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Coronapandemie Ja zur Notbremse

Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte im Bundestag für die sogenannte „Corona-Notbremse“. Welche Ausgangsbeschränkungen, Inzidenz-Grenzwerte und Co voraussichtlich ab dem Wochenende überall in Deutschland gelten, lest ihr hier – und den Schlagabtausch der Abgeordneten.

Zahlreiche Demonstranten von Polizei abgeschirmt

Begleitet von Protesten tausender Menschen in Berlin hat der Bundestag gestern der „Corona-Notbremse“ zugestimmt. © picture alliance/Geisler-Fotopress, Jean MW

Für ganz Deutschland gelten künftig einheitliche Regeln bei der Bekämpfung der Coronapandemie: Sobald der Sieben-Tage-Inzidenzwert in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt gewisse Schwellen überschreitet, greifen künftig bundesweit verbindliche Maßnahmen. Die Inzidenz gibt an, wie viele von 100.000 Menschen sich innerhalb einer Woche neu mit dem Coronavirus angesteckt haben.

Im Bundestag stimmten 342 Abgeordnete für den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD, 250 sagten Nein und 64 Abgeordnete enthielten sich, Details zur Abstimmung findet ihr hier. Damit wurde das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, das Bevölkerungsschutzgesetz, beschlossen. Der Bundesrat hat dem Gesetzentwurf heute in einer vorgezogenen Sitzung zugestimmt. Das heißt: Nachdem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnet hat, können die neuen Regeln ab diesem Wochenende gelten.

Die Ja-Stimmen kamen von den Koalitionsfraktionen, Nein sagten die Fraktionen AfD, FDP und Die Linke, die Grünen-Fraktion enthielt sich. Die Opposition kritisierte das geplante Gesetz aus unterschiedlichen Gründen.

Die große Koalition aus Union und SPD möchte mit der sogenannten Corona-Notbremse erreichen, dass die Infektionszahlen sinken, die Krankenhäuser in Deutschland nicht an ihre Belastungsgrenze stoßen und weniger Menschen an dem Virus sterben.

Was besagt die Notbremse?

Bisher kann jedes der 16 Bundesländer seine eigenen Corona-Regeln machen. Mit dem Gesetz will sich der Bund nun mehr Handlungsmöglichkeiten sichern. Am vergangenen Freitag diskutierten die Abgeordneten zum ersten Mal den Entwurf der Bundesregierung für das neue Gesetz. Im parlamentarischen Verfahren setzten einige Abgeordnete nun Änderungen durch, etwa bei den Ausgangsbeschränkungen: Das nächtliche Ausgangsverbot soll nun ab 22 Uhr bis 5 Uhr morgens gelten, wenn in einem Kreis oder einer kreisfreien Stadt die Inzidenz über 100 liegt. Ausnahmen gibt es für die, die arbeiten oder ihren Hund Gassi führen müssen. Auch wer alleine nach 22 Uhr unterwegs ist, darf dies bis Mitternacht, etwa für einen Spaziergang oder zum Joggen.

Auch Kontaktbeschränkungen und Schul- und Ladenschließungen sind von bestimmten Inzidenzwerten abhängig: Bis zu einer Inzidenz von 150 darf shoppen gehen, wer einen Termin und negativen Coronatest vorweisen kann. Die Schulen schließen ab einer Inzidenz von 165, dann gibt es nur noch Distanz- statt Präsenzunterricht.

Und wer sich treffen will, darf dies ab der der Inzidenz von 100 nur noch im eigenen Haushalt oder mit maximal einer weiteren Person. Kinder unter 14 Jahren sind dabei ausgenommen.

Überblick: Bundesweite Regeln

  • ab Inzidenz 100: Nächtliche Ausgangsbeschränkung von 22 bis 5 Uhr

  • ab Inzidenz 100: Freizeiteinrichtungen, Museen, Kinos, Theater und Gastronomie müssen schließen, Friseure bleiben offen

  • ab Inzidenz 150: bestimmte Läden des Einzelhandels schließen, bis Inzidenz 150 ist Shoppen mit Termin und Negativ-Test möglich

  • ab Inzidenz 165: Distanzunterricht an Schulen

Sobald der Inzidenzwert von 100 an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen unterschritten wird, treten die Regelungen wieder außer Kraft. Das Gesetz soll bis zum 30. Juni 2021 befristet sein.

