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Ferkel-Kastration Weiter ohne Betäubung

Männliche Ferkel werden ohne Betäubung kastriert. Das sollte sich von 2019 an ändern, doch nun wollen Union und SPD die bestehende Reglung um zwei Jahre verlängern. Was Experten dazu sagen.

Ferkel beim Fressen

Niedlich aber manchmal nicht so lecker: kleine Eber © picture alliance/imageBROKER

Schmerzhafter Eingriff

Schnipp schnapp, Hoden ab – so läuft das hierzulande bei Ferkeln: Um geruchlich und geschmacklich nicht ganz so leckeres Fleisch auszuschließen, werden männliche Mastschweine im zarten Ferkelalter von unter acht Tagen nämlich kastriert. Und zwar ohne Betäubung. Eigentlich sollte damit am 1. Januar 2019 Schluss sein, so steht es im aktuellen Tierschutzgesetz.

Aber da "die derzeit verfügbaren Alternativen zur betäubungslosen Kastration den Anforderungen der Praxis nicht gerecht werden", wollen Union und SPD per Gesetzentwurf das betäubungslose Kastrieren noch zwei Jahre länger erlauben. In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft am 26. November meinten die meisten Experten: geht nicht anders.

Die Alternativen

Bevor wir klären warum, sei noch kurz ein Antrag der Grünen erwähnt. Der wurde in der Anhörung mit verhandelt und erklärt, was es für Alternativen zur schmerzhaften Kastration gibt: ein Eingriff unter Narkose, die Immunokastration oder die Jungebermast.

Narkose ist klar. Bei der Immunokastration wird den Ebern ein Mittel gespritzt, das die Produktion bestimmter Sexualhormone unterbindet, die mitunter zu komisch riechendem und schmeckendem Fleisch führen. Dieser "Ebergeruch" tritt übrigens nur bei einem kleinen Prozentsatz der Tiere und unter bestimmten Bedingungen auf.

Deswegen wäre die Jungebermast eine dritte Alternative. Dabei blieben die Eber im Besitz ihrer Männlichkeit, allerdings müssten in vielen Betrieben die Bedingungen im Stall sehr viel tierfreundlicher werden. Dann hätten die Eber weniger Stress und würden weniger Hormone ausschütten, was ebenfalls zu makellosem Fleisch führen würde. Problem bei all diesen alternativen Methoden: Es kostet.

Es wäre teurer

Das ist auch der Grund, warum sich die Schweinebauern mit diesen Alternativen schwer tun. Im Ausland ist die ganze Sache bislang nämlich meist noch kein Thema, demzufolge wäre importiertes Schweinefleisch in Zukunft billiger als deutsches, die Verbraucher würden kein deutsches Schweinefleisch mehr kaufen und die Landwirte hätten einen Konkurrenznachteil. Das sei nicht in Ordnung, meinten auch die meisten Experten in der Anhörung und sprachen sich für eine Verlängerung der Frist aus.

"Nicht flächendeckend umsetzbar"

Das tat auch Dr. Bianca Lind vom Bundesverband Rind und Schwein e.V. Die vergangenen Jahre seien nicht ausreichend genutzt worden, um praktikable Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration auf den Weg zu bringen, meinte sie. Die bisher verfügbaren und zugelassenen Methoden seien derzeit nicht flächendeckend umsetzbar.

In ihrer Stellungnahme kritisierte die Sachverständige, dass bereits in den EU-Nachbarländern angewandte Methoden in Deutschland nicht zugelassen seien. Aus diesem Grund könnten, sollte die Betäubing in Deutschland gesetzlich festgelegt werden, in Zukunft mehr Ferkel aus dem Ausland als bisher an deutsche Mäster geliefert werden. Dies bedrohe die Existenz der deutschen Ferkelerzeuger. Lind plädierte für die lokale Betäubung mit dem Mittel Isofluran.

Verordnung fehlt – und Gasmasken

Der Wissenschaftler Dr. Michael Marahrens vom Institut für Tierschutz und Tierhaltung des Friedrich-Loeffler-Instituts erklärte, was es mit dem Mittel auf sich hat. Das funktioniert über die Atemwege, muss den Ferkeln also mit einer Art umgekehrter Gasmaske verabreicht werden. Isofluran sei mittlerweile in Kombination mit Schmerzmitteln arzneimittelrechtlich zugelassen, erklärte der Experte.

Für die Anwendung durch den Tierhalter bedürfe es aber noch einer Verordnung. Außerdem sei für einen flächendeckenden Einsatz entsprechender Narkosegeräte deren technische Weiterentwicklung erforderlich. Aus Sicht des Tierschutzes befürwortete Maharens jedoch die Immunokastration oder die Jungebermast. Er erklärte aber, dass es letzten Endes den Tierhaltern offen stehen müsse, welche Methode sie anwenden. Bei der Betäubung seien allerdings Schulungen und Sachkundenachweise notwendig.

Problem mit Ebermast

Werner Schwarz vom Deutschen Bauernverband hielt nichts von der Ebermast. Das Fleisch könne dann nur auf Nischenmärkten vermarktet werden. Er befürwortete deshalb die Methode der Lokalanästhesie, die er als geeignetes Verfahren einstufte. Aber auch der Narkose mit Isofluran und der Immunokastration stand er offen gegenüber.

Britta Becke erläuterte aus Sicht einer praktizierenden Landwirtin ebenfalls, dass das mit der Ebermast nicht gehe, weil die Schlachthöfe dabei nicht mitspielen würden. Die müssten dann nämlich noch eine Geruchsprüfung einführen und das koste. Auch die Immunokastration würden die Schlachthöfe ablehnen, weil der Verbraucher entsprechendes Fleisch nicht wolle. Becke plädierte für die örtliche Betäubung, dieses Verfahren sei einfach, sicher und nebenwirkungsfrei.

Weiter so und später lokale Betäubung

Auch Dr. Andreas Randt vom Tiergesundheitsdienst Bayern e.V. war der Ansicht, dass aufgrund fehlender Regelungen in Deutschland erst mal weiter ohne Betäubung kastriert werden müsse. Randt setzt sich für die lokale Betäubung ein. Er verwies auf die Erfahrungen in Schweden und Dänemark, wo diese Methode bereits angewendet wird. Die lokale Betäubung würde Tierwohlstandards gewährleisten und nicht so viel kosten.

Zu lange verschleppt

Jochen Dettmer, Diplom-Agraringenieur, und der Tierarzt Jan Schepers kritisierten, dass die Lösung des Problems so lange verschleppt worden sei und meinten, die Schweinezüchter seien ja bereit, mehr für den Tierschutz und das Tierwohl zu unternehmen – wenn sie dadurch konkurrenzfähig blieben. Wichtig sei es deswegen, auf EU-Ebene allgemeingültige Regelungen zu schaffen, ansonsten werde das Tierleid ins Ausland exportiert.

Alles verfassungswidrig?

Nur der Jurist Prof. Dr. Jens Bülte sprach sich gegen die Verlängerung der Frist aus. Die Begründung, dass eine Kostensteigerung für Agrarunternehmen verhindert und Wettbewerbsnachteile vermieden werden müssen, reiche nicht aus. Die Weiterführung der betäubungslosen Kastration um zwei Jahre sei unvertretbar. Die betäubungslose Kastration stelle vermeidbares Tierleid dar und sei somit verfassungswidrig. Denn Tierschutz steht schon seit einigen Jahren als Verfassungsziel im Grundgesetz.

(DBT/ah)

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