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Lernrückstände Was brauchen die Schüler?

Durch die Coronapandemie ist viel Unterricht ausgefallen. Die Union erkundigte sich in einer Großen Anfrage, was die Bundesregierung plane, um die Schüler zu unterstützen. Vergangene Woche diskutierten die Abgeordneten darüber.

Schüler im Unterricht mit Masken

Besonders Kinder- und Jugendliche leiden unter den Folgen der Pandemie: Dazu gehören auch Lernrückstände in der Schule. © Ground Picture/shutterstock

Mehrere Lockdowns und immer wieder Unterrichtsausfälle – die Coronapandemie hat Schüler und Lehrer vor viele Herausforderungen gestellt. So gaben einer Befragung zufolge am Ende des Jahres 2020 45 Prozent der Jugendlichen an, Angst vor der Zukunft zu haben. Die Untersuchung war von einem Forschungsteam der Universitäten Hildesheim und Frankfurt durchgeführt worden: Es wurden über 7.000 Jugendliche und junge Erwachsene befragt. Von den Zukunftsängsten seien besonders diejenigen betroffen, die wenig Ressourcen zur Verfügung hätten, heißt es in der Studie. Ein Drittel der Befragten gab zudem an, sich einsam zu fühlen.

Jugendliche fühlen sich nicht gehört

Das Forscherteam führte die Befragung zu verschiedenen Zeitpunkten durch. Bezogen auf den Winter 2021 gaben viele Jugendliche an, sich nicht gehört zu fühlen: So stimmten 70 Prozent der Teilnehmer der folgenden Aussage nicht zu: „Die Situation von jungen Leuten ist den Politiker:innen wichtig.“

Aufholprogramm der letzten Bundesregierung

Mit dem Programm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche “ brachte die letzte Bundesregierung ein Programm auf den Weg, das Jugendlichen dabei helfen sollte „Versäumtes aufholen und nachholen [zu] können“. Dabei gehe es nicht nur um Lernstoff, sondern auch um das soziale Leben der Kinder und Jugendlichen, heißt es auf der Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zwei Milliarden Euro investierte die Bundesregierung in das Programm. Nun soll es Ende des Jahres auslaufen.

Kritik am Programmende

Die CDU/CSU-Fraktion kritisierte in einer Großen Anfrage nun unter anderem, dass das Aktionsprogramm beendet werden soll. Die Union fragte, warum die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sich dafür entschieden habe, das Programm ersatzlos auslaufen zu lassen. Die Abgeordneten merkten an, dass man mit einem „besseren Förderprogramm“ die Unterstützung der Kinder und Jugendlichen hätte sicherstellen können. Ganz ohne Förderung steige der Unionsfraktion zufolge die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche, aber auch Lehrkräfte mit den alltäglichen Problemen eines Lernrückstandes allein gelassen würden.

Union fordert neues Förderprogramm

In einem Antrag forderte die Unionsfraktion deshalb, Kinder und Jugendliche beim Aufholen von Lernrückständen, die durch die Pandemie entstanden sind, nicht allein zu lassen. So schrieb die Fraktion, dass die Bundesregierung in Kooperation mit den Ländern ein Förderprogramm entwickeln solle. Sollten keine neuen Programme entwickelt werden, schlug die Union vor, die bestehenden Aktionsprogramme zu verlängern.

Über die Große Anfrage sowie den Antrag der Unionsfraktion debattierten die Abgeordneten des Bundestages am 22. September in einer knapp 40-minütigen Debatte. Der Antrag wurde im Anschluss zur Beratung in den Bildungsausschuss überwiesen.

CDU/CSU: „Legen Sie ein Anschlussprogramm auf!“

In den letzten zwei Jahren habe es keine Normalität für Kinder und Jugendliche gegeben, eröffnete Gitta Connemann von der CDU/CSU-Fraktion die Debatte. Sie hätten in der Pandemie Großartiges geleistet. Connemann bezog sich auf Studienergebnisse, die gezeigt hätten, dass es psychische Auffälligkeiten und Lernrückstände bei den Kindern und Jugendlichen im ganzen Land gebe. Um die jungen Leute zu unterstützen, habe die Große Koalition 2021 das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder- und Jugendliche“ gestartet. Damit seien Angebote geschaffen worden. Connemann forderte die Ampel-Koalition auf, Verantwortung zu übernehmen und ein eigenes Programm aufzulegen, das an das bisherige anschließe.

SPD: „Fördern, wo es nötig ist“

Katrin Zschau von der SPD-Fraktion betonte, dass die Coronapandemie hervorgehoben habe, wie „mittelmäßig“ das Bildungswesen teilweise aufgestellt sei. Durch Schulschließungen und Unterrichtsausfälle seien viele Lernstunden verloren gegangen: Laut ifo Zentrum für Bildungsökonomik habe sich die Lernzeit während der Schulschließungen im Frühjahr 2020 von 7,4 Stunden vor Corona auf 3,6 Stunden halbiert. Der Schulalltag sei somit fast ausschließlich vom eigenständigen Erarbeiten des Unterrichtsstoffs zu Hause geprägt gewesen.

