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Kunst im Bundestag „Das Parlament ist eines der besondersten Museen der Welt“

Naomi Webster-Grundl

Kristina Volke arbeitet schon seit vielen Jahren als Kuratorin für die Kunstsammlung des Bundestages. Was macht sie da genau? Wer darf im Bundestag ausstellen? Und warum muss Kunst weniger Kompromisse machen als Politik? Das erzählt sie uns im Interview.

Einen Innenhof des Bundestages, in dem ein großes Beet angelegt ist mit der Inschrift 'Der Bevölkerung'.

Hans Haackes Installation „Der Bevölkerung“ ist ein großes Beet in einem Innenhof des Bundestages. Abgeordnete bringen Erde aus ihrem Wahlkreis oder treffen sich mit Bürgerinnen und Bürgern ihres Wahlkreises, die zu Besuch im Parlament sind, füllen gemeinsam die Erde ein. Später können die Besucher unter www.derbevoelkerung.de dank einer im Hofe installierten Webcam verfolgen, was auf diesem Erdreich wächst und gedeiht.© DBT / VG Bild-Kunst

Warum hat der Bundestag eine Kunstsammlung?

Der Bundestag hat Kunst, weil – oder besser gesagt – seitdem ein Abgeordneter im Jahr 1969 vorgeschlagen hat, Kunst fürs Parlament anzukaufen. Der Abgeordnete hieß Prof. Gustav Stein, und er war Professor für Kunstgeschichte. Stein hat sich als Abgeordneter dafür stark gemacht, weil Deutschland sich als Kulturstaat versteht und seine Künstlerinnen und Künstler fördern sollte. Seine Idee wurde sehr gern angenommen. Die Kunstsammlung wächst seitdem Jahr um Jahr. Es gibt viele Parlamente, die Kunstsammlungen haben. Aber ich glaube, kein anderes Parlament auf dieser Welt hat so eine große und ständig wachsende Sammlung zeitgenössischer Kunst wie der Deutsche Bundestag.

Wie werden diese Kunstwerke ausgestellt?

Die angekauften Kunstwerke werden den Abgeordneten des Deutschen Bundestages für ihre Büros zur Verfügung gestellt. Wir betreiben also eine Art mobiles Museum, das sich ständig verändert, weil die Werke mal hier und mal dort hängen. Wir nennen diesen Teil der Kunstsammlung deshalb „Artothek“. Abgeordnete können sich Werke entleihen, solange sie in den Bundestag gewählt sind. Wer nach einer gewissen Zeit Lust auf neue Werke hat, kann sie umtauschen. Es funktioniert also wie eine Bibliothek für Kunstwerke.

Daneben gibt es die unbeweglichen Kunstwerke, die sogenannte Kunst am Bau. Diese Werke machen das Parlament zu einem der besondersten Museen der Welt und sorgen dafür, dass die oft langen Wege durch die riesigen Gebäude total abwechslungsreich sind.

Kuratorin Kristina Volke in ihrem Büro vor einem Bücherregal.

Kuratorin Kristina Volke in ihrem Büro. © Naomi Webster-Grundl/mitmischen.de

Welche Kriterien sollte ein Kunstwerk erfüllen, um es in die Kunstsammlung des Parlaments zu schaffen?

Wir haben keinen Anforderungskatalog für Kunst, es muss also niemand irgendwas erfüllen. Aber natürlich suchen wir Kunstwerke, die auf irgendeine Weise toll und anregend und besonders sind, sodass mit ihnen ein innerer Dialog, also ein Gespräch mit dem Betrachter entstehen kann. Das kann politische Themen betreffen, muss es aber nicht. Für die Artothek schlagen die Abgeordneten Künstlerinnen und Künstler vor, zudem dürfen wir als Kuratoren Namen oder Werke ins Spiel bringen, die uns besonders interessant erscheinen.

Und wer entscheidet, welche Kunst gekauft wird?

Dafür ist der Kunstbeirat zuständig. Das ist ein parlamentarisches Gremium mit Mitgliedern aus allen Fraktionen, dem die Bundestagspräsidentin vorsitzt. Kunst ist hier also Chefsache. Die Abgeordneten entscheiden, welche Kunstwerke aus den vielen Vorschlägen gekauft werden. Wir haben nur einen bestimmten Geldbetrag, den wir ausgeben können. Man muss also gut überlegen, viel recherchieren, gut argumentieren. Gerade stehen wir kurz vor der diesjährigen Ankaufssitzung. Das ist jedes Jahr ein Highlight, auf das unser Team wochenlang hinarbeitet. Ende November ist es wieder soweit.

Was ist Ihre Aufgabe als Kuratorin?

