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Abgeordneter „Die Politik war lange komplett blind“

Cédric Hübner

Thomas Sattelberger (FDP) verrät im Interview, welche Social Enterprises er unterstützt und woran soziale Gründer in Deutschland seiner Meinung nach immer noch zu oft scheitern.

Porträt des Abgeordneten Thomas Sattelberger (FDP)

„Die Verantwortung für Social Enterpreneurship vagabundiert zwischen den einzelnen Ministerien und Ausschüssen“, kritisiert Thomas Sattelberger (FDP). © Thomas Sattelberger

„Social Entrepreneurship“ klingt erst mal nach Startup, Kalifornien und Silicon Valley – was versteht man eigentlich unter dem Begriff?

Ich finde gar nicht, dass das nach Kalifornien und Silicon Valley klingt, denn dort ist das Thema „Social“ eigentlich gar nicht verortet. Aber es klingt natürlich nach Startup, Entrepeneurship, Unternehmertum – und das soll es auch. Schließlich sind „Social Entrepreneure“ überwiegend jüngere Frauen und Männer, die neue, unternehmerische Ansätze zur Überwindung gesellschaftlicher Problemstellungen suchen.

In welchen Bereichen gibt es solche „Social Enterprises“? Haben Sie konkrete Beispiele, die Sie besonders innovativ finden?

Entrepreneurship für einen „social cause“ – also für etwas, das hilft, große gesellschaftliche Themen anzupacken – gibt es in vielen Bereichen. Zum Beispiel unterstütze ich das Unternehmen Bean United, das nachhaltig angebaute und direkt gehandelte Kaffeebohnen aus Entwicklungsländern an werteorientierte Unternehmen in Deutschland verkauft. Für jedes verkaufte Kilo Kaffee werden 10 Schulmahlzeiten bewirkt. Auf diese Weise konnten in Burundi bereits 360.000 Mahlzeiten finanziert werden.

Was ich auch spannend finde, ist „Social Bee“, eine Firma, die Geflüchtete in Arbeit bringt. Das ist im Grunde ein soziales Zeitarbeitsunternehmen, das dem Auftragnehmer bei der Beschäftigungsaufnahme eines Geflüchteten die ganzen bürokratischen Hürden abnimmt und so eine oft zu Unrecht wie zu Recht kritisierte Branche positiv weiterentwickelt. Und so gibt es tausende Hidden Social Champions in Deutschland, die mit neuen Ansätzen zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen.

In der Debatte im Bundestag ging es nicht nur um soziale Unternehmen, sondern auch um soziale Innovationen. Denn nicht jedes soziale Unternehmen produziert soziale Innovationen, oder?

Ich glaube nicht, dass der Begriff soziales Unternehmen der richtige ist. Auch die Caritas ist ein soziales Unternehmen. Wir haben in Deutschland eine milliardenschwere Gemeinwirtschaft mit Unternehmen wie der Diakonie, Caritas und der AWO mit zehntausenden Beschäftigten und hunderttausenden Freiwilligen. Das ist etabliert, aber diese gemeinnützigen Firmen machen alles so wie sie es immer schon getan haben. Das ist nicht schlecht, jedoch wird das Innovationspotential dieser Organisationen immer geringer.

Die Social Entrepreneurs blicken mit neuen unternehmerischen und innovativen Ansätzen auf die Probleme. Das ist der Unterschied. Besonders ist auch der unternehmerische Aspekt. Social Startups wollen schon Ertrag erzielen, schütten die Gewinne aber nicht an Aktionäre oder Gesellschafter aus, sondern reinvestieren sie für den guten Zweck.

Wie wurden diese Social Enterprises denn bisher gefördert?

Die Politik war, was das Thema betrifft, lange komplett blind. Erst vor Kurzem wurde es zum ersten Mal im Bundestag behandelt. Fünf Parteien haben das Thema adressiert, leider nicht zusammen. Bisher war der Begriff Startup den technologischen Startups vorbehalten. Social Enterprises liefen unter dem Radar, weswegen die Förderbedingungen gar nicht an Unternehmen angepasst waren, die nicht nur aus rein wirtschaftlichen Gründen Gewinn erzielen wollen. Es gibt zum Beispiel einen Gründerfonds für Hightech-Firmen, aber keinen für „Social Impact“.

Welche Maßnahmen von Seiten der Politik wären denn möglich, um die Förderung zu verbessern?

Die erste wichtige Frage ist, wie eigentlich Risikokapital für solche Firmen gefunden werden kann. Soziale Aktivität braucht lange bis sie ein Business wird. Deswegen braucht es Risikokapital, das auf die besonderen Bedingungen sozialen Gründertums angepasst ist.

Das zweite Thema ist die Rechtsform. Für Unternehmen, die ohne Absicht auf Gewinn handeln und auch kein klassisches betriebswirtschaftliches Unternehmen sind, gibt es keine passende Rechtsform. Es bräuchte also eine ergänzte Rechtsform – ein Punkt, den auch einige der Anträge der Oppositionsfraktionen aufgegriffen haben, auch meiner.

Ein drittes großes Thema ist der Vergabeprozess bei Bund, Ländern und Gemeinden. Man könnte einen Zielwert setzen, dass 10 Prozent öffentlicher Aufträge des Bundes an soziale Entrepreneure geht und Sozialunternehmen im doppelten Umfang an Vergabeprozessen beteiligt sind. Derzeit liegt die Beteiligungsquote nur bei wenigen Prozent.

Gibt es weitere Möglichkeiten?

Das sind aus meiner Sicht die drei großen Themen. Und dann kommt sicherlich noch ein vierter Punkt dazu: Die Verantwortung für Social Enterpreneurship vagabundiert zwischen den einzelnen Ministerien und Ausschüssen im Bundestag. Es braucht eine zentrale Koordinationsstelle.

Wie bewerten Sie den Beschluss der großen Koalition zum Thema?

In dem Beschluss stecken viele Prüfaufträge, Machbarkeitsstudien und Definitionsaufgaben. Das sind eigentlich alles Aufgaben, die gemacht gehören, bevor man einen Antrag ins Parlament bringt. Dabei hatten die Grünen, die Linken und wir von der FDP schon sehr handfeste Vorschläge. Aber das Gute ist, dass es überhaupt mal zum Thema im Plenarsaal wurde.

Sollte nicht jedes Unternehmen auch einen Beitrag zur Gesellschaft leisten?

Ja, aber freiwillig. Große Unternehmen dazu zu verpflichten, würde heißen, die Marktwirtschaft zu attackieren. Große Unternehmen sind meistens an der Börse gelistet, das heißt sie sind per Definition den Interessen ihrer Eigentümer verpflichtet. Das sind naturgegeben nicht soziale, sondern betriebswirtschaftliche Interessen. Da sind wir in einer anderen Welt.

Es ist wichtig, einfach nüchtern zu sagen, dass es Unternehmen gibt, die einem rein betriebswirtschaftlichen Zweck dienen. Darüber hinaus gibt es gemeinnützige Unternehmen, Genossenschaften und Stiftungen – und dann gibt es noch Social Entrepreneure. Das Ziel sollte sein, dass unternehmerische Tätigkeiten nicht alle zwangsläufig nur betriebswirtschaftlich orientiert sind, sondern dass Unternehmertum vielfältiger wird. Ich glaube, so kann man das realistisch sagen, ohne es zu überhöhen.

Über Thomas Sattelberger

Thomas Sattelberger sitzt seit 2017 für die FDP im Bundestag. Er ist Sprecher seiner Fraktion für Innovation, Bildung und Forschung und Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung“. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.

Zur Person

Portraitbild von mitmischen-Autorin Cedric Hübner
Mitmischen-Autor

Cédric Hübner

Cédric studiert Französisch und Amerikanistik in Mainz und hat schon einmal auf einem Flughafenparkplatz gezeltet.

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