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EU-Ratspräsidentschaft „Europa braucht uns, so wie wir Europa brauchen“

Klima-neutral, digital unabhängig und global verantwortungsvoll - so solle Europa werden, sagte Bundeskanzlerin Merkel im Bundestag. Deutschland wolle dafür die nächsten sechs Monate nutzen. Das stieß nicht bei allen Fraktionen auf Begeisterung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Regierungserklärung im Bundestag

„Europa erfüllt mich mit seinem Versprechen von Freiheit und Gleichheit immer wieder mit großer Dankbarkeit“, sagte die Kanzlerin im Bundestag. © picture alliance/Michael Kappeler/dpa

Dieses Jahr spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) oft im Bundestag. Zuletzt ging es dabei meist um die Corona-Krise. Am 18. Juni aber stand ein anderes Thema an: Deutschland übernimmt ab 1. Juli das Ruder an einer entscheidenden Stelle der Europäischen Union und kann so wichtige Dinge voranbringen.

Hintergrund-Infos zur bevorstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft findet ihr in unserem Top-Thema.

„Unser Europa ist verletzlich“

In ihrer Regierungserklärung bezeichnete Merkel Europa als „eine offene und dynamische Ordnung des Friedens und der Freiheit, die wir stetig verbessern können und müssen“. Auf diese Aufgabe freue sie sich sehr.

Die Ratspräsidentschaft mitten in der Corona-Pandemie zu übernehmen, sei eine große Herausforderung. Diese Krise habe gezeigt: „Unser Europa ist verletzlich.“ Gerade deshalb müsse die EU gemeinsam gegen die Pandemie vorgehen. Die Kanzlerin sprach von einem Wandel „hin zu kreativen, nachhaltigen Unternehmen und sicheren Arbeitsplätzen“.

Drei Schwerpunkte für die deutsche Ratspräsidentschaft nannte Merkel: Erstens den Klimaschutz, den „Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft“. Zweitens die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Europa müsse technologisch und digital unabhängig werden. Damit sei sowohl der Aufbau einer sichereren europäischen Daten-Infrastruktur gemeint als auch eine Expertise in sensiblen Technologie-Bereichen wie Künstlicher Intelligenz. Drittens müsse Europa mehr globale Verantwortung übernehmen. Es müsse verhindert werden, dass radikale Kräfte das europäische Versprechen von Freiheit und Gleichheit in Frage stellten.

Kritik von der AfD

Direkt am Anschluss an die Kanzlerin sprach die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel: „Schade, Frau Merkel – wieder eine Gelegenheit verpasst, den deutschen Bürgern reinen Wein einzuschenken“, begann sie ihre Rede. Der „volkswirtschaftliche Schaden“ durch die Corona-Krise werde „Tag für Tag größer“, Deutschland drohe eine „nie dagewesene Welle von Arbeitslosigkeit und Unternehmenspleiten“.

„In dieser Situation haben wir keine Milliarden zu verschenken, wir müssen uns selbst helfen“, meinte Weidel. Die Pläne der Bundesregierung, die deutschen Beiträge für die EU anzuheben, seien „dreist“ und die AfD werde dagegen klagen.

Weidels Rede wurde von empörten Zwischenrufen begleitet.

Emotionale Plädoyers für Europa

Die anderen Fraktionen hielten dagegen teils sehr emotionale Plädoyers für die europäische Idee.

Man müsse diese Idee schützen „vor einer unberechenbar gewordenen USA, vor einem expandierenden China und einem autoritären Russland“, mahnte Martin Schulz für die SPD. In der Pandemie säßen alle im gleichen Boot, das sei ein „europäischer Moment“. Deshalb sei es ein Fehler gewesen, Grenzen zu schließen, „als grenzüberschreitende Hilfe nötig gewesen wäre“. Schulz forderte: „Wir müssen die EU umbauen zu einer echten Solidarunion.“

Auch Ralph Brinkhaus, Fraktionsvorsitzender der Union, betonte: „Europa ist das größte und erfolgreichste Friedensprojekt der Welt.“ Die EU-Ratspräsidentschaft sei eine großartige Gelegenheit für Deutschland, eine „Renaissance der europäischen Ideen“ einzuleiten.

Auch der Chef der FDP-Fraktion Christian Lindner sah in der Ratspräsidentschaft eine Chance – sie müsse allerdings richtig genutzt werden. Man solle sich später nicht erinnern an „eine Ratspräsidentschaft der neuen Schulden“, sondern an „eine Ratspräsidentschaft der neuen Arbeitsplätze“.

Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linken, meinte, die EU sei schon vor der Corona-Krise entzweit gewesen. „Wo war die europäische Solidarität, als Zehntausende vor Krieg flohen und in Europa Schutz suchten?“, fragte sie. Die Regierungen der Mitgliedsländer hätten in der Flüchtlingskrise ebenso gegensteuern müssen wie jetzt. Stattdessen bliebe es beim alten Muster, dass vor allem die etwas bekommen, die schon viel haben“.

Schließlich sprach Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Europa bleibt die beste Idee, die Europa je hatte“, sagte sei. Nun sei es wichtig, dass die EU die Corona-Krise und die Klimakrise gemeinsam bekämpfe. Dafür bräuchten wir langfristige Investitionen und echte Nachhaltigkeit. An die Kanzlerin appellierte sie: „Machen Sie diese Ratspräsidentschaft zur Klimapräsidentschaft!“

Anträge der Oppositionsfraktionen

Drei Fraktionen hatten ihre Ideen für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft formuliert, und zwar vorab in Form von Entschließungsanträgen. Alle vier Anträge wurden mit Mehrheit abgelehnt.

Die FDP forderte die Regierung in ihrem ersten Entschließungsantrag auf, sich für eine Verlängerung des Brexit-Überganszeitraums einzusetzen, bis die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien über den Austritt abgeschlossen seien.

Im zweiten Antrag der FDP ging es um den EU-Haushalt. Derzeit berät die EU nämlich über ihren Finanzrahmen von 2021 bis 2027. Die FDP möchte, dass die EU dabei auf einen ausgeglichenen Haushalt achtet.

Der Antrag der Linken warb für eine soziale EU mit einer "starken" Arbeitslosenversicherung, europaweiten Mindestlöhnen und einer "angemessenen" Lohnentwicklung.

Schließlich forderten die Grünen in ihrem Antrag, dass Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft nutzen solle, um den Klimaschutz in Europa voranzubringen.

Hier seht ihr die Regierungserklärung und die anschließende Aussprache im Video:

(DBT/jk)

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