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Einblick ins Praktikum „Das Land braucht kluge Köpfe wie euch“

Daria, Lilith und Michelle machen ein zweiwöchiges Schülerpraktikum in der Bundestagsverwaltung. mitmischen.de hat sie einen Tag lang begleitet.

Abgeordneter Andreas Mattfeld (CDU/CSU) mit drei Praktikantinnen im Bundestag

Gruppenbild mit Corona-Abstand: Daria, Lilith und Michelle (von links) mit dem Abgeordneten Andreas Mattfeld (CDU/CSU). © Jonas Geue

Kurz vor acht treffen sich die drei Schülerinnen im Büro ihres Praktikumsbetreuers in der Bundestagsverwaltung. Gleich steht das erste Abgeordnetengespräch an. Sechs weitere sollen an diesem Tag noch folgen – außerdem der Besuch einer Plenarsitzung und ein öffentliches Expertengespräch der Kinderkommission. Der Tagesplan ist voll. Schnell noch ein Blick auf die Fragen, die Daria, Lilith und Michelle vorbereitet haben, und dann los. Die Wege im Bundestag sind weit.

Daria kennt den großen Komplex schon recht gut, denn sie ist bereits die zweite Woche hier. In der ersten hat sie bei der Büroarbeit geholfen, Anschreiben verfasst und hausinterne Informationen in verschiedene Büros gebracht. Aber jetzt ist Sitzungswoche – und die wird intensiv genutzt für persönliche Begegnungen und direkte Einblicke in den Abgeordnetenalltag.

Junge Frau im Bundestag

Daria, 14, besucht die 9. Klasse eines Berliner Gymnasiums. In der Schule ist sie Teil einer Theatergruppe, die politische Stücke aufführt. Außerdem macht sie bei „Jugend debattiert“ mit, weil sie gerne politisch diskutiert. © Jonas Geue

„Ihr dürft alles fragen!“

Die drei Praktikantinnen durften vorab Wünsche nennen, wen sie gerne treffen würden. Nun haben sie die Gelegenheit, mit Politikern zu sprechen, die zum Beispiel aus ihrem Wahlkreis kommen oder in einem Ausschuss sitzen, dessen Thema sie besonders interessiert. „Ihr dürft alles fragen!“ Das war die Ansage ihres Betreuers. Um gut vorbereitet zu sein, haben sie sich vorab ausführlich mit den Biografien und den inhaltlichen Schwerpunkten ihrer Gesprächspartner beschäftigt.

Die Gesprächsvorbereitung steht also, allerdings hakt es heute ein bisschen mit den Terminen. Der erste Abgeordnete steckt noch in einer Besprechung, der zweite wartet schon. Kurzerhand greift er zum Telefon und ruft seinen Kollegen an: „Schickst du mir die Praktikantinnen jetzt runter? Ich muss nachher weiter in die Ausschusssitzung.“

Dass vereinbarte Gespräche verschoben werden oder auch mal ausfallen, kommt öfter vor. Die Abgeordneten haben in Sitzungswochen zwischen Fraktionsbesprechungen, Ausschuss-Anhörungen und Plenardebatten ein volles Programm. Eine Erkenntnis, die die Praktikantinnen beeindruckt – ganz so trubelig hatten sie es sich dann doch nicht vorgestellt, das Politiker-Dasein.

Junge Praktikantin im Bundestag

Lilith, 14, geht in Berlin in die 9. Klasse. Sie interessiert sich schon seit Jahren für Politik, besonders für internationale Themen. Deshalb macht sie auch bei dem Planspiel „Model United Nations“ mit, das die Arbeit der Vereinten Nationen simuliert. © Jonas Geue

„Ich wollte nie mit Politik mein Geld verdienen“

Dann sitzen die drei in einem Besprechungsraum, Corona-bedingt mit dem vorgeschriebenen Abstand. Ihnen gegenüber sitzt Andreas Mattfeld (CDU/CSU), Mitglied im Haushaltsausschuss und im Petitionsausschuss. Und Daria, Lilith und Michelle legen los mit ihren Fragen.

„Wie sind Sie zur Politik gekommen?“, wollen sie als erstes wissen. Mattfeld erzählt, er habe mit 19 in seiner Heimatstadt für den Gemeinderat kandidiert. Warum? Weil er das örtliche Freibad erhalten wollte. Das hat auch geklappt. Und dann: „Komischerweise war ich mit 20 plötzlich Bürgermeister.“ Erstaunte Gesichter. „Dabei wollte ich nie mit Politik mein Geld verdienen“, erzählt Mattfeld weiter. Er wolle auch als Abgeordneter unabhängig bleiben, deshalb führe er nach wie vor seine Unternehmen weiter, eine Brauerei und eine Fleischerei. Ja, man findet auch Industriekaufmänner und Fleischer wie ihn unter den Abgeordneten, nicht nur Juristen und Politikwissenschaftler. „So ein paar schräge Vögel wie mich muss es im Bundestag auch geben.“

Abgeordneter Andreas Mattfeld (links) im Gespräch mit einer Praktikantin im Bundestag

Brauerei-Besitzer und Abgeordneter: Andreas Mattfeld (CDU/CSU) erzählt von seinem eher untypischen Werdegang. © Jonas Geue

„Manchmal streiten wir wie die Kesselflicker“

Michelle interessiert, wie die Debatten um die Corona-Maßnahmen abgelaufen sind. „Wir haben uns zum Teil hart gefetzt mit Jens“, erzählt Mattfeld – und meint damit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Gegen Corona sei die Finanzkrise 2009 „ein laues Lüftchen“ gewesen. Mattfeld saß schon damals im Haushaltsausschuss. Jetzt täten er und seine Kollegen alles dafür, die ‚Schwarze Null‘, also die Nullverschuldung des Staates „möglichst in drei, vier Jahren“ wieder zu erreichen. „Ob uns das gelingt, weiß ich nicht“, gibt er zu.

