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Bundestagsprogramm „Nur im Austausch können wir Konflikte lösen“

Zwölf Stipendiaten aus acht arabischen Staaten kamen gestern zum Auftakt ihres Parlamentsstipendiums im Bundestag zusammen. Sie besuchten die Generaldebatte und trafen sich mit Abgeordneten, um mit ihnen über internationale Beziehungen und heikle Fragen zu sprechen.

Gruppenbild mit arabischen Stipendiaten und Abgeordnetem Kai Gehring (2. von links)

Zwölf Stipendiaten, acht Länder, viele spannende Themen. © DBT/Julia Karnahl

„Sonst kennt man den Bundeskanzler eher ruhig. Aber heute war Herr Scholz wirklich sehr emotional. Man hat gemerkt, dass er unter Druck stand.“ So blickt Karim auf die Generaldebatte im Plenum. Er kommt aus dem Libanon und ist einer von zwölf Teilnehmern des Internationalen Parlaments-Stipendiums (IPS) Arabische Staaten, die den September in Berlin verbringen, um den deutschen Parlamentarismus kennenzulernen.

Zum Auftakt des Programms sind Karim und die anderen zwei Tage im Bundestag. Danach stehen Workshops, Seminare und Ausflüge zur Geschichte und Kultur Deutschlands auf dem Plan. Der Höhepunkt des Programms ist ein einwöchiges Praktikum in einem Abgeordnetenbüro Ende September.

Das IPS Arabische Staaten

Das IPS Arabische Staaten richtet sich an junge, politisch engagierte Menschen aus dem arabischen Raum, die Interesse am deutschen parlamentarischen System haben und sich in ihren Heimatländern aktiv für demokratische Grundwerte einsetzen. Mehr zum Programm und zum Auswahlverfahren erfahrt ihr auf der IPS-Seite des Bundestages.

Ordnung, Respekt, Argumente – so nehmen die Stipendiaten den Bundestag wahr

Aber zurück zur Generaldebatte, die die sieben Frauen und fünf Männer aus acht verschiedenen arabischen Ländern jetzt auswerten. „Im deutschen Parlament gibt es auf jeden Fall mehr Ordnung und Respekt als in Tunesien“, findet Syrine.

Rayhane, die ebenfalls aus Tunesien kommt, ergänzt: „Mich hat beeindruckt, dass die Opposition zwar laut und energisch war, aber immer fundiert argumentiert hat. Insgesamt ging es sehr sachlich zu.“ Außerdem ist sie fasziniert davon, wie diszipliniert die Abgeordneten ihre Redezeit eingehalten haben.

In der Auswertungsrunde können die Stipendiaten ihre Fragen loswerden: Was ist in Plenardebatten nicht erlaubt? Wofür gibt es eine Rüge? Wer bestimmt die Reihenfolge der Redner? Gibt es eine feste Sitzordnung innerhalb der Fraktionen?

Nach zwei Stunden Plenardebatte und eineinhalb Stunden Auswertung brauchen alle eine Pause. Die gibt es beim Mittagessen in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft (DPG) auf Einladung des Leiters der IPS-Auswahldelegation Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen). Aber auch während des Essens geht der Austausch natürlich weiter.

Große Themen, schwierige Fragen

Danach geht es ins Paul-Löbe-Haus, wo sechs Abgeordnete auf die Stipendiaten warten: Stephan Albani (CDU/CSU) leitet die Deutsch-Ägyptische Parlamentariergruppe, Carl-Julius Cronenberg (FDP) die Parlamentariergruppe Maghreb, Rainer Semet (FDP) ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Iranische Parlamentariergruppe, Tobias Bacherle und Lamya Kaddor (beide Bündnis 90/Die Grünen) sind Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses und Kristian Klinck (SPD) sitzt im Verteidigungsausschuss.

Im Gespräch soll es also um die parlamentarischen Beziehungen zum arabischen Raum gehen. Die IPS-Stipendiaten haben, je nach Herkunftsland, große Themen und schwierige Fragen mitgebracht.

