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Neue Vorsitzende „Beglückend ist, wenn Einigkeit gelingt“

Der neue Ethikrat ist Ende Mai das erste Mal zusammengekommen. Alena Buyx ist seit vier Jahren Mitglied, nun leitet sie das Gremium. Welche kniffligen Fragen liegen auf dem Tisch? mitmischen.de hat nachgefragt.

Porträt von Prof. Dr. med. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats

„Mit das Beste, was man sich als Medizin-Ethikerin vorstellen kann“ – so beschreibt Alena Buyx ihre Aufgabe im Deutschen Ethikrat. © Andreas Heddergott/TUM

Sie sind zur neuen Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats gewählt worden. Was reizt Sie an diesem Amt?

Der Ethikrat ist eine ganz außergewöhnliche Gemeinschaftsaufgabe. Da kommen Menschen mit unterschiedlichen professionellen Hintergründen und Erfahrungen, aber auch mit unterschiedlichen weltanschaulichen und philosophischen Positionen zusammen und beschäftigen sich mit schwierigen Fragen. Das ist beste interdisziplinäre Arbeit, ein ganz tiefgehender Austausch, den man braucht, um dann in fast allen Fällen zu einem Konsens zu kommen. Und diese Art von strukturierter Auseinandersetzung mitzugestalten und zu befördern als Vorsitzende ist für eine Medizin-Ethikerin mit das Beste, was man sich vorstellen kann.

Was genau macht der Ethikrat und wie arbeitet er? Und was ist Ihre Rolle als Vorsitzende?

Wir bilden Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen. In der Regel bearbeiten wir mindestens zwei Themen parallel. Es gibt auch noch kleinere Gruppen, die Veranstaltungen wie unsere Jahrestreffen vorbereiten. Die Arbeitsgruppen treffen sich nach Bedarf. Einmal im Monat kommen wir alle zusammen und besprechen die Arbeit der Gruppen im Plenum. Meine Aufgabe als Vorsitzende ist es, die Plenumsarbeit zu leiten. Nach innen habe ich also auch eine moderierende Funktion.

Das erste Thema, das Sie im Ethikrat behandeln werden, ist die mögliche Einführung von Corona-Immunitäts-Nachweisen. Worum geht es da genau und welche unterschiedlichen Haltungen gibt es dazu?

Es geht im Wesentlichen um die Frage, ob man solche Nachweise für Menschen, die gegen das Virus immun sind, einführen könnte. Und wir verhandeln dazu die wissenschaftlichen, die ethischen und die rechtlichen Fragen. Aber zu der laufenden Debatte darf ich Ihnen inhaltlich leider jetzt noch nichts sagen.

Das Ergebnis Ihrer Debatte soll eine sogenannte Ad-hoc-Empfehlung sein, die der Politik als Entscheidungshilfe dienen kann. Was passiert, wenn die Mitglieder des Ethikrats sich nicht auf eine gemeinsame Empfehlung einigen können?

Wir versuchen immer bis zum Schluss, eine gemeinsame Position zu finden. Das ist das Schwierige – aber auch das Beglückende, wenn es gelingt. Manchmal ist es aber auch nicht möglich. Es gibt ja bei einigen Themen verschiedene gut begründete Positionen. Wenn wir zu keiner Einigung kommen, dann legen wir das offen und machen die Unterschiede transparent.

Gehört das zu Ihren Aufgaben als Vorsitzende, auf einen gemeinsamen Kompromiss hinzuwirken?

Ich sehe meine Rolle darin, Einigkeit zu befördern – aber sie natürlich nicht zu erzwingen. Das ginge auch gar nicht. Der Souverän ist das Plenum. Manchmal ist es so, dass unterschiedliche Auffassungen durch den professionellen Hintergrund geprägt sind und dass man dann doch noch zueinander findet, wenn man tiefer ins Thema einsteigt oder eine gemeinsame Sprache findet. Das ist ja letztlich in vielen Gremien so, auch in politischen: Man muss immer ausloten, wo ein Kompromiss möglich ist. Wenn das aber nicht funktioniert, auch nicht nachdem alle Argumente ausgetauscht sind, dann ist es meine Aufgabe als Vorsitzende, für Transparenz zu sorgen.

Welche ethischen Fragen stellen sich außer der Frage nach Immunitäts-Nachweisen noch im Zusammenhang mit der Corona-Krise?

