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AUSLANDS-SERIE: MAGHREB „Die Region hat eine hohe politische Relevanz“

Alexia Lautenschläger

Wie arbeiten Parlamentarier anderer Länder? Abgeordnete des Bundestages treffen regelmäßig Kollegen aus aller Welt. mitmischen.de fragt nach – heute bei dem Vorsitzenden der Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten Carl-Julius Cronenberg (FDP).

Gruppenbild mit Carl-Julius Cronenberg (vorne in der Mitte) und jungen Menschen aus Jordanien, im Hintergrund ein Gebäude mit der Aufschrift 'Language Center'

Carl-Julius Cronenberg in Jordanien, mit Bewerbern für das Internationale Parlaments-Stipendium. © privat

Herr Cronenberg, Sie sind seit Oktober 2021 Vorsitzender der Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten. Haben Sie einen persönlichen Bezug zu der Region?

Ja. Ich habe mit meiner Familie die Königsstädte Marokkos bereist und das Land sehr schätzen gelernt. Ich bin auch frankophil und frankofon, ich mag also alles, was französisch ist und spreche die Sprache, die im Maghreb weit verbreitet ist. Da ich hier in Berlin Berichterstatter für die parlamentarischen Austauschprogramme bin, hatte ich auch schon die Gelegenheit, Tunesien und Marokko beruflich zu besuchen. Das hat mir beides sehr gut gefallen. Über die persönlichen Bezüge hinaus hat diese Region natürlich auch eine hohe politische Relevanz.

Was genau ist denn die politische Relevanz?

Unter dem Maghreb versteht man Marokko, Algerien und Tunesien. Die Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten umfasst noch zwei weitere Länder: Mauretanien und Libyen. Zum einen gibt es Migrationsströme über Libyen und Marokko, das ist ein wichtiges Thema. Und zum anderen gibt es erhebliche Gasvorkommen in Algerien – Stichwort Energiepartnerschaft. Wir tun gut daran, uns mit unseren Nachbarn im südlichen Mittelmeerraum intensiv auszutauschen und die politischen Prozesse sehr eng zu begleiten. Wir sollten die Wirtschaftsbeziehungen, also den Handel, aber auch die Investitionen in der Region ausweiten.

Landkarte der Maghreb-Staaten

Als Maghreb-Staaten bezeichnet man vor allem Tunesien, Algerien und Marokko mit dem völkerrechtlich umstrittenen Gebiet der Westsahara, aber auch Libyen und Mauretanien, die aufgrund ihrer Geographie und Geschichte viele Gemeinsamkeiten haben. © Google Maps

Welche Themen beschäftigen Sie in der Gruppe derzeit am meisten?

In Berlin konnte ich vor Kurzem tunesische Abgeordnete treffen. Dort hat es im Juli 2021 erhebliche politische Unruhen gegeben, man kann auch von einem Staatsstreich sprechen. Der Rückbau der Demokratie ist ein Riesenthema. Die Demokratie in Tunesien ist zurzeit in einer ganz schwierigen und gefährlichen Lage.

Außerdem ist die Zugehörigkeit des Gebiets Westsahara immer noch ein Konfliktherd zwischen dem Nachbarn Marokko und Algerien. Es gibt eigentlich eine klare völkerrechtliche Lage: Es soll ein Referendum stattfinden, aber die Marokkaner sperren sich dagegen – leider ein Dauerthema.

Und wie schon erwähnt ist in Algerien auch das Thema Gas interessant. Algerien ist ein großer Gaslieferant, insbesondere für Spanien und Italien. Das sollten wir für den europäischen Raum ausbauen. Ebenso sollten wir die Energie- und Rohstoffpartnerschaft mit Marokko ausbauen. Da habe ich große Hoffnung, dass das auch zu mehr Handel und Investitionen führen wird. Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft im Maghreb-Raum könnte eine interessante Perspektive sein.

In Libyen geht es gerade darum, überhaupt wieder eine stabile Staatlichkeit herzustellen. General Ḥaftar hat versucht, mit bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen die Macht zu übernehmen. Im Moment ist es zwar einigermaßen ruhig, aber ich würde noch nicht so weit gehen, von einer stabilen Lage zu sprechen. Da werden wir sicherlich das Thema politische Stabilität ganz oben auf die Tagesordnung setzen.