Der Streit im Plenum – da haken die Mädchen nach. Das müsse sein: „Wir streiten im Plenum manchmal wie die Kesselflicker“: hart in der Sache, aber nie persönlich verletzend. „Mein bester Freund hier im Bundestag ist ein SPD-Mann“, erzählt Mattfeld. Auch unter den linken Abgeordneten habe er Freunde, mit denen er sogar in den Urlaub fahre – wo die politische Auseinandersetzung natürlich weitergehe.

Wieder erstaunte Blicke: Linke und Unionspolitiker zusammen im Urlaub? Später werden die Praktikantinnen sich gegenseitig erzählen, wie beeindruckt sie von der Offenheit des Gesprächs waren. Und nicht nur von diesem: Das Gefühl, ernst genommen zu werden mit ihren Fragen und Anliegen, begleitet alle Gesprächsrunden.

„Es ist klug, dass ihr das macht“, sagt Mattfeld jetzt – und meint das Praktikum. Zum Schluss ermuntert er sie, politisch aktiv zu bleiben: „Stellt alles in Frage! Dieses Land braucht kluge Köpfe wie euch.“ Und mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: „Es muss ja nicht jeder Berufspolitiker werden. Man kann auch ehrenamtlich Politik machen.“

Junge Praktikantin im Bundestag

Michelle, 17, kommt aus Rheinland-Pfalz. An ihrer Schule ist in der 11. Klasse ein „akademisches Praktikum“ vorgesehen – dafür ist sie nach Berlin gekommen. Nach dem Abi will sie beim Auswärtigen Amt studieren. © Jonas Geue

„Wir brauchen eine kinderfreundliche Grundstimmung“

Nach einer kurzen Auswertung geht es gleich weiter zum nächsten Gespräch – durch die unterirdischen Gänge des Bundestags, vom Reichstagsgebäude in das Paul-Löbe-Haus. Kaum haben die Mädchen Platz genommen, kommt auch schon Matthias Seestern-Pauly (FDP) durch die Tür. Der 36-Jährige ist Vorsitzender der Kinderkommission und Mitglied im Familienausschuss.

Als Lehrer liegen ihm Kinder-, Jugend- und Bildungsfragen besonders am Herzen. Michelle fragt nach der Digitalisierung an Schulen. Seestern-Pauly sagt, er erhoffe sich von der Corona-Krise einen deutlichen Schub in dem Bereich. Dabei gehe es nicht nur um Infrastruktur und Personal – „Digitalisierung ist ja nicht abgeschlossen, wenn jeder ein iPad in der Hand hat.“ Auch die heutigen Digital Natives müssten die digitalen Abläufe besser verstehen, das sollten Schulen besser vermitteln.

Was könne man sonst noch aus der Corona-Krise lernen, will Daria wissen. Der FDP-Abgeordnete spricht sich dafür aus, Familien in schweren Situationen wie einer Pandemie besser zu unterstützen. „Dass nur gefragt wurde, welche Gefahren von Kindern ausgehen, dass der Begriff ‚Virenschleuder‘ für sie benutzt wurde, das hat mir nicht gefallen“, kritisiert er. Und: „Wir brauchen eine kinderfreundliche Grundstimmung in der Gesellschaft.“

Vorsitzender der Kinderkommission Matthias Seestern-Pauly (FDP) im Gespräch mit einer Praktikantin

Gespräche über digitale Bildung, die Corona-Krise und Flüchtlingskinder mit dem Vorsitzenden der Kinderkommission Matthias Seestern-Pauly (FDP). © Jonas Geue

„Hinterfragt die Dinge kritisch!“

Auch schwere Themen kommen zur Sprache. Es geht um die Situation von Flüchtlingskindern. „Es darf nicht passieren, dass das Thema politisch aus dem Fokus gerät“, sagt Seestern-Pauly. Und dann sprechen die Schülerinnen auch das aktuelle Thema Kindesmissbrauch an. Der Abgeordnete sagt, im Schnitt seien pro Schulklasse zwei Kinder davon betroffen: „Das konnte ich gar nicht fassen, als ich es zum ersten Mal gelesen habe.“ Als Lehrer wisse er, wie schwierig es sei, mit so einem Verdacht umzugehen. Deshalb müsse man pädagogische Fachkräfte dafür sensibilisieren und unterstützen.

Ein persönlicher Rat zum Schluss: „Geht immer euren eigenen Weg! Und hinterfragt die Dinge kritisch!“ Seestern-Pauly ist zuversichtlich: „Ich glaube, eure Generation macht da vieles richtig.“

Nächste Woche werden die Praktikantinnen die Erkenntnisse aus den Abgeordnetengesprächen aufschreiben. Aber jetzt ist keine Zeit, jetzt müssen sie weiter auf die Besuchertribüne des Plenarsaals, um mal eine Debatte live mitzuerleben.

Am Ende dieses langen Tages werden die drei zu müde sein, um noch Sightseeing in Berlin zu machen. Aber das macht nichts – sie sind gekommen, um so viel parlamentarischen Alltag aufzusaugen wie möglich. Michelle, die Älteste, die schon einige Praktika hinter sich hat, sagt zufrieden: „Das hier ist mit Abstand mein bestes Praktikum.“

(jk)

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