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Nationalsozialismus „Das Schlagwort ‚Nie wieder!‘ mit Leben füllen“

37 junge Menschen kamen diese Woche zur Jugendbegegnung des Bundestages zusammen, um sich mit den Verbrechen der Nationalsozialisten zu beschäftigen. Was hat das mit der Gegenwart zu tun? Was hat sie besonders bewegt? Was nehmen sie mit?

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Gespräch mit Jugendlichen

„Was immer hilft ist, dass man sich begegnet“: Die Jugendlichen sprachen auch mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, unter anderem über Antisemitismus heute. © DBT/Stella von Saldern

„Natürlich ist es anstrengend, sich immer wieder damit auseinanderzusetzen – aber so wichtig!“ Was Sophie-Marie (24) meint, ist die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus. Sie ist eine von 37 jungen Leuten, die diese Woche im Parlament zu Gast waren, um genau das zu tun: sich mit der deutschen Geschichte beschäftigen.

Seit 25 Jahren lädt der Bundestag jedes Jahr anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus junge Menschen zur Jugendbegegnung ein, die in Gedenkstätten und ähnlichen Institutionen aktiv sind.

Kurz erklärt: Die Nazis und ihr Hass

Der Nationalsozialismus war eine politische Bewegung, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs im Jahr 1919 entstand. Ein wichtiger Kern ihrer Ideologie war der Antisemitismus, der Hass auf Jüdinnen und Juden. Die Nationalsozialisten, man sagt auch Nazis, teilten Menschen in Gruppen ein und behaupteten, es gebe „höherwertige“ und „minderwertige“. Diese Gruppen nannten sie Rassen. Ganz unten standen für die Nazis Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma und andere Opfergruppen.

Unter ihrem Führer Adolf Hitler errichteten die Nazis ab 1933 in Deutschland eine Diktatur und begannen, gezielt Menschen mit jüdischem Glauben zu verfolgen. Sie verhafteten und sperrten sie in Arbeits- und Konzentrationslager, wo sie sehr hart arbeiten mussten, oft an Hunger und Krankheit starben oder auch direkt umgebracht wurden.

Nachdem die Nazis den Zweiten Weltkrieg begonnen hatten, verfolgten und töteten sie auch die Jüdinnen und Juden in den von ihnen besetzen Ländern. Am Ende des Krieges, im Jahr 1945, hatten die Nazis mehr als sechs Millionen Jüdinnen und Juden ermordet. Dieser Massenmord wird Holocaust genannt.

Vom Freiwilligenjahr zum Geschichtsstudium

Sophie-Marie arbeitet am Erinnerungsort Topf & Söhne in Erfurt. Die Firma hat die Leichenverbrennungsöfen für die Konzentrationslager der Nazis gebaut. Heute beschäftigt sie sich mit der Mitverantwortung der Wirtschaft an den Verbrechen der Nationalsozialisten. Sophie-Marie hat ein Freiwilliges Soziales Jahr an diesem besonderen Erinnerungsort gemacht, jetzt führt sie als freie Mitarbeiterin Gruppen vor Ort und arbeitet auch wissenschaftlich dort. Sie war zum Beispiel mit im Team, als kürzlich die Synagoge (ein Gotteshaus von Jüdinnen und Juden) in Erfurt virtuell rekonstruiert wurde.

Jugendliche vor dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus

Nach dem Geschichtsstudium will Sophie-Marie sich weiter mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigen. © DBT

Gerade hat sie ihren Master in Geschichte angefangen, erzählt Sophie-Marie. Auch beruflich möchte sie sich später gerne weiter mit der deutschen Vergangenheit beschäftigen. Bei der Jugendbegegnung hat sie besonders das Zeitzeugen-Gespräch mit Franz Michalski berührt, der den Völkermord damals überlebt hat. „Es ist einfach toll, dass Menschen wie er immer wieder die Kraft aufbringen, mit jungen Leuten über ihre Geschichte zu sprechen“, findet Sophie-Marie.

Sehr bereichernd fand sie auch den Austausch mit den anderen Teilnehmern, die an ganz unterschiedlichen Institutionen einer ähnlichen Arbeit nachgehen wie sie.

„Ich werde diese Arbeit immer machen“

Einer von ihnen ist David (23). Er engagiert sich im Verein Romatrial in Berlin. Da er selbst Roma ist, interessiert ihn besonders die Aufarbeitung der Verfolgung von Roma und Sinti durch die Nationalsozialisten. Als er vor sieben Jahren aus Rumänien nach Deutschland gekommen ist, suchte er nach einer Möglichkeit, sich zu engagieren – und fand Romatrial.