CDU/CSU: „Zu viele sterben“

Vertreter der Bundesregierung – wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) oder Finanzminister Olaf Scholz (SPD) – warben im Bundestag für das geplante Gesetz. Erster Redner in der Debatte war Ralph Brinkhaus, Fraktionsvorsitzender der Union. „Leben und Gesundheit sind gefährdet“, sagte er, „wir sind in einer Situation, wo nicht nur die Intensivmedizin überlastet ist, wo das gesamte Gesundheitssystem überlastet ist“. Zu viele Menschen würden krank werden und sterben. „Deswegen ist es notwendig, dass wir hier und heute handeln.“

Mit Blick und Fingerzeig auf die AfD-Fraktion, die Beifall klatschte, als Brinkhaus von kranken und sterbenden Menschen sprach, betonte er, dies zeige „die Fratze, die diese Partei hier in diesem Deutschen Bundestag hat.“

AfD: Inzidenzzahl „taugt wenig“

Alexander Gauland, Chef der AfD-Fraktion, kritisierte, dass Freiheitsrechte eingeschränkt würden und befürchtet, dass „die Einschränkungen von heute auch für die schöne neue Welt von morgen taugen.“ Das Gesetz sei ein „Tabubruch“.

Statt Inzidenzzahlen wären seiner Meinung nach „Belastung und Überlastung des Gesundheitssystems ein richtigerer Maßstab politischen Handelns“. An seinen Vorredner Brinkhaus gewandt sagte er: „Das ist eine politische Auseinandersetzung. Mit dem Wort ‚Fratze‘ haben Sie sich selber dekuvriert.“ Dekuvrieren heißt entlarven, seinen wahren Charakter zeigen.

FDP: Gesetz überprüfen lassen

Auch die FDP-Fraktion hält die Sieben-Tage-Inzidenz als alleinigen Maßstab für „völlig ungeeignet“. Christine Aschenberg-Dugnus erklärte, dass auch die Anzahl der geimpften Personen, die Belastung der Intensivstationen sowie die Zahl der Positiv-Tests mit einbezogen werden sollten.

Bezüglich der Ausgangsbeschränkungen untermauerte sie ihre Meinung mit Erkenntnissen aus der Wissenschaft: „Ausgangssperren bringen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens rein gar nichts. Sie schränken nur in unzulässiger Weise die Grundrechte ein.“ Gegen die Ausgangssperre wolle die Fraktion nun eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf den Weg bringen.

Linke: Schulregelungen nicht nachvollziehbar

Für die Linksfraktion sprach ihre Vorsitzende Amira Mohamed Ali. Sie kritisierte: „Die Bundesregierung taumelt von einem Murks zum nächsten.“ Die großen Probleme würden nicht gelöst.

„Wir lehnen Ihr Gesetz weiterhin ab“, sagte die Abgeordnete, weil umstritten sei, ob Ausgangssperren wirkten, und weil Arbeitgeber „nicht richtig in die Pflicht“ genommen würden. Und das, obwohl wissenschaftlich belegt sei, dass Ansteckungen am Arbeitsplatz einen hohen Anteil ausmachten.

Auch die Schulregelungen seien für sie nicht nachvollziehbar, so Mohamed Ali. Es sei verständlich, wenn Eltern angesichts der Vorgaben nur mit dem Kopf schüttelten.

Grüne: „Zu halbherzig, zu wenig wirksam“

Einen „schnell wirksamen Wellenbrecher“ gegen die dritte Welle der Coronapandemie wolle auch die Grünen-Fraktion, sagte Maria Klein-Schmeink. Doch kritisierte sie, die Bundesregierung habe zu spät und zu zögerlich gehandelt.

Außerdem sei das Gesetz „handwerklich schlecht gemacht“: Die unterschiedlichen Inzidenzwerte – „Das versteht kein Mensch.“ Die Enthaltung ihrer Fraktion begründete sie damit, dass diese Notbremse „zu halbherzig, zu wenig wirksam, zu wenig konsistent, zu wenig verhältnismäßig“ bleibe.

SPD: „Homeoffice gestärkt“

Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Rolf Mützenich, findet es „unwürdig“, wie sich einige der Abgeordneten im Bundestag verhielten. Es sei „unanständig“ und „unwürdig“ den Familienangehörigen und Betroffenen gegenüber, wenn davon geredet werde, dass die Pandemie herbeigetestet sei. Auch sei es „ungeheuerlich, dass Sie sich auf das Grundgesetz berufen. Verfassungsfeinde haben sich schon einmal der Verfassung bemächtigt“. Dem wolle man sich entgegenstemmen.

Mützenich hob einige Inhalte des geplanten Gesetzes hervor: „Es ist gut, dass wir das Homeoffice gestärkt haben.“ So würde die Gesundheit von Arbeitnehmern besser geschützt und Kontakte besser eingeschränkt werden. Auch lobte er, dass nun ein Testangebot von zweimal pro Woche für Arbeitnehmer in die Betriebe kommen müsse.

Den Schlagabtausch der Abgeordneten findet ihr auf bundestag.de. Die gesamte Debatte könnt ihr euch hier im Video anschauen:

(loh)

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