Politiker zu Bürger-Ideen „Eine eigene digitale Infrastruktur für Europa“
Bürger-Ideen für Europa: Ein Verbot unbezahlter Praktika und mehr Jugend-Austauschprogramme sind nur einige der Vorschläge, die Politiker und Nicht-Politiker gerade diskutieren. Gunther Krichbaum (CDU/CSU) vertritt den Bundestag in der „Konferenz zur Zukunft Europas“ und erklärt, wann die Ideen Realität werden könnten.
Sie waren gerade auf einer Sitzung der Konferenz zur Zukunft Europas. Hat der Russland-Ukraine-Krieg dort eine Rolle gespielt?
Der völkerrechtswidrige russische Angriff auf die Ukraine war natürlich das zentrale Thema aller Debatten der EU-Zukunftskonferenz. Im Vordergrund standen die Unterstützung der Ukraine und die rasche Hilfe für die Millionen Flüchtlinge. Zudem ging es um den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Verteidigung und die Beendigung der Abhängigkeit von Gas und Öl aus Russland durch den schnelleren Ausbau von erneuerbaren Energien. Natürlich haben wir auch die Auswirkungen steigender Preise für Benzin und Energie auf die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen in der EU diskutiert.
Am Freitag kamen im Plenum der Konferenz Geflüchtete aus der Ukraine zu Wort. Sie berichteten in sehr emotionalen Beiträgen von der Flucht und ihren Versuchen, den Kontakt zu ihren noch in der Ukraine lebenden Angehörigen und Freunden herzustellen. Eindrucksvoll forderten sie die EU zu mehr Unterstützung ihres Abwehrkampfs und zu noch mehr Waffenlieferungen auf.
Es ging auch um den Themenbereich Jugend. Welche Verbesserungen für Jugendliche in Europa wurden vorgeschlagen?
In den Bürgerforen wurde unter anderem vorgeschlagen, unbezahlte Praktika abzuschaffen. Auch sprachen die Vertreter der Bürgerforen sich für eine bessere Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aus. Dazu muss bemerkt werden, dass die Jugendarbeitslosigkeit in den verschiedenen Ländern der EU ganz unterschiedlich hoch ist. Während sie in Deutschland im letzten Jahr nur knapp 5,7 Prozent der Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahre betraf, waren dies in Italien 25,3 Prozent und in Spanien sogar 29,4 Prozent.
Ein weiteres Thema war die Vereinheitlichung von Bildungsabschlüssen in der EU, um grenzüberschreitendes Arbeiten nach der Ausbildung zu erleichtern. Auch der weitere Ausbau von Austauschprogrammen, gerade für Auszubildende, wurde angeregt. Zudem wurde vorgeschlagen, die Interessen junger Menschen stärker in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen, etwa durch Befragungen oder die Betrachtung der Auswirkungen von Gesetzen auf junge Menschen. Hierfür ein Beispiel: Wenn der Staat heute neue Schulden macht, müssen diese über höhere Steuern später von den heute jungen Menschen im Laufe ihrer Berufstätigkeit zurückgezahlt werden.
Ein weiteres Thema war das „Lernen in Europa“. Welche Ideen wurden dazu diskutiert?
Es wurden verschiedene Vorschläge diskutiert, wie der Austausch zwischen jungen Menschen aus den verschiedenen Mitgliedstaaten der EU verbessert werden kann. Dabei geht es etwa um das frühzeitige Erlernen von Fremdsprachen oder die Vernetzung über digitale Plattformen und Austauschprogramme. Die Digitalisierung bietet hierfür natürlich großartige Chancen, um die Vernetzung der Menschen in den EU-Staaten zu verbessern. Zugleich begegnen uns aber auch Gefahren im Internet, etwa durch Datenklau, Cybermobbing und Fake News. Bereits in der Schule sollten Kinder deshalb umfassend mit digitalen Medien vertraut gemacht werden.
Eine Forderung aus den Bürgerforen lautete „Demokratisierung der Digitalisierung“. Was steckt dahinter?
Wir leben in einer Zeit, in der die Demokratie weltweit herausgefordert wird. Über das Internet sind wir beispielsweise anfällig für negative Einflüsse durch andere Länder wie Russland oder China. So tummeln sich seit Jahren russische Trolle auf Instagram und auf Facebook-Profilen von Politikern und Regierungen in den EU-Staaten und verbreiten dort ihre Fake News. Aber auch die großen Digitalunternehmen können durch die verwendeten Algorithmen großen Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen. Deshalb stehen sie in einer besonderen Verantwortung, gegen Fake News wirksamer als in der Vergangenheit vorzugehen.
Ein weiteres Problem für Europa liegt darin, dass wir vielfach auf Technologien zurückgreifen, die in China oder den USA angesiedelt sind. Dabei werden beispielsweise persönliche Daten der Menschen in Europa, wie Chat-Nachrichten und Bilder, auf Servern in anderen Staaten gespeichert. Auf deren Schutz hat die EU dann keinen Einfluss mehr und die hohen Standards, die wir im Datenschutz haben, greifen dann nicht. Deshalb geht es auch darum, eine eigene digitale Infrastruktur in Europa aufzubauen, um auf diese Weise unabhängig zu sein. In diesem Bereich muss die EU einiges aufholen, was China und die USA ihr voraushaben.
Wie ist Ihr Eindruck: Stießen die Ideen aus den Bürgerforen auf Zustimmung? Welche Themen wurden kontrovers diskutiert?
Gerade im Bereich Jugend und Bildung wurden viele Ideen der Bürgerforen zustimmend aufgenommen und kommentiert. So waren sich die Redner etwa einig, dass junge Menschen in der Pandemie besonders gelitten haben, insbesondere unter fehlenden Kontakten und Reisemöglichkeiten, aber auch durch Schulschließungen, Distanzunterricht, Unterbrechungen in der Ausbildung oder Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden. Im Detail zeigten sich einige Meinungsverschiedenheiten im Bereich Bildung. So war etwa umstritten, ob die EU verbindliche Lehrinhalte für alle Mitgliedstaaten vorgeben oder nur Empfehlungen und Leitlinien aussprechen sollte, die die Mitgliedstaaten bei der Zusammenstellung des Lernstoffes berücksichtigen sollen.
Was passiert jetzt mit den Vorschlägen der Bürgerinnen und Bürger?
Die Arbeit der Zukunftskonferenz wird im Frühjahr abgeschlossen. Bis dahin haben wir im März und im April weitere Tagungen in Straßburg, bei denen wir die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger weiter intensiv erörtern werden. Wir wollen zu allen Themenbereichen konkrete Schlussfolgerungen erarbeiten, die dann vom Europäischen Parlament, von den nationalen Parlamenten der 27 Mitgliedstaaten, den nationalen Regierungen und der Europäischen Kommission mitgetragen werden. Wenn alle europäischen Institutionen hinter den Ergebnissen der Konferenz stehen, kommt damit ein starker politischer Wille zum Ausdruck, die Schlussfolgerungen anschließend auch umzusetzen.
Über Gunther Krichbaum
Gunther Krichbaum wurde 1964 in Korntal in Baden-Württemberg geboren. Er studierte Jura und arbeitete als Wirtschaftberater, bevor er für die CDU/CSU-Fraktion in den Bundestag einzog. Krichbaum ist Mitglied des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, dessen Vorsitzender er auch schon war. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.
(jk)