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Metzgermeister Fleischarbeit ist Fleißarbeit

Henrik Rampe

Fleisch als Massenware – darunter leidet oft der Tierschutz. Andi Jais aus Oberbayern hat sich deshalb bewusst dagegen entschieden, seinen Betrieb zu vergrößern. Henrik hat mit ihm über Schlachten und Fleischgenuss gesprochen.

Mann am Schweinekoben

Er kennt nicht alle seine 400 Schweine beim Namen, aber er begleitet sie von der Geburt bis zur Schlachtung. © privat

Wenn Andi Jais morgens aufsteht, hat der Hahn noch nicht gekräht. "Man könnte meinen, ich bin ein Bäcker, weil ich wochentags schon um 4 Uhr auf den Beinen bin", scherzt der Oberbayer. Auch wenn er gleich in der Früh am Backofen steht, geht es bei Familie Jais nicht um Brotlaibe oder Sahnetorten. Andi Jais ist gelernter Metzger und leitet die Landmetzgerei Jais in zweiter Generation. Damit die Kunden in den drei Filialen pünktlich um 8 Uhr morgens bedient werden können, schiebt der 28-Jährige schon zu nachtschlafender Zeit Fleischpflanzerl (Frikadellen) und Leberkäse in den Ofen. Zu einem großen Teil seiner knapp 30 Mitarbeiter hat er eine ganz besonders enge Beziehung: Vater, Mutter, Schwester, Schwager und Freundin, sie alle arbeiten im Familienbetrieb.

Mehr Schweine als Einwohner

Weit weg von den großen Schweinemastbetrieben hatte der Landwirt Engelbert Jais 1988 in Luttenwang mit dem Hofverkauf von Wurstwaren den Grundstein für das heutige Metzgereigeschäft gelegt. Seit 2010 hat Sohn Andi den Meisterschein und den Hut im Geschäft auf. Das alte Bauernhaus der Familie wurde komplett umgebaut und ist heute Hauptfiliale und Anlaufstelle für alle Fleischliebhaber, die um Discounter-Fleisch zum Dauertiefpreis einen Bogen machen wollen.

Hier in Luttenwang, in der oberbayrischen Idylle zwischen München und Augsburg, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Wenn im Frühjahr der Maibaum aufgestellt wird, ist das ganze Dorf auf den Beinen. Man kennt sich. Der ehemalige Wallfahrtsort hat noch eine Besonderheit: hier gibt es mehr Schweine als Einwohner - 400 Mastschweine haben ihr Zuhause am Ortsrand in den offenen Ställen von Jais.

Jais schlachtet selbst

Nicht jedes Tier kennt der Metