ist das Problem: Je jünger die Nutzer, desto mehr nutzen sie ausschließlich digitale Inhalte. Und anhand von Untersuchungen wissen wir, dass die Nutzer im Internet dort viel weniger auf journalistische Inhalte zugreifen und mehr auf anderen Content, der etwa von einzelnen Personen wie Influencern erstellt wurde.

Die Krise kommt also von zwei Seiten: Die alte Medienwelt stirbt inklusive altem Finanzierungsmodell aus und gleichzeitig ist eine neue journalistische Medienordnung in Zeiten des Internets nie so richtig entstanden.

Über Frank Lobigs

Frank Lobigs kommt aus Mönchengladbach-Rheydt und hat ein Studium als Diplom-Volkswirt und Diplom-Journalist abgeschlossen. Im Rahmen seines Studiums volontierte er 1993/1994 in Düsseldorf bei der Rheinischen Post. Zu seinen wissenschaftlichen Stationen gehören die Universität Heidelberg und die Universität Zürich. Seit 2007 ist er Professor für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund, schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit den ökonomischen Grundlagen des Journalismus.

(Mira Knauf)

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