Gruppenbild mit arabischen Stipendiaten und Abgeordneten, im Vordergrund Hände mit Smartphone, die ein Foto machen

Gruppenbild mit Abgeordneten: Nach der Gesprächsrunde und dem Foto wurden noch eifrig Nummern ausgetauscht. © DBT/Julia Karnahl

„Wie unterstützen Sie die Jemeniten?“

Abdo stammt aus dem Jemen. Dort brach nach Jahren der politischen Unruhe 2015 ein Bürgerkrieg aus. Darauf folgte eine Militärintervention, die von Saudi-Arabien geführt und von vielen anderen arabischen Ländern unterstützt wird und seit sieben Jahren andauert. „Wie unterstützen Sie die Jemeniten?“, wollte Abdo wissen.

„Die Jemen-Krise ist eine der größten menschlichen Tragödien unserer Zeit“, sagt Cronenberg. Die Menschen dort litten furchtbar. Kaddor berichtet, dass sie einen Tag zuvor einen Entsandten der jemenitischen Botschaft getroffen habe: „Ehrlich gesagt gibt es keine große Hoffnung, dass die aktuelle Feuerpause nach dem 2. Oktober verlängert wird.“ Kaddor selbst will noch im September in den Jemen reisen, um vor Ort Gespräche zu führen – das sei allerdings „nicht ungefährlich“.

„Wie arbeiten Sie aktuell mit Tunesien zusammen, wo es kein Parlament mehr gibt?“

Drei Stipendiaten kommen aus Tunesien. Syrine und Issam wollen wissen, wie der Bundestag aktuell mit ihrem Land zusammenarbeitet. Der tunesische Präsident Kaïs Saïed hatte das Parlament im Juli 2021 suspendiert und acht Monate später ganz aufgelöst. „Die Demokratie in Tunesien wird zurückgebaut, das macht uns große Sorge“, erklärt Cronenberg. Er erzählt, dass sich im Mai Vertreter des abgesetzten tunesischen Parlaments bei ihm gemeldet haben. Cronenberg und Bacherle hätten mit ihnen Gespräche geführt: „Ich hatte den Eindruck, dass sie wirklich um Leib und Leben fürchteten und ihr Land in großer Sorge um ihre Familien verlassen hatten.“ Diese Kontakte werde man aufrecht erhalten, um regelmäßig Einblicke in die aktuelle Situation zu bekommen.

„Sprechen Sie auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft?“

Khaled aus Jordanien wollte wissen, ob die Parlamentariergruppen bei ihren Reisen nur mit anderen Parlamentariern Kontakt hätten oder auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft, etwa mit NGOs. Man bemühe sich, erklärte Bacherle, etwa über das Goethe-Institut oder deutsche Stiftungen vor Ort Kontakte zu Aktivisten und anderen Akteuren zu bekommen. Das sei aber mitunter schwierig, auch weil man die Betroffen durch gemeinsame Treffen gefährden könne.

Albani ergänzt: „Wir können uns am Ende des Tages natürlich nur bedingt aussuchen, mit wem wir vor Ort reden.“ Es sei aber immer das Ziel, mit allen Seiten zu sprechen: „Wir bemühen uns um ein ausgewogenes Bild, nur das kann Grundlage einer vernünftigen Arbeit sein.“

Auch wenn er ob der internationalen Krisen manchmal verzweifle, betont Albani: „Je mehr Verbindungen wir miteinander haben, desto bessere Chancen haben wir, Probleme anzugehen. Nur im Austausch können wir Konflikte lösen.“

Eben deshalb seien Programme wie das IPS so wichtig, um Brücken zu bauen. Und so endet die Gesprächsrunde mit der ausdrücklichen Einladung aller Abgeordneten an die Stipendiaten, sie in den kommenden Tagen zu weiteren Gesprächen zu treffen und im Kontakt zu bleiben.

(jk)

Das IPS gibt es übrigens auch als fünfmonatiges Stipendien-Programm für junge Leute aus anderen Ländern allgemein. Einen Einblick bekommt ihr hier:

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