Ich habe ganz viele Aufgaben. Wenn es um die gerade erwähnten Ankäufe für die Sammlung geht, berate ich die Abgeordneten zum Beispiel bei der Entscheidung, stelle die Künstlerinnen und Künstler vor, ordne die angelieferten Werke in ihr Gesamtwerk ein. Aber ich arbeite auch viel mit Künstlerinnen und Künstlern. Wir machen Ausstellungen oder große Auftragsprojekte, bei denen Künstlerinnen und Künstler eingeladen werden, sich mit dem Parlament auseinanderzusetzen. Wir haben vor einigen Jahren zum Beispiel den Comic-Künstler Simon Schwartz eingeladen, Comics für uns zu zeichnen. Das war ein tolles Projekt, besonders für Kinder und Jugendliche.

Das Cover und eine Seite aus dem Comic-Buch 'Das Parlament' von Simon Schwartz.

In seinem Buch „Das Parlament - 45 Leben für die Demokratie“ illustriert der Comic-Künstler Simon Schwartz die Geschichte von ausgewählten Abgeordneten zwischen 1948 und 1990. Einer davon ist zum Beispiel der Mediziner Rudolf Virchow.

Als Kuratorin schlage ich nicht nur Künstlerinnen oder Künstler vor, die mir für solche Projekte gut geeignet erscheinen, sondern ich begleite sie dann den ganzen langen Weg über, also von der Idee bis hin zum fertigen Kunstwerk. Ich diskutiere mit ihnen die Ideen, stelle Fragen, fordere sie oft ein wenig heraus, damit sie sich klarer werden, was sie da eigentlich machen. Auf diese Weise ergeben sich oft unvorhergesehene Wege und es entstehen Werke, die auch für die Künstler neu sind. Und genau das ist das Spannende.

Welche Bedeutung hat Kunst in einer Demokratie?

Kunst ist ja vor allem so etwas wie ein Angebot zu denken oder zu fühlen, auch zum Reflektieren, zum Erinnern, manchmal sogar zum Streiten - egal, ob es sich um ein Gemälde oder ein Theaterstück handelt. Wer ein Kunstwerk anschaut, sieht entweder etwas ganz Neues und wird vielleicht neugierig, mehr darüber zu erfahren. Oder er fühlt sich an eigene Erfahrungen und Erlebnisse erinnert und fängt an, darüber nachzudenken oder sogar davon zu erzählen. Auch Kunst, bei der man erst mal gar nichts Eindeutiges erkennt, beginnt „zu sprechen“, sobald man anfängt das eigene Nichtverstehen zu formulieren.

In einer Demokratie geht es darum, miteinander zu sprechen, verschiedene Standpunkte zu verstehen und Lösungen zu entwickeln, die für alle gut sind. Kunst kann anregen, über Dinge nachzudenken. Sie muss auch nicht so kompromissbereit sein wie die Politik, denn es geht ja immer um das Durchspielen von Möglichkeiten. Ich beschreibe das als einen „Gesprächsraum“, der über Kunst entsteht, und davon können wir nicht genug haben.

Haben Sie ein Lieblingskunstwerk im Bundestag?

Nur eins? Ganz viele! Am meisten freue ich mich im Moment jedoch auf die Kunstwerke, die es noch gar nicht gibt. Ich arbeite gerade mit 19 Künstlerinnen und Künstlern aus Deutschland und der ganzen Welt zu den sogenannten Grundrechten. Also jenem Teil unserer Verfassung, der bestimmt, was Freiheit und Würde ist, wer wir als Deutsche als Gemeinschaft und in der Welt sein wollen. Es ist ein riesiges Projekt, ich bin wahnsinnig auf die Ergebnisse gespannt und freue mich auf die Ausstellung, in der wir dann die Kunst mit den Besuchern diskutieren wollen.

Eine Besonderheit bei dem Projekt ist, dass nicht nur die 19 Künstlerinnen und Künstler zeigen sollen, was in den Grundrechten steckt. Denn wir haben gemeinsam mit der Künstlerin Barbara Wrede einen 20. Teil entwickelt, in dem die Bevölkerung, vor allem Kinder und Jugendliche, eingeladen werden sich damit auseinanderzusetzen, wie man die großen Begriffe von Freiheit und Würde darstellen kann. Barbara bietet dazu ein Jahr lang Workshops an, und die Ergebnisse werden in der Ausstellung gemeinsam mit den Werken der professionellen Künstlerinnen und Künstler gezeigt. Und man kann auch einfach Kraniche selber falten und einsenden – wir arbeiten nämlich daraufhin, mindestens 1.000 Kraniche von 1.000 Menschen zu bekommen, weil dann ein Wunsch frei wird. Wie toll wäre es, könnten wir den für unsere Demokratie einsetzen!

Zur Person

Kristina Volke

Kristina Volke, geboren 1972 in Dresden, arbeitet seit 2007 als Kuratorin für die Kunstsammlung des Bundestages und hat übrigens auch ein Kinderlexikon über Berlin geschrieben.


Mehr zur Kunst im Bundestag und zum Grundgesetz-Projekt, bei dem ihr mitmachen könnt, findet ihr hier.

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