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Experte für Forschungstransfer „Nicht weniger, sondern bessere Technik“

Oft passiert es, dass die Erkenntnisse der Wissenschaftler in Schreibtischschubladen verschwinden. Wie das Wissen aus der Forschung in die Anwendung gelangen kann, hat uns Professor Gunther Göbel erklärt.

Porträt von Gunther Göbel

„Oft denken Forschende nicht rechtzeitig über Anwendungsmöglichkeiten nach“, sagt Professor Gunther Göbel. Dabei soll der Verbund Saxony5 helfen. © Stenzel/HTW Dresden

Die Bundesregierung hat ihre „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“ vorgelegt. Zur Lösung gesellschaftlicher Probleme, sollen Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft stärker zusammenarbeiten. Wo gibt es aus Ihrer Sicht Veränderungsbedarf?

Die Strategie geht auf 68 Seiten detailliert auf alle wichtigen Ziele in der heutigen Wissenschaft ein: Dazu gehört eine fundierte Grundlagenforschung, effektive Anwendung für die Erkenntnisse aus der Wissenschaft, Klimaschutz und vieles mehr. Das sind alles wichtige Ziele.

Den größten Veränderungsbedarf sehe ich vor allem an einer Stelle: Ich denke, wir müssen die Sicht der jungen Menschen auf die Wissenschaft verändern. Zu oft höre ich, dass Forschung oder etwa Ingenieurtechnik zu kompliziert seien. Viele möchten lieber direkt etwas für die Umwelt tun. Dabei nimmt das Vorwissen in Mathematik und Physik eher ab.

Vereinfacht gesagt ist es richtig, dass die viele Technik derzeit der Umwelt schadet. Aber wenn wir nicht massiv auf unseren Wohlstand verzichten wollen, können wir nur eins tun: Die Technik verbessern. Die Devise lautet also nicht weniger, sondern bessere Technik. Das geht leider nur mit vielen und guten Ingenieuren und Ingenieurinnen. Ich hoffe, dass wir das in Deutschland hinbekommen – gute Ausgangsbedingungen haben wir.

Sie sind Projektleiter von Saxony5, ein Verbund der fünf sächsischen Hochschulen für angewandte Wissenschaft. Der Verbund möchte den Wissens- und Technologietransfer strategisch voranbringen. Können Sie uns erklären, was damit gemeint ist?

Am besten lässt sich das anhand eines konkreten Beispiels beschreiben: Nehmen wir an, Sie kennen sich als Wissenschaftler gut mit Funkverbindungen aus. Sie nutzen das Wissen in Ihrem Labor, um dort eine Funkverbindung zu verbessern, die bei Störungen oft ausfällt. Davon hat aber – außer Ihnen – normalerweise keiner etwas.

Lernen Sie aber nun eine Firma kennen, die beispielsweise eine alte Fräsmaschine automatisieren möchte, wird dieses Wissen sehr nützlich: Die Firma braucht nämlich ein System, das ohne störende Kabel per Funk gesteuert wird, damit die Fräsmaschine etwa Materialien in eine bestimmte Form bringen kann. Nun kann das Wissen aus dem Labor angewendet werden und die Software, die von dem Wissenschaftler bereits optimiert wurde, im Produktionsbetrieb zuverlässig eingesetzt werden. Das ist Transfer: So gelangt Forschungswissen in die Anwendung.

Leider ist das nicht immer so einfach wie es klingt, da Forscher und Anwender nicht so oft aufeinandertreffen. Zumindest nicht immer die, die sich gegenseitig helfen können. Daher bauen wir in dem Projekt Saxony5 Strukturen auf, über die sich solche Partner finden können. Und zusätzlich helfen wir unseren Forschenden dabei, rechtzeitig über Ideen nachzudenken, bei denen ihr Forschungswissen zum Einsatz kommen könnte.

Saxony5

Saxony5 ist ein Transferverbund der fünf sächsischen Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW). Seit 2017 werden hier Wissen und Ressourcen für den sogenannten forschungsbasierten Transfer gebündelt. Damit ist der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in andere gesellschaftliche Bereiche gemeint. Das Netzwerk wird durch Partner aus Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft erweitert. Bereits seit 2007 arbeiten die Hochschulen in Mittweida, Zwickau, Zittau/Görlitz, Dresden und Leipzig in Lehre und Forschung zusammen.

