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Experten-Interview "Die PKS ist nur ein Mosaikstein"

Tim Oswald

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) bildet die Sicherheitslage in Deutschland ab. Aber wie gut tut sie das eigentlich? Tim hat mit Prof. Dr. Thomas Bliesener vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen über die PKS gesprochen, was sie sagt und was nicht und wie mehr Licht in das so genannte Dunkelfeld gebracht werden kann.

Portraitfoto von Thomas Bliesener.

Thomas Bliesener, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Foto: privat

Einmal im Jahr wird die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) vorgelegt. Dann sagen die einen, das Land sei sicherer geworden, die anderen behaupten das Gegenteil. Wie ist so etwas möglich?

Der Unterschied in der Wahrnehmung rührt vor allem daher, dass die PKS ein riesiges Sammelwerk mit verschiedenen Zahlen zu verschiedenen Delikten ist. Da kann man sich nun einmal das große Gesamtbild anschauen und feststellen, dass die Kriminalität in den letzten Jahren in Deutschland ziemlich kontinuierlich gesunken ist.

Man kann sich aber natürlich auch einzelne Delikte anschauen und wird dort immer einige Arten von Kriminalität finden, die in einem Jahr besonders stark angestiegen sind. Häufig sind die Gründe dafür aber auch sehr naheliegend: Wir sehen nämlich zum Beispiel im Bereich der Computerkriminalität eine starke Zunahme, was natürlich nicht verwunderlich ist, wenn mehr Menschen im Netz unterwegs sind.

Gibt es so etwas wie „gesicherte Fakten“, also Daten, die nur auf eine Weise interpretiert werden können?

Nein. Die PKS ist auch für uns als Kriminologen nur ein Mosaikstein, der für uns erst zusammen mit anderen Daten und Befunden zu einem stimmigen Gesamtbild über die Kriminalität und deren Entwicklung in Deutschland wird.

Bei der PKS ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass es sich lediglich um polizeiliche Daten handelt, dass also nur solche Straftaten auch erfasst werden, die der Polizei gemeldet wurden oder die die Polizei selbst bemerkt hat.

Gibt es gesicherte Erkenntnisse zu der Frage, ob die Bürger den staatlichen Statistiken trauen?

Nein, das wäre aber tatsächlich mal eine interessante Frage für eine unserer Umfragen.

Wie sieht Ihre persönliche Einschätzung dazu aus?

Ich glaube, dass das Vertrauen in die PKS in der Gesellschaft in den letzten Jahren zurückgegangen ist, da sich die subjektive Wahrnehmung vieler Bürgerinnen und Bürger nicht immer mit den Daten der PKS deckt.

Was könnte die Politik tun, um Debatten über Straftaten und innere Sicherheit zu versachlichen?

Die Politik – und auch die Polizei – muss weiterhin und vielleicht auch deutlicher klar machen, welche Daten in der PKS enthalten sind und wo die Grenzen der PKS liegen. Außerdem brauchen wir auch verlässliche Daten, die über die PKS hinausgehen. So etwas wie eine „crime survey“, also eine repräsentative Umfrage, ob und wie die Bürgerinnen und Bürger Kriminalität erleben. Das wäre sehr sinnvoll. Glücklicherweise ist eine solche „crime survey“ inzwischen auch in Deutschland in der Planung.

In der Debatte im Bundestag zur PKS fiel häufig das Wort „Dunkelfeld“. Was ist das?

Das „Dunkelfeld“ ist die Gesamtheit aller Straftaten, die sich ereignen. Von dieser Gesamtheit wird nur ein kleiner Teil tatsächlich polizeilich bekannt. Die Delikte, die bekannt werden, befinden sich im sogenannten „Hellfeld“.

Wieso werden manche Straftaten nicht bekannt?

Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Es kann zum Beispiel bei einem Taschendiebstahl sein, dass das Opfer gar nicht bemerkt, dass ihm die Brieftasche gestohlen wurde, sondern glaubt, sie einfach nur verloren zu haben und deshalb keine Anzeige erstattet.

Wenn das Opfer die Straftat bemerkt, kann es aber auch sein, dass es die Straftat gar nicht zur Anzeige bringt. Gerade bei Sexualdelikten spielt Scham oft eine große Rolle oder Opfer glauben, dass es sich nicht lohnen würde zur Polizei zu gehen.

Aber auch bei Unternehmen kann es vorkommen, dass sie keine Anzeige erstatten, weil sie sich davor fürchten, ihr Ansehen oder Kunden zu verlieren, sollte herauskommen, dass sie beispielsweise Opfer einer Cyberattacke wurden.

Inwieweit lassen sich Aussagen über die Größe des Dunkelfelds treffen?

Auch beim Dunkelfeld treffen wir nochmals eine Unterscheidung in ein absolutes und relatives Dunkelfeld. Das absolute Dunkelfeld ist die Gesamtheit aller Straftaten, die tatsächlich passieren. Diese Zahl versuchen wir durch Umfragen, ähnlich der bereits angesprochenen „crime survey“ zu ermitteln. [Diese ermittelte Zahl bildet das relative Dunkelfeld ab, Anmerkung der Redaktion]. Und natürlich ist diese Zahl dann auch deutlich höher als die der PKS.

Wie können Opfer von Kriminalität mit ihren Erfahrungen umgehen?

Am wichtigsten ist es, Straftaten direkt zur Anzeige zu bringen, damit ermittelt werden kann und der Täter oder die Täterin zur Rechenschaft gezogen werden kann. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, sich an spezielle Hilfsorganisationen zu wenden, die es den Opfern ermöglichen, sich mit anderen Opfern auszutauschen. Schlussendlich ist es die Entscheidung eines jeden Einzelnen, wie weit er sich öffnen möchte. Aber wenn man für sich entscheidet, dies zu tun, stellt unser Staat und unsere Gesellschaft bereits eine Menge an Hilfsmöglichkeiten zur Verfügung.

Über Thomas Bliesener

Thomas Bliesener ist Professor für „Interdisziplinäre kriminologische Forschung“ an der Universität Göttingen und zugleich Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) in Hannover. Zu seinen Forschungsthemen gehören u.a. die Analyse der Entstehungsbedingungen sozialschädlichen Verhaltens, die Evaluation kriminalpräventiver Maßnahmen in verschiedenen Kontexten (z.B. Polizei, Familie, Schule, Kommune) sowie die Analyse der Rechtspraxis im Bereich des (Jugend-)Strafrechts.

Zur Person

Portraitfoto von mitmischen-Autor Tim Oswald
mitmischen-Autor

Tim Oswald

ist Schüler aus Weisenheim am Sand. Seine großen Leidenschaften sind Politik und Engagement. Außerdem liest er gerne, geht joggen und ist fasziniert von fremden Ländern und Sprachen. Seine Freunde machen sich heute noch darüber lustig, dass sein Lieblingsbuch in der Grundschule der Atlas war.

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