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27. Januar "Lasst euch von niemandem einreden, wen ihr zu lieben und wen ihr zu hassen habt"

Am Mittwoch erinnerte der Bundestag an die Opfer der NS-Zeit. Zwei besondere Frauen hielten eine Rede. Zudem gab es eine seltene Zeremonie rund um eine jüdische Tora-Rolle. Wir erklären, was da genau geschah.

Gedenkstunde im Plenarsaal

Alljährlich sprechen am 27. Januar im Bundestag ganz besondere Gäste. In diesem Jahr hielt Charlotte Knobloch (r), Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, die Gedenkrede. ©picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Der 27. Januar ist ein besonderer Tag. Jedes Jahr um diese Zeit erinnern wir uns hierzulande an Millionen Menschen, die von den Nationalsozialisten in den 1930er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts verfolgt und ermordet wurden. Anlass für den Gedenktag ist die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945. Wenn ihr mehr über die Hintergründe wissen wollt und auch über die Frage, warum "gedenken" wichtig ist, dann klickt hier.

Auch der Bundestag veranstaltet alljährlich am 27. Januar eine Gedenkstunde. In diesem Jahr begann sie am Mittwoch um 11 Uhr mit einer Begrüßungsrede von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Ein wichtiges Thema war in diesem Jahr die deutsch-jüdische Geschichte. Jüdinnen und Juden leben nämlich schon sehr lange in Deutschland – mindestens 1700 Jahre. Wissenschaftler haben Hinweise gefunden, dass es schon im Jahr 321 eine jüdische Gemeinde in Deutschland gab. Genauer gesagt auf dem Gebiet, das wir heute Deutschland nennen.

Um „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ ging es auch in der Gedenkstunde am Mittwoch im Bundestag. Welchen Einfluss hatten das jüdische Leben und die jüdische Kultur auf Deutschland und Europa? Wie lebten Jüdinnen und Juden hier vor der Zeit des Nationalsozialismus? Und wie heute?

Zwei Frauen zu Gast

Zu Gast bei der Gedenkstunde waren zwei bekannte Frauen. Eine von ihnen ist Charlotte Knobloch. Als Kind überlebte sie die grausamen Verbrechen der Nationalsozialisten, weil ihr Vater sie auf einem Bauernhof versteckte. Heute ist sie 88 Jahre alt und macht sich seit vielen Jahrzehnten für die Interessen von Jüdinnen und Juden in Deutschland und auf der ganzen Welt stark.

Als erste Frau war Charlotte Knobloch vor einigen Jahren Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Der Rat ist so etwas wie die Stimme der deutsch-jüdischen Gemeinschaft. In ihrer Rede brachte sie einige eindringliche Botschaften mit. Sie fand: Wir dürfen stolz auf Deutschland sein - aber müssen trotzdem achtsam sein, wenn es um rechte Gewalt und Judenfeindlichkeit geht. Ihre Botschaft an junge Menschen: "Lasst euch von niemandem einreden, wen ihr zu lieben und wen ihr zu hassen habt."

Der zweite Gast war Marina Weisband. Sie wurde als Tochter jüdischer Eltern in der Ukraine geboren, kam als Kind nach Deutschland und lebt heute in Münster. Marina Weisband ist 33 Jahre alt und war mal Politikerin bei der Piraten-Partei. Heute ist sie Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Die Aktivistin beschäftigt sich mit Themen wie politischer Teilhabe und Digitalisierung und ist außerdem eine prominente Stimme gegen Judenhass und Rassismus.

In ihrer Rede sagte sie, dass es für die junge Generation immer schwieriger werde, da immer weniger Augenzeugen leben, die man befragen kann. Aus ihrer Sicht ist es wichtig, sich weiter zu erinnern - ohne selbst "zu einem lebendigen Mahnmal zu werden."

Die Heilige Schrift der Juden

Nach der Gedenkstunde im Plenarsaal ging es mit einer Zeremonie im Andachtsraum des Reichstagsgebäudes weiter. Der Andachtsraum ist ein Ort der Besinnung für Menschen aller Religionen, für Juden genauso wie zum Beispiel für Christen oder Muslime. Am Mittwoch drehte sich dort alles um eine jüdische Tora-Rolle. Die Tora ist die Heilige Schrift der Juden. Sie wird mit Hand und in hebräischen Buchstaben auf Pergament geschrieben.

Ist die Tora-Rolle fast fertiggeschrieben, gibt es nach jüdischer Tradition eine Feierstunde in der Synagoge, dem Gotteshaus der Juden. Während dieser Zeremonie trägt der Schreiber die letzten Buchstaben ein. So eine „Tora-Vollendung“ ist ein seltenes Ereignis und findet nach festen Regeln statt. Zu besonderen Anlässen dürfen außer dem Schreiber auch andere, bedeutende Persönlichkeiten an der Zeremonie teilnehmen.

Am Mittwoch waren unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel dabei. Die Zeremonie im Deutschen Bundestag sollte auch Ausdruck eines Versprechens sein, nämlich: Wir wollen jüdisches Leben in Deutschland schützen und dauerhaft ermöglichen.

Die Sulzbacher Tora-Rolle

Die Schriftrolle, die am 27. Januar fertiggestellt wurde, heißt „Sulzbacher Tora-Rolle“. Schon vor mehr als 200 Jahren war sie für eine Synagoge in Sulzbach in Bayern geschrieben worden. Nach der NS-Zeit kehrte die „Sulzbacher Tora-Rolle“ in die Amberger Synagoge zurück, geriet dort aber in Vergessenheit. Rabbiner Elias Dray entdeckte sie erst vor wenigen Jahren wieder und sorgte dafür, dass sie in Israel restauriert wurde.

Heute ist sie eine der ältesten noch erhaltenen Tora-Rollen im Süden Deutschlands. Dorthin, genauer gesagt in die Amberger Synagoge, kehrt sie nun nach der Zeremonie in Berlin auch wieder zurück.

Musik und Kunst

Während der Gedenkstunde im Plenarsaal gab es Live-Musik von Geigenspieler Kolja Lessing. Außerdem wurde ein Musikvideo der israelischen Sängerin Yael Nachshon Levin gezeigt. Sie sang das Lied „Far away“, das sie extra für den Gedenktag geschrieben hatte.

Gleich nebenan im Paul-Löbe-Haus, wo die Ausschüsse des Parlaments ihre Sitzungssäle haben, gibt es nun außerdem eine Kunstausstellung des Leo Baeck Instituts. Die Einrichtung widmet sich seit mehr als 65 Jahren der Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums. Titel der Ausstellung: „Shared History – 1700 Jahre jüdisches Leben im deutschsprachigen Raum“.

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