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Tabea Rößner (Bündnis 90/Die Grünen) „Arbeitsbedingungen sind inakzeptabel“

Ein Content-Moderator hat im Digitalausschuss von seinen Arbeitsbedingungen berichtet – und wurde von seinem Arbeitgeber freigestellt. Die Ausschussvorsitzende Tabea Rößner (Bündnis 90/Die Grünen) hat mit uns über diese Branche gesprochen.

Content-Moderatoren haben einen extrem belastenden Job. Von der Gesellschaft müssten sie deshalb mehr Unterstützung erfahren, findet Tabea Rößner (Grüne). © Nils Leon Brauer

Kürzlich hat sich der Digitalausschuss mit den Arbeitsbedingungen von Content-Moderatoren beschäftigt. Warum hat sich der Ausschuss diesem Thema gewidmet?

Ich bin davon überzeugt, dass es wichtig ist, die Arbeitsbedingungen der Content-Moderatoren sichtbar zu machen. Content-Moderatoren haben einen extrem belastenden Job: Sie sichten Material für Social-Media-Plattformen und sorgen dafür, dass beispielsweise gewaltsame Inhalte nicht in unseren Social-Media-Feeds landen. Das tun sie oft unter Arbeitsbedingungen, die nicht dem entsprechen, was eigentlich notwendig wäre, um Content-Moderatoren bestmöglich in ihrer Arbeit zu unterstützen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns in der Politik mit dem Thema befassen. Wir müssen schauen, wo es möglicherweise Regulierungslücken gibt und wo wir nachbessern müssen.

Zu dem Gespräch war auch Cengiz Haksöz eingeladen, der als Content-Moderator in Deutschland tätig war. Was hat er berichtet?

Cengiz Haksöz hat uns berichtet, was er und seine Kollegen täglich zu sehen bekommen: Da geht es um Videos, die extreme Gewalt wie Enthauptungen enthalten oder um sexuelle Gewalt an Kindern. Er hat uns erzählt, wie es ist, mit diesen Bildern im Kopf nach Hause zu gehen und wie schwierig es ist, davon Abstand zu gewinnen. Der Druck im Unternehmen ist laut Herrn Haksöz sehr groß und es gibt dort keine professionelle psychologische Betreuung. Was es gibt, sind sogenannte Well-Being-Coaches, die beim Unternehmen angestellt sind. Die Sorge, dass diese Coaches an die Vorgesetzten berichten, ist groß. Außerdem haben die Coaches keine entsprechende Ausbildung.

Nach der Ausschusssitzung wurde Cengiz Haksöz von seinem Arbeitgeber freigestellt und ihm wurde verboten, die Firmenräume zu betreten. Sie haben das Unternehmen zu einem Gespräch eingeladen. Wie wurde darauf reagiert?

Das Unternehmen ist meiner Einladung gefolgt und zum Gespräch hier in den Bundestag gekommen. Auch die Fraktionen waren dazu eingeladen und bis auf die AfD-Fraktion waren alle anwesend. Das Gespräch war wichtig und aufschlussreich.

Interessant war, dass das Unternehmen zum Thema Well-Being-Coaches angemerkt hat, dass Cengiz Haksöz diese Unterstützung nie in Anspruch genommen habe. Gleichzeitig betonte das Unternehmen, dass der Kontakt zu den Coaches vertraulich sei. Da stellt sich die Frage, wie sie davon erfahren haben, dass Herr Haksöz nicht mit den Coaches gesprochen hat, wenn der Kontakt doch vertraulich sein soll.

Cengiz Haksöz war im Wahlvorstand für die Betriebsratswahlen. Und das Unternehmen hat wohl versucht, diese Wahlen mit seiner Freistellung zu behindern. Das verstößt gegen deutsches Recht: Ab einer Anzahl von fünf wahlberechtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darf ein Betriebsrat gewählt werden und Unternehmen müssen sich da raushalten. Umso wichtiger ist es, dass wir zeigen, dass wir ein Auge darauf haben und mit bestimmten Geschäftspraktiken nicht einverstanden sind.

Wie schätzen Sie die Reaktion des Unternehmens im Umgang mit Cengiz Haksöz ein?

Mein Eindruck ist, dass das Unternehmen versucht, die Situation mit allen Maßnahmen, die legal sind, unter Kontrolle zu bringen. Telus International ist ein kanadisches Unternehmen, bei dem Gespräch war eine deutsche Juristin anwesend und ich denke, das Unternehmen weiß schon, wo die Grenzen verlaufen, versucht sie aber zu dehnen. Wir kennen das von anderen Unternehmen, oft auch im Zusammenhang mit amerikanischen Geschäftsführern. Hier wird manchmal einiges dafür getan, die Bildung eines Betriebsrates zu verhindern.

Das Unternehmen Telus hat allerdings darauf hingewiesen, dass es an den meisten Standorten in Deutschland inzwischen einen Betriebsrat hätte und mit den Betriebsräten gut zusammenarbeiten würde. Man muss sicherlich auch sehen, dass Unternehmen wie Telus, die outgesourcte Arbeit für große Social-Media-Plattformen wie beispielsweise Meta übernehmen, in großer Abhängigkeit zu diesen Firmen stehen. Dafür habe ich teilweise Verständnis, die Arbeitsbedingungen bleiben dennoch inakzeptabel. Ich möchte deshalb nach der Sommerpause das Gespräch mit Meta und anderen großen Internet-Konzernen suchen, um auch dort klarzumachen, dass wir solche Arbeitsbedingungen nicht akzeptieren.

Wie ist denn die aktuelle Situation für Herrn Haksöz?

Das Verbot, die Räumlichkeiten der Firma zu betreten, wurde aufgehoben. Dafür war Herr Haksöz gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi vor das Arbeitsgericht gezogen. Sein Arbeitgeber verweist darauf, dass kein Urteil verkündet, sondern dass ein Vergleich geschlossen wurde. Die Betriebsratswahlen in dem Unternehmen konnten jedenfalls durchgeführt werden und waren für Cengiz Haksöz ein Erfolg: Er ist als Betriebsrat gewählt worden. Allerdings hat das Unternehmen schon vor der Wahl ein Kündigungsverfahren gegen ihn eingeleitet.

Welche Maßnahmen könnten vom Gesetzgeber in Deutschland denn ergriffen werden, damit sich die Arbeitsbedingungen der Content-Moderatoren verbessern?

Wir haben in Deutschland strenge Regelungen, was den Gesundheitsschutz angeht. Zum Beispiel müssen Masken zur Verfügung gestellt werden, wenn es am Arbeitsplatz eine starke Staubentwicklung gibt oder Hörschutz bei Lärm. Beim Thema psychologische Betreuung ist die Situation nicht so eindeutig geregelt.

Aber ich denke, darüber müssen wir uns dringend Gedanken machen. Dazu möchte ich mich mit Arbeitsrechtsexperten austauschen. Es geht nicht, dass Unternehmen die Kosten für psychologische Betreuung von Menschen, die am Arbeitsplatz seelischen Schaden erleiden oder traumatisiert werden, auf die Gesellschaft abwälzen. Das passiert aber, wenn sie ohne Betreuung bleiben und in der Folge vielleicht erkranken. Aus meiner Sicht ist es immerhin ein erster wichtiger Schritt, dass es nun ein Problembewusstsein für diese schwierigen Arbeitsbedingungen gibt.

Sie waren kürzlich mit einer Delegation des Digitalausschusses in Kenia und haben dort mit Content-Moderatoren über die Arbeitsbedingungen gesprochen. Was haben Sie erfahren?

In Kenia sind die Arbeitsbedingungen schlimmer als in Deutschland. Wir haben mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesprochen, die inzwischen aus einer Outsourcing-Firma ausgestiegen sind, die unter anderem für die US-Unternehmen Meta und OpenAI Content sichtete. Sie haben uns berichtet, dass es Rekrutierungsteams gibt, die zum Beispiel im Sudan und Nigeria Mitarbeiter anwerben. Denn die digitalen Inhalte müssen natürlich in verschiedenen Sprachen angeschaut werden können.

Die Menschen dort werden mit Versprechungen gelockt, was die Bezahlung angeht und ihnen wird zugesichert, dass sie ihre Familien regelmäßig zu Hause besuchen können. Vor Ort ist es laut den ehemaligen Content-Moderatoren dann aber so, dass sie in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden und keine richtige Arbeitserlaubnis haben. Das bedeutet, sie können das Unternehmen nicht ohne Weiteres verlassen.

Die Mitarbeiter werden meistens aus ärmeren Gegenden rekrutiert und sie nehmen diese Jobs an, um ihre Familien zu unterstützen.Für sie ist es also mit Scham verbunden, wieder in ihre Heimat zurückzukehren.

Ein Gesprächspartner hat uns außerdem erzählt, dass er in seiner Heimat von einer Terror-Miliz bedroht wurde, als er es trotz der widrigen Umstände geschafft hat, seine Familie dort zu besuchen. Zu seiner Arbeit gehörte es auch, Videos dieser Miliz zu löschen. Das hatten die wohl mitbekommen.

Die Content-Moderatoren in Kenia haben ebenfalls von den Well-Being-Coaches gesprochen, haben aber berichtet, dass man gar keine Zeit habe, sich an sie zu wenden. Auch Cengiz Haksöz hatte erwähnt, dass bei dieser Tätigkeit großer Zeitdruck herrsche und man keine Zeit habe, die Coaches aufzusuchen. Haksöz sagte, man würde für 32 Stunden bezahlt allerdings bei 48 Stunden Arbeit.

Zur Person

Über Tabea Rößner

Tabea Rößner wurde 1966 in Sassenberg, Nordrhein-Westfalen geboren. Nach der Schule studierte sie Musik- und Filmwissenschaften sowie Kunstgeschichte in Frankfurt am Main. Es folgte ein Aufbaustudium in Journalismus und Öffentlichem Recht in Mainz. Bis 2009 arbeitete Rößner als Journalistin. Sei 1986 ist sie Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Von 2001 bis 2006 war sie Landesvorsitzende Rheinland-Pfalz. Seit 2009 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie ist Vorsitzende des Ausschusses für Digitales. Mehr erfahrt ihr auf ihrem Profil auf bundestag.de.

(Mira Knauf)

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