Zschau kam darauf zu sprechen, dass Bildung in Deutschland Ländersache sei, der Bund aber „trotz fehlender Zuständigkeit“ zusätzliche Mittel für bestimmte Zwecke bereitstelle. Nur wenige Ländern würden die Gelder dann aber für die vorgesehenen Zwecke einsetzen, kritisierte sie. Zum Schluss ging Zschau auf das Startchancen-Programm ein. Zur Erklärung: Das Startchancen-Programm wird derzeit vom Bundesministerium für Bildung und Forschung entwickelt, es soll künftig 4.000 Schulen unterstützen. Dieses solle unter anderem dazu da sein, dass Schulen mit einem hohen Anteil von sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern gezielt unterstützt würden, so Zschau, so wolle man fördern, wo es nötig ist.

Grüne: „Lehrpläne entschlacken“

Nina Stahr von der Grünenfraktion kritisierte zunächst, dass die Union in der vergangenen Legislaturperiode nicht genug für einen sicheren Kita- und Schulbetrieb getan, sondern pauschal Schulen und Kitas geschlossen habe. Im Anschluss habe man sich gewundert, dass es Lernrückstände gebe. Es ginge aber nicht nur um die Frage, ob Schulen geschlossen oder offen seien, sondern auch darum, was Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte wirklich brauchten.

Es sei nicht mehr zeitgemäß, sich nur auf Wissensvermittlung in der Schule zu beschränken, so Stahr. Vielmehr brauche es ein stabiles Umfeld und Zeit, um in der Schule wieder anzukommen. Deshalb müsse man die Lehrpläne entschlacken und Beziehungsarbeit in den Mittelpunkt stellen.

FDP: „Brauchen Zeitenwende in der Bildung“

Die Bundesministerin für Bildung und Forschung kam zu Beginn ihrer Rede auf den Lehrermangel zu sprechen, mit dem das Schuljahr 2022/2023 beginne: bis zu 40.000 Lehrer fehlten derzeit. Außerdem erwähnte Bettina Stark-Watzinger (FDP) die Ergebnisse des neuen Bildungstrends: Demnach könne ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler am Ende der Grundschule nicht richtig Texte verfassen. Corona habe diese Entwicklungen zwar verstärkt, aber nicht verursacht. Und das Programm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ könne das nicht auffangen. Man könne nicht so weitermachen, und es brauche „nicht weniger als eine Zeitenwende in der Bildung“, so die Ministerin.

Sie nannte drei Punkte, mit denen die Regierungsfraktionen den Politikwechsel einleiten wollten: Schulen müssten offen bleiben, damit es so viel Normalität wie möglich für die Kinder und Jugendlichen gebe. Außerdem müssten die Schulen arbeiten können, dafür gebe es zum Beispiel den Digitalpakt. Zur Erklärung: Das ist ein Programm, mit dem die Digitalisierung an den Schulen gefördert wird. Jede Schule müsse, so Stark-Watzinger, so digital sein wie das Leben ihrer Schüler. Und drittens kämpfe man für das Startchancen-Programm, damit Schulen in schwierigen Situationen „besten Unterricht bieten können“.

AfD: „Muss sich grundsätzlich etwas ändern“

Die Kinder seien während der Pandemie mit „völlig überzogenen, widersinnigen und schädlichen Coronamaßnahmen gequält“ worden, sagte Nicole Höchst von der AfD-Fraktion. Das habe besonders bei sozioökonomisch benachteiligten Familien zu großen Lernlücken geführt. Die Abgeordnete kam ebenfalls auf das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ zu sprechen und sagte, es habe nicht funktioniert und es sei vor allem am Lehrermangel gescheitert. Dabei bezog sie sich auf eine Beurteilung der Zeitschrift „Die Deutsche Schule“. Sie kritisierte, dass das deutsche Schulsystem immer weniger funktionsfähig sei, weil Personal fehle. Es müsse sich grundsätzlich etwas ändern.

Linke: „Weniger Leistungsdruck, weniger Noten“

Nicole Gohlke von der Linksfraktion sprach darüber, dass das Aufholpaket der letzten Bundesregierung seine Wirkung verfehlt habe. Zum Beispiel seien die jungen Menschen, die die Hilfe am meisten brauchten, nicht erreicht worden. Gohlke kritisierte außerdem, dass die psychosozialen Folgen der Pandemie in dem Programm keine große Rolle spielten. Es sei wichtig, die Jugendhilfe- und Jugendfreizeiteinrichtungen zu stärken. Gohlke sagte abschließend, man solle die Richtung der Debatten ändern: Es solle weniger um Leistungsdruck, Noten und Konkurrenz gehen und mehr um Dinge wie Spaß am Lernen, Kooperation, Inklusion.

Die ganze Bundestagsdebatte seht ihr hier im Video, das Protokoll findet ihr wie immer auf bundestag.de.

(Mira Knauf)

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