Bald ist David mit seiner Ausbildung zum Erzieher fertig. Danach will er soziale Arbeit studieren. David arbeitet gerne mit Jugendlichen und findet es wichtig, mit ihnen über Geschichte zu sprechen. Deshalb geht er für den Verein an Schulen, deshalb erzählt er auch mit seiner Theater-Gruppe die Geschichte der Sinti und Roma. „Ich werde diese Arbeit immer machen“, ist er sich sicher.

Junger Mann im Bundestag

Als Erzieher arbeitet David mit Jugendlichen. Als Schauspieler erzählt er die Geschichte seines Volkes, der Roma. © DBT

Wer waren die Täter?

Besonders spannend fand David das diesjährige Thema der Jugendbegegnung: die Wannsee-Konferenz. Am 20. Januar 1942 kamen in einer Villa am Wannsee in Berlin führende Nationalsozialisten zusammen, um die systematische Ermordung von Jüdinnen und Juden zu planen.

„Sich intensiv mit den Tätern zu beschäftigen, war ein interessanter Aspekt“, sagt David. In der Gedenk- und Bildungsstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ haben er und die anderen sich jeden einzelnen Teilnehmer der Konferenz genau angeschaut. „Es ist wichtig, auch diese Perspektive zu kennen, um zu verstehen“, meint David. Außerdem fand er es wichtig zu erfahren, was nach dem Krieg mit den Tätern passiert ist: „Manche wurden verurteilt, andere sind entkommen.“ Die Frage nach Gerechtigkeit trieb alle Teilnehmer der Jugendbegegnung um.

Gespräch mit der Bundestagspräsidentin

Am Mittwoch empfing Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die Jugendlichen zu einem Gespräch. „So viele engagierte junge Leute hier“, freute sie sich. Sie erzählte von ihrem Besuch in Israel zum Gedenktag und „sehr emotionalen“ Zeitzeugen-Gesprächen. Es sei ihr ein wichtiges Anliegen, die Erinnerungskultur aufrechterhalten, aber auch über den Antisemitismus in der heutigen Gesellschaft reden.

Was man dagegen tun könne, fragte eine Teilnehmerin. „Was immer hilft ist, dass man sich begegnet und so Vorurteile bekämpft“, antwortete die Bundestagspräsidentin. Viele Menschen wüssten viel zu wenig über das Judentum und jüdisches Leben. Der Austausch auch zwischen verschiedenen Kulturen sei deshalb wichtig. Der Bundestag plane, junge Parlamentarier aus verschiedenen Ländern zu dem Thema zusammenzubringen.

Sie wünsche sich auch Kooperationen zwischen Schulen und Gedenkstätten, sagte Bas. Denn: „Bildungsarbeit ist eine große Aufgabe.“ Und es sei enorm wichtig, die Zahlen und Fakten zum Nationalsozialismus in einen Zusammenhang zu unserer heutigen Gesellschaft zu bringen, „damit das Schlagwort ‚Nie wieder!‘ mit Leben gefüllt wird.“

Gruppenbild der Jugendlichen mit Bundestagspräsidentin Bärbel Das

Gruppenbild mit Präsidentin: Eine Stunde lang sprach Bärbel Bas mit den Teilnehmern der Jugendbegegnung. © DBT/Stella von Saldern

Eine andere Teilnehmerin sprach die Situation von Holocaust-Überlebenden in der Ukraine an. Bas berichtete, bei ihrem Besuch in der Ukraine habe sie kürzlich dem dortigen Parlamentspräsidenten angeboten, Überlebende zu evakuieren, aufzunehmen und zu unterstützen. Es sei auch ein Hilfspaket geschnürt worden, um diejenigen, die von kleinen Renten leben müssen, finanziell zu unterstützen. „Ich kann den Menschen aber natürlich ihre Angst nicht nehmen“, sagte Bas. „Ich erlebe das immer wieder auch bei älteren Menschen in Deutschland, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, und jetzt Flashbacks haben.“

Nach Prozessen gegen inzwischen sehr alte NS-Verbrecher fragte ein Teilnehmer. Die Bundestagspräsidentin sagte, einerseits könne sie beim Anblick kranker alter Menschen den Gedanken „Muss das noch sein?“ nachvollziehen. „Auf der anderen Seite bin ich da ganz klar: Das sind Kriegsverbrechen!“ Die müsse man ahnden, sonst „schadet man den Opfern noch mal“.

Die Podiumsdiskussion mit Bärbel Bas könnt ihr euch hier im Video anschauen:

(jk)

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