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NS-Gedenken „Vergessen tötet“: Ein Mahnmal für die Zeugen Jehovas

Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas wurde 1933 von den Nationalsozialisten verboten. Mindestens 1.700 von ihnen kamen in der NS-Zeit ums Leben. Nun hat der Bundestag beschlossen, dass ihnen ein Mahnmal errichtet werden soll.

Außengelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz: Stacheldraht und Warnzeichen mit Totenkopf

Etwa 2.800 Zeugen Jehovas aus Deutschland und 1.400 weitere aus Europa wurden von den Nationalsozialisten in Konzentrationslager verschleppt. © picture alliance/Hans Klaus Techt/APA/picturedesk.com

Sie verweigerten den Hitlergruß, sie traten nicht in die Organisationen der Nationalsozialisten ein, sie machten in öffentlichen Protestaktionen auf den verbrecherischen Charakter des nationalsozialistischen Regimes aufmerksam. Deshalb wurden die Zeugen Jehovas 1933 von den Nationalsozialisten verboten. Schon lange vorher war die Religionsgemeinschaft den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge gewesen, unter anderem weil sie den Antisemitismus, also die Hetze gegen Jüdinnen und Juden, ablehnte.

Mindestens 10.700 deutsche Zeugen Jehovas und 2.700 aus den besetzten Ländern Europas wurden verfolgt, inhaftiert, enteignet, gefoltert. Etwa 2.800 Zeugen Jehovas aus Deutschland und 1.400 weitere aus Europa wurden in Konzentrationslager verschleppt. 1.250 der Verfolgten waren minderjährig, 600 Kinder wurden ihren Eltern weggenommen. Mindestens 1.700 Zeuginnen und Zeugen Jehovas verloren durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft ihr Leben.

Am 22. Juni hat der Bundestag beschlossen, dass für die im Nationalsozialismus verfolgten Zeugen Jehovas ein Mahnmal errichtet werden soll. Der Antrag der Koalitionsfraktionen wurde einstimmig angenommen.

Das Mahnmal soll am Goldfisch-Teich im Berliner Tiergarten stehen. Mit der Planung und Umsetzung soll die Bundesstiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas beauftragt werden.

Staatsministerin für Kultur und Medien: „Vergessen tötet“

Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), Staatsministerin für Kultur und Medien, betonte in ihrer Rede im Bundestag, die Zeugen Jehovas hätten sich „den Nationalsozialisten mutig entgegengestellt“ und seien deshalb „drangsaliert, eingesperrt, ermordet“ worden. Sie hoffe sehr, dass ihre Geschichten zukünftig öfter erzählt würden.

Mit dem Mahnmal wolle man zeigen, „dass wir um die Verbrechen an den Zeugen Jehovas wissen, dass wir an die Opfer denken, dass wir an sie erinnern, dass wir sie nie wieder vergessen werden“. Das Mahnmal bedeute keinen Schlussstrich, sondern ein „Fundament für die weitere Aufarbeitung der Geschichte und eine neue Form des Erinnerns“. Denn, so Roth: „Vergessen tötet.“

Union: „Schicksal in Vergessenheit geraten und verdrängt“

Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) las zu Beginn ihrer Rede das Zitat einer KZ-Gefangenen vor: „Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas.“ Auch in den Konzentrationslagern hätten die Zeugen Jehovas weiter Widerstand geleistet und sich geweigert, Befehle auszuführen, die ihren Grundsätzen widersprachen.

Mindestens 250 von ihnen seien von den Nationalsozialisten wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtet worden. Den Frauen seien ihre Kinder weggenommen worden. Doch das Schicksal der Zeugen Jehovas sei „immer mehr in Vergessenheit geraten und verdrängt“ worden. Deshalb sei es, unabhängig davon, wie man zu der Religionsgemeinschaft an sich stehe, höchste Zeit, „ihrem Leid respektvoll Ausdruck zu verleihen“.

SPD: „Zeigt, wie unerlässlich das Recht auf Religionsfreiheit ist“

Marianne Schieder (SPD) freute sich, dass es im Ausschuss eine große Einigkeit gegeben habe, das Schicksal der Zeugen Jehovas „endlich angemessen zu würdigen“. Das Mahnmal werde Raum für Gedenken bieten und darüber hinaus die Möglichkeit, sich umfassend zu dem Thema zu informieren.

Das Beispiel der Zeugen Jehovas zeige, so Schieder, wie wichtig das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und „wie unerlässlich das Recht auf Religionsfreiheit ist“. Ihre Fraktion und die Koalitionspartner hätten sich im Übrigens im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, auch den Opfern von Zwangssterilisierung und Euthanasie im Nationalsozialismus mehr Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Es warteten also „weiterhin große Aufgaben“ im Bereich Erinnerungskultur.

AfD: „Aufrichtiger Mut und Widerstand“

Götz Frömming (AfD) bekräftigte, der „aufrichtige Mut und Widerstand“ der Zeugen Jehovas verdiene „größten Respekt und Anerkennung“. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass die Religionsgemeinschaft nicht nur im Nationalsozialismus, sondern auch in vielen anderen Ländern und Zeiten drangsaliert worden sei. So seien Zeugen Jehovas auch nach dem Zweiten Weltkrieg in der damaligen BRD wegen Kriegsdienstverweigerung verurteilt und in der DDR gar als „verbrecherische Organisation“ eingestuft worden.

Frömming forderte, das Mahnmal müsse auch diese Opfer mit einschließen: „Hier erwarten wir Nachbesserungen am Konzept.“ Sonst dränge sich die Vermutung auf, die Erinnerungskultur der Koalition sei „nicht aufrichtig“ und diene „politischen Gegenwartszwecken“.

FDP: „Verantwortung kennt keine Verjährung“

Thomas Hacker (FDP) sagte, die Zeugen Jehovas seien „wegen ihres Glaubens, wegen ihrer Friedfertigkeit, wegen ihres Widerstands“ verfolgt worden. Deutschland stehe zu seiner „historischen Verantwortung“, aller Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Das sei ein Prozess „des Zuhörens, des Verstehens, des Dialogs“. Es gebe allerdings nur wenige Opfergruppen, die so wenig Gehör gefunden hätten wie die Zeugen Jehovas. Deshalb sei der Blick auf die Religionsgemeinschaft oft „von Vorurteilen und Unkenntnis geprägt“.

„Verantwortung kennt keine Verjährung“, mahnte Hacker. Es sei gut und richtig, dass Deutschland sich nun die „aufrichtige Auseinandersetzung mit den eigenen Versäumnissen“ nachhole und „endlich“ ein Mahnmal errichte. „Wir tun das schmerzlich spät“, schloss Hacker.

Linke: „Es bleibt für uns alle viel zu tun“

Auch Petra Pau (Die Linke) konstatierte, die Zeugen Jehovas hätten sich unter den Nationalsozialisten „konsequent, aufrichtig und mutig“ gezeigt. Das sei „aller Ehrung wert“. Ihr Engagement müsse man „im historischen Rückblick“, aber auch mit Blick auf die Gegenwart würdigen. Denn auch heute sei das Gebot „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ aus dem Grundgesetz immer wieder in Gefahr. „Es bleibt für uns alle viel zu tun“, mahnte Pau.

Hier seht ihr die Debatte im Video:

Wer sich für das Thema interessiert, dem sei auch die Ausschuss-Anhörung mit vier Historikern empfohlen:

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