Ist es ein Problem, dass viele wissenschaftliche Ergebnisse ihren Weg nie in die Praxis finden?

Ich würde sagen ein Problem wird es erst, wenn zu viele wissenschaftliche Erkenntnisse für immer in der Schublade bleiben. Es gibt auch viele Ergebnisse, die nicht immer gleich anwendungsreif sind und deswegen nicht in der Praxis ankommen. Und ein wichtiger Punkt ist wie gesagt, dass oft erst zu spät über mögliche Anwendungen nachgedacht wird. Aber daran arbeiten wir bereits.

Aber es gibt ein anderes großes Problem: Forschende brauchen Zeit dafür, nach zusätzlichen Anwendungsmöglichkeiten zu suchen. Die haben die Mitarbeitenden in den wissenschaftlichen Projekten aber eigentlich nicht. Deshalb brauchen wir hier Strukturen, die das dauerhaft ermöglichen, zum Beispiel durch entsprechende Finanzierung.

Ein Punkt in der Strategie: Die verschiedenen wissenschaftlichen Gebiete sollen „interdisziplinärer“ miteinander arbeiten. Das heißt etwa, dass Naturwissenschaftler sich mehr mit Geisteswissenschaftlern austauschen. Warum ist das wichtig?

Wissenschaft kann ganz schön disruptiv sein. Das bedeutet, dass beispielsweise eine bestimmte Technik, die die Wissenschaft hervorbringt, alles bisher da gewesene verändert. So können neue Ideen die Arbeitswelt oder die Art und Weise, wie wir die Welt verstehen, umkrempeln.

Deshalb ist es wichtig, dass wir auf der technischen Seite die Folgen unserer Innovationen durchdenken. Die Geisteswissenschaften beschäftigen sich eher mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von Technik und können so die Richtung für unsere technischen Innovationen vorgeben. Den richtigen Weg zu finden, ist ein gemeinsamer Prozess der beiden Bereiche. Und wie es aussieht, wenn die Zusammenarbeit nicht gut funktioniert, haben wir in der Coronapandemie gut beobachten können: Aus wissenschaftlicher Sicht zwingend notwendige Handlungen wurden gesellschaftlich oft nicht mitgetragen, weil die Art der Kommunikation nicht zu einer Akzeptanz geführt hat.

Künstliche Intelligenz ist ein gutes Beispiel für eine technische Entwicklung, bei der die verschiedenen wissenschaftlichen Bereiche eng zusammenarbeiten sollten. Einerseits erwartete ich, dass KI die Arbeits- und Wissenschaftswelt verändern wird. Anderseits wird es mit KI noch leichter, durch entsprechenden Missbrauch die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Das wird beide Fachbereiche – Natur- und Geisteswissenschaften – noch viel beschäftigen.

Auch für den Klimaschutz werden Erkenntnisse und Lösungen aus der Wissenschaft benötigt. Klappt der Austausch zwischen Wissenschaft und Politik hier gut?

Ich musste bisher nur selten Erkenntnisse zum Klima in die Politik vermitteln, daher kann ich nicht aus erster Hand berichten, an welchen Stellen es beim Thema Klima zwischen Wissenschaft und Politik besonders schwierig ist.

Ich sehe aber, dass zumindest auf Seiten der Hochschulpolitik recht viel passiert, etwa durch neue Studiengänge und Professuren, die sich gezielt mit der Klimakrise beschäftigen. Oder durch Klimakonzepte, mit denen beispielsweise festgelegt wird, wie die Hochschulen ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten möchten.

Auch auf gesetzlicher Ebene verändert sich etwas: In Sachsen wird beispielsweise das neue Hochschulgesetz einen Prorektor – das ist ein Mitglied der Hochschulleitung – für Nachhaltigkeit fordern. Der soll sich in leitender Funktion um Themen rund um den Klimaschutz kümmern.

Zur Person

Gunther Göbel

Gunther Göbel ist Gesamtprojektleiter von Saxony5 und Professor für Fügetechnik. Nach der Schule hat er Maschinenbau an der TU-Dresden studiert. Anschließend arbeitete er unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer Institut für Werkstoff- und Strahltechnik, 2008 promovierte er auf dem Gebiet der Lasertechnik. Seit 2014 ist er Professor an der HTW Dresden, aktuell ist er dort auch Prorektor für Forschung und Transfer.

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