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Ann-Veruschka Jurisch (FDP) „International ein Leuchtturm-Gesetz“

Deutschland müsse einiges umgestalten, um für ausländische Fachkräfte attraktiv zu sein, findet Ann-Veruschka Jurisch (FDP). Das neue Gesetz würde viel für die Zuwanderung tun, hat sie uns im Interview erklärt.

Porträt von Ann-Veruschka Jurisch

„Die deutsche Bürokratie ist für Arbeitskräfte aus dem Ausland sehr abschreckend“, sagt Ann-Veruschka Jurisch (FDP). Hier müsse man einfachere Verfahren finden. © Laurence Chaperon

Die Bundesregierung hat kürzlich einen Gesetzentwurf zur „Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung“ vorgelegt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser spricht von einem der „modernsten Einwanderungsrechte in der Welt“. Was ist an dem Entwurf so modern?

Modern an diesem Gesetzentwurf ist, dass wir – ähnlich wie in Kanada – ein Punktesystem einführen wollen, das Menschen eine Möglichkeit bieten soll, hier vor Ort einen Job zu suchen. Interessierte, die bestimmte Anforderungen erfüllen, könnten dafür bis zu zwei Jahre in Deutschland bleiben. In dieser Zeit besteht auch die Möglichkeit zur Nebenbeschäftigung oder Probearbeit. Und die Arbeitserfahrung, die während dieser Zeit gesammelt wird, kann für die Niederlassungserlaubnis – also für den unbefristeter Aufenthaltstitel, der in der Regel nach fünf Jahren möglich ist – angerechnet werden. Das ist meiner Meinung nach ein sehr attraktives Angebot, das Punktesystem ist sehr transparent. Auf dem internationalen Arbeitsmarkt wäre dieses Gesetz eine Art Leuchtturm-Gesetz.

Die Ampelfraktionen haben eine Reihe von Veränderungen am Entwurf der Regierung vereinbart. Dazu gehört zum Beispiel, dass Asylbewerber, deren Verfahren bereits laufen, in Zukunft die Möglichkeit haben sollen, eine Berufsausbildung zu beginnen. Ich hoffe sehr, dass wir das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschieden können.

Ihre Fraktion hat in der Debatte zum Thema geäußert, dass der „Standort Deutschland“ verbessert werden müsse. Was ist damit gemeint?

In der Debatte hat mein Kollege Lukas Köhler gesprochen und mit dieser Aussage hat er eine ganze Reihe von Dingen gemeint, die sich verbessern müssten, damit Deutschland für ausländische Fachkräfte attraktiv wird. Es beginnt damit, dass Deutschland ein sogenanntes Hochsteuerland ist und man hier im Vergleich zu anderen Ländern hohe Steuern bezahlt.

Die Aussage von Herrn Köhler betrifft aber auch die Infrastruktur, die sich dringend verbessern muss. Dazu gehört das Netz der Deutschen Bahn, die teilweise maroden Bahnhöfe, aber auch Straßen, die zu Ende gebaut werden müssen.

Speziell bezogen auf das Thema Migration brauchen wir eine stärkere Willkommenskultur, gerade wenn es um Arbeitskräfteeinwanderung geht. Außerdem müssen wir klar zeigen, dass es Aufstiegschancen für Menschen gibt, die aus anderen Ländern zu uns kommen. Diese Arbeitskräfte sollten keine schlechteren Bedingungen vorfinden als inländische Arbeitskräfte. Und im Bereich Bürokratie gibt es ebenfalls einiges zu tun: Die bürokratischen Hürden sind für viele sehr abschreckend.

Es gibt eine Studie, in der untersucht wurde, wie wohl sich Expats in den verschiedenen Ländern fühlen. Expats sind Menschen, die von ihren Firmen nach Deutschland oder in andere Länder geschickt werden, um dort zu arbeiten. Im Vergleich hat Deutschland da leider sehr schlecht abgeschnitten, insbesondere, was den Bereich Bürokratie angeht. Aber auch wenn es um die Frage ging, ob sich die ausländischen Arbeitskräfte hier wohl und aufgenommen fühlten. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Willkommenskultur hier zu verbessern.