Wir haben uns ja schon sehr frühzeitig damit beschäftigt und Ende März eine Ad-hoc-Empfehlung veröffentlicht. Da haben wir zwei Themenbereiche aufgegriffen. Zum einen die Triage-Frage, also die Frage, wie Mediziner priorisieren, wenn so viele Menschen krank werden, dass nicht alle gleichzeitig behandelt werden können. Das ist uns ja zum Glück in Deutschland erspart geblieben, weil wir die richtigen Maßnahmen ergriffen haben und weil wir ein gutes Gesundheitssystem und eine gute Intensivausstattung haben. Andere Länder wie Italien und Spanien mussten sich mit solchen Entscheidungen durchaus real auseinandersetzen.

Und der zweite Themenbereich?

Der zweite Komplex war der Bereich Lockdown und Lockerungen. Wir haben darauf hingewiesen, dass es da einen ethischen Konflikt gibt, zwischen dem Schutz von Gesundheit und Gesundheitssystem auf der einen und den sozialen, wirtschaftlichen, psychischen Nebenfolgen auf der anderen Seite, der sich auch nicht auflösen lässt. Man muss deswegen immer wieder neu abwägen, welche Maßnahmen verhältnismäßig sind und warum. Wir haben daher früh gesagt: Wir müssen über verantwortungsvolle Öffnungsszenarien nachdenken, statt nur auf die Infektionszahlen zu schauen.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Empfehlungen beachtet werden?

Ja. Diese Corona-Stellungnahme ist zum Beispiel stark wahrgenommen und auch häufig zitiert worden. Aus meiner Perspektive hat sie auch die öffentliche Debatte mitgeprägt. Sie hat sicherlich dazu beigetragen, diese Krise nicht nur unter epidemiologischen und virologischen oder auch politischen Gesichtspunkten zu betrachten, sondern eben auch ethische klar als solche Fragen zu benennen.

Gibt es über Corona hinaus weitere Themen, die sich schon abzeichnen oder die Sie selbst gerne auf der Agenda des Ethikrats sähen?

Wir haben schon eine weitere Arbeitsgruppe gebildet, die sich mit der Frage der Selbsttötung beschäftigen wird. Das ist natürlich ein ganz altes Thema in der Medizinethik, im Recht. Diese Frage verhandeln wir seit Jahrhunderten – in der Philosophie seit Jahrtausenden, seit Sokrates. Aber jetzt hat es auf politischer Ebene eine konkrete zeitliche Dimension erhalten. Denn das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgetragen, dazu etwas zu entwickeln.

Wann wird es zum Thema Selbsttötung eine Stellungnahme des Ethikrates geben?

Das steht noch nicht fest. Wir haben sehr unterschiedliche Arbeitsformate. Es gibt Themen, für die wir uns auch einmal eineinhalb Jahre Zeit nehmen, wenn sie eben mehr Zeit brauchen. Aber bei den Aufträgen, die aus der Politik kommen, gibt es natürlich meistens eine Deadline, weil es um konkrete politische Prozesse und Entscheidungen geht. Manchmal ist es auch so, dass ein Gesetzgebungsverfahren läuft und es dann ab einem bestimmten Zeitpunkt keinen Sinn mehr machen würde, eine Stellungnahme zu veröffentlichen, weil – salopp gesprochen – der Drops einfach schon gelutscht wäre.

Ihr Fachbereich an der TU München ist die Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien. Was lernen Ihre Studenten dort?

Ich unterrichte auf der einen Seite Medizin-Studierende. Da geht es zum Beispiel um das Arzt-Patienten-Verhältnis, um Ethik am Lebensanfang und am Lebensende, also solche Fragen, die Ärzten in der Praxis oft begegnen. Außerdem unterrichte ich an verschiedenen anderen Fakultäten, zum Beispiel in technischen Fächern. Dort spreche ich mit den Studierenden über die ethischen Fragen bei der Einführung neuer Technologien, über künstliche Intelligenz zum Beispiel: Wie entwickelt man smarte Roboter ethisch verantwortlich? Solche Themen haben wir auch im Ethikrat schon behandelt. In unserer letzten Jahrestagung ging es um Robotik. Auch über Big Data haben wir diskutiert. Neue Technologien sind ein großes Thema und werden uns wohl immer wieder beschäftigen.

Zur Person

Prof. Dr. med. Alena Buyxist Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Technischen Universität München (TUM). Sie hat Medizin, Philosophie, Soziologie und Gesundheitswissenschaften studiert und hatte schon Positionen an den Universitäten von Kiel, Münster, Harvard und London.

(jk)

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