Carl-Julius Cronenberg (rechts) mit dem algerischen Botschafter

„Wir tun gut daran, uns intensiv auszutauschen": Cronenberg mit dem algerischen Botschafter in Berlin. © Büro Cronenberg

Wie funktioniert der Parlamentarismus in den Maghreb-Staaten? Welche Unterschiede gibt es zu Deutschland?

Das kann man überhaupt nicht vergleichen. Bei uns ist die parlamentarische Demokratie seit 70 Jahren fest verankert und eingebettet in einem Rechtsstaat mit funktionierender Gewaltenteilung und einem hohen Grad an Pressefreiheit. Das alles gibt es in den Ländern der Maghreb-Regionen nicht.

Wir haben in Mauretanien ein eher autoritäres Regime. Da gibt es zwar ein Parlament, aber das hat keine ernstzunehmenden Befugnisse. In Tunesien, wie gesagt, ist unsere große Sorge, dass Präsident Said die Demokratie zurückbaut, die sich seit dem Arabischen Frühling eigentlich ganz gut entwickelt hatte. Marokko ist eine konstitutionelle Monarchie. Auch hier gibt es ein Parlament, aber kein starkes. In Algerien ebenso wenig. Und über die noch sehr instabile Staatlichkeit Libyens will ich mich gar nicht weiter auslassen…

Was genau sind die Aufgaben der Parlamentariergruppe?

Wir tauschen uns mit dem Auswärtigen Amt aus, auch mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wir suchen das Gespräch mit den Botschaften, der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Außerdem informieren wir uns über die Lage vor Ort und bereiten Reisen in die Länder vor. Umgekehrt ist es auch so, dass Delegationen aus den Mitgliedstaaten unsere Parlamentariergruppe in Berlin besuchen. Die empfangen wir dann und führen politische Gespräche über aktuelle Themen.

Wir haben im Bundestag 47 Parlamentariergruppen und die decken in etwa 150 Staaten ab. Das ist ein wichtiger parlamentarischer Arm der Außenpolitik, weil der Auswärtige Ausschuss mit seinen 46 Mitgliedern sich ja um die ganze Welt kümmern muss. Die brauchen auch Input und deswegen gehört es mit dazu, dass ich in meinem Arbeitskreis vor den Fachpolitikern berichte und meine Erfahrungen aus der Parlamentariergruppe weitergebe.

Wie erleben Sie das öffentliche Interesse in Deutschland an den Maghreb-Staaten?

Ein kontinuierliches Interesse kann ich nicht feststellen. Ich habe eher den Eindruck, dass die öffentliche Aufmerksamkeit sich nur dann auf den Maghreb richtet, wenn schreckliche Ereignisse stattfinden. Natürlich ist es furchtbar, wenn Migranten – wie zuletzt beim Sturm auf Spaniens Exklave Melilla – zu Tode kommen. Und es ist wichtig darüber zu berichten. Aber es wäre schön, wenn auch andere Themen in der Öffentlichkeit ankommen würden. Ich würde mich zum Beispiel freuen, wenn es eine öffentliche Debatte über Energie- oder Rohstoffpartnerschaften gäbe. Vielleicht können wir als Parlamentariergruppe ja dazu beitragen.

Nun haben Sie ja selbst schon einige Reisen in den Maghreb und nach Westafrika unternommen. Haben Sie Reisetipps?

Ja, in der Tat. Mir hat Essaouira sehr gut gefallen, eine uralte Hafenstadt im Westen Marokkos. Das ist so ein Ort mit besonders schönem Licht und schöner Altstadt. Deswegen sind da ganz viele Künstler, die malen da wie verrück. Es macht wirklich Spaß, ein bisschen durch die Stadt zu bummeln, Galerien zu besuchen und drumherum gibt es auch Strände. Jimi Hendrix war da auch mal zu Besuch – das halten die Marokkaner ganz hoch. Nach Essaouira kommt man gut von Marrakesch aus, das ist gar nicht weit.

Zur Person

Carl-Julius Cronenberg, 1962 geboren, hat Betriebswirtschaftslehre studiert und ist Unternehmer. Seit 2017 sitzt er für die FDP im Deutschen Bundestag. Er ist Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales und in der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung und Vorsitzender der Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.

Zur Person

Portraitfoto Autorin Alexia Lautenschläger
mitmischen-Autorin

Alexia Lautenschläger

... hat in Potsdam ihr Abitur gemacht und studiert jetzt Arabistik und Islamwissenschaften an der Universität Leipzig. Am liebsten liest sie Bücher, macht Sport oder schaut sich Katzen-Videos auf YouTube an.

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