In der Debatte ging es auch darum, dass es hierzulande nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern einen Arbeitskräftemangel gebe. Was bedeutet das für Deutschland?

Den Arbeitskräftemangel hat man beispielsweise im vergangenen Jahr an den Flughäfen gesehen, als es an vielen deutschen Flughäfen Chaos gab, weil besonders das Bodenpersonal fehlte.

Es geht also nicht nur um die hochqualifizierten Arbeitskräfte, sondern das ganze Spektrum von Arbeitskräften ist von dem aktuellen Mangel betroffen: Es fehlen hochqualifizierte Arbeitskräfte, Fachkräfte im Sinne von Handwerkern, Erziehern oder medizinisch-technischen Assistenten. Aber es fehlt eben auch Personal in anderen Bereichen.

Deshalb sind wir froh, dass es seit Januar 2021 die Nachfolgeregelung der sogenannten Westbalkan-Regel gibt. Damit wird Staatsangehörigen der sechs Westbalkanstaaten ein bevorzugter Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt geschaffen. Und der gilt für jede Art von Beschäftigung, unabhängig von einer anerkannten Qualifikation. Diese Regel soll nun auf andere Länder ausgeweitet werden, mit denen man Migrationsabkommen abschließt.

Sie haben bereits erwähnt, dass die Bürokratie für viele potenzielle Arbeitskräfte aus dem Ausland ein Problem darstellt. Ihre Fraktion ist dafür, die Verfahren zu vereinfachen. Wie könnte das aussehen?

Das Thema Fachkräfteeinwanderung ist auch deshalb sehr kompliziert, weil Zuständigkeiten auf viele verschiedene Behörden verteilt sind. Eine Idee, die wir haben, ist deshalb, dass man die Zuständigkeiten stärker bei einer Behörde bündelt, die auch den Arbeitsmarkt im Blick hat.

Dieses Vorhaben wollen wir prüfen lassen: Bis zum nächsten Jahr soll geklärt werden, ob sich der gesamte Bereich bei einer Behörde bündeln lässt und welche Behörde das sein könnte. Wir könnten uns vorstellen, dass die Bundesagentur für Arbeit diese Aufgabe übernehmen könnte, das muss sich aber zeigen.

Alexander Throm von der Unionsfraktion kritisierte in der Debatte, dass die Anforderungen an die Qualifikation der Zuwanderer reduziert werden sollten. Worauf bezieht er sich damit?

Offen gesagt weiß ich das auch nicht, denn es geht bei dem Gesetzentwurf um qualifizierte Zuwanderung. Das gilt besonders für das Punktesystem, aber auch für die sogenannte Erfahrungssäule. Die Erfahrungssäule ermöglicht die Zuwanderung aufgrund von Arbeitserfahrung, auch dann, wenn der ausländische Berufsabschluss hier nicht formal anerkannt ist. Aber auch hier müssen die Anerkennungsverfahren nachträglich durchlaufen werden.

Es gibt also immer ganz konkrete Anforderungen, die für eine Einwanderung erfüllt werden müssen. Aber wir würden so verhindern, dass man nur wegen nicht anerkannter Abschlüsse in einer Sackgasse stecken bleibt. Das ist bisher nämlich ein sehr problematisches Nadelöhr. Die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen war für viele, die interessiert gewesen wären, hier zu arbeiten, ein absoluter Alptraum. Dadurch haben wir viele potenzielle Arbeitskräfte verloren. Es ist also nur sinnvoll, diesen Aspekt in der Zuwanderungspolitik auf bedachte Weise weiterzuentwickeln. Diese Veränderung finde ich also überaus positiv.

Zur Person

Ann-Veruschka Jurisch

Ann-Veruschka Jurisch wurden 1972 in Köln geboren. Nach der Schule studierte sie Rechtswissenschaften an der Universität Konstanz und promovierte 2001. Danach arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Konstanz, später bei verschiedenen Stiftungen, unter anderem als Geschäftsführerin. 2013 trat Jurisch in die FDP ein, seit 2021 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie ist Obfrau im 1. Untersuchungsausschuss (Afghanistan) und Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und im Ausschuss für Inneres und Heimat.

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