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Pro und Contra Zurück zur Wehrpflicht?

Laura Heyer

Sollte die Wehrpflicht wieder eingeführt werden? Niko sagt "Ja", Raphael "Nein".

Portraitfotos

Die Wehrpflicht wurde vor zehn Jahren in Deutschland ausgesetzt. Wird es Zeit, sie zurückzuholen? Niko (l.) und Raphael haben dazu unterschiedliche Meinungen.©privat

Pro

Niko (18): Wir brauchen eine neue Wehrpflicht

Die AfD fordert in einem Antrag die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Alle anderen Fraktionen sind dagegen. Aber warum nicht eine neue Wehrpflicht einführen? Seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 sind zehn Jahre vergangen. Die Bundeswehr hat sich seitdem personell, strukturell und nach ihrem Werteverständnis geändert.

Gegen Extreme

Auch der Blick der Gesellschaft auf die deutschen Verteidigungsstreitkräfte ist heute ein anderer. Die frühere enge Bindung geht zunehmend verloren und weicht vermehrt einer kritischen Distanzierung. Die Bundeswehr rückt aus der Mitte der Gesellschaft heraus, weil ihre Verankerung in dieser immer mehr verloren geht.

Früher war die Bundeswehr zu großen Teilen ein Spiegel der Gesellschaft. Kritiker der Wehrpflicht führen an, die Bundeswehr sei als Verteidigungsorgan keine „Schule der Nation“. Das stimmt grundsätzlich auch. Aber umgekehrt kann die Gesellschaft sehr wohl innerhalb der Bundeswehr mehr Toleranz und Pluralität vermitteln – allerdings nur, wenn sie auch breit in dieser vertreten ist.

Denn sonst fallen radikale oder sogar rechtsextreme Einstellungen bei einer Berufsarmee insgesamt viel mehr ins Gewicht. Bis heute wurde kein Mittel gefunden, sie einzudämmen. Nur die Wehrpflicht hat sich bislang darin bewährt, einen „Staatsbürger in Uniform“ heranzuziehen, der für die Demokratie eintritt. Dies lässt sich nicht ausreichend durch strengere Aufsicht und Demokratieseminare ersetzen.

Wie soll die Zukunft aussehen?

Die Aufgabe der Bundeswehr ist die Bewahrung von Staat und Verfassung. Die Idee, sie in ein "normales" Dienstleistungsunternehmen mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern umzuwandeln, wird ihrer Aufgabe viel weniger gerecht.

Nicht überzeugend ist auch die geäußerte Kritik, dass die Bundeswehr eine Freiwilligenarmee mit Spezialisten und Spezialistinnen auf ihrem Gebiet ist. Auch die Wehrpflicht ist in der Lage, das gesamte gesellschaftliche Potenzial an Intelligenz, Fähigkeiten und beruflicher Ausbildung innerhalb der Gesellschaft zu nutzen. Gerade im Informatik-Bereich, wo die Bundeswehr einen exorbitanten Bedarf hat, ist die Wehrpflicht eine große Chance.

Her mit den jungen Menschen

Allgemein steht die Bundeswehr vor einem enorm steigenden Personalbedarf. Anfang 2020 waren über 20.000 Stellen oberhalb der Mannschaftsdienstgrade nicht besetzt. Und das, obwohl die Bundeswehr um neue, junge Mitglieder wirbt. Es zeigt sich, dass das nicht ausreicht, um den Personalbedarf auch nur annähernd zu decken. Alleine die Wehrpflicht wäre dazu in der Lage.

Zuletzt hat auch die Corona-Epidemie gezeigt, dass in Zeiten der Krise eine personell funktionierende und zuverlässige Bundeswehr unerlässlich ist. Je breiter eine Gesellschaft aufgestellt ist, desto erfolgreicher ist sie. Gleiches gilt für die Bundeswehr.

Contra

Raphael (17): Kein Zurück in die Vergangenheit

Von Zeit zu Zeit passiert es. Dann werden alte Vorschläge erneut in die politische Debatte eingebracht. Im Falle der sogenannten Wehrpflicht ist es die AfD, die eine Wiedereinführung fordert. 30 000 Wehrpflichtige sollen jedes Jahr eingezogen werden, so steht es im Antrag der Fraktion. Auch Frauen können den Wehrdienst antreten, müssen aber nicht.

Freie Wahl für alle

Schon seit vielen Jahren ist die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt – bald ist seit deren Aussetzung fast ein ganzes Jahrzehnt vergangen. Seitdem ist es längst gesellschaftlich akzeptiert und zum berechtigten Status quo geworden, dass die Wehrpflicht ausgesetzt ist.

Junge Menschen können frei wählen, was sie nach Beendigung ihrer Schulausbildung machen wollen, ganz egal, ob sie danach eine Berufsausbildung, ein freiwilliges soziales beziehungsweise ökologisches Jahr, ein Studium oder gar eine Weltreise beginnen wollen. Dass es diese Freiheit gibt, ist gut so. Es wäre unnötig und fahrlässig, sie einer ganzen Generation zu entziehen.

Erziehung ist die Aufgabe der Schule

Allzu häufig wird zudem fast schon krampfhaft das Argument bemüht, bei der Bundeswehr – also einer Trägerin der Staatsgewalt – handle es sich um eine „Schule der Nation“. Ein Militär hat viele Aufgaben, etwa die Gewährleistung der äußeren Sicherheit. Der Erziehungs- und Bildungsauftrag zählt ganz gewiss nicht dazu – dieser ist Aufgabe der Schulen und der Eltern.

Auch für unsere Gesellschaft so unverzichtbare Werte wie Rücksichtnahme, Toleranz und Teamfähigkeit lassen sich am besten in den zukunftsorientierten Schulen in unserem Land erlernen. Das Festigen dieser Werte während der Betätigung in der Bundeswehr ist ein willkommener Nebeneffekt, aber nicht deren Aufgabe.

Ein Blick in die Vergangenheit Deutschlands lehrt außerdem, dass die Wehrpflicht eben nicht automatisch die Kluft zwischen Militär und Gesellschaft beendet. Es waren die Nationalsozialisten, die die Wehrpflicht missbrauchten, um eine große Armee für einen Weltkrieg aufzubauen.

Geld lieber ins Klima investieren

Nicht zuletzt würden mit der Wiedereinführung auch viele praktische Probleme verbunden sein. Es würde an allem fehlen: an Ausbildern, Unterkünften und Geräten. Die Bundeswehr ist als Freiwilligenarmee schlicht nicht darauf ausgerichtet, dass so viele Menschen Teil von ihr sind. In diesem Fall müsste die gesamte Struktur des Militärs neu organisiert werden. Die dadurch anfallenden Milliardenbeträge lassen sich an vielen anderen Stellen, wie Klimaschutz und Bildung – beides Investitionen in die Zukunft – weitaus sinnvoller ausgeben.

Die Bundeswehr steht vor vielen Herausforderungen – mit Lösungen aus der Vergangenheit, wie sie die AfD mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht geben möchte, lassen sich diese Herausforderungen jedoch nicht bewältigen. Unsere Gesellschaft wandelt sich, die Zeit läuft und bleibt nicht stehen.

Zur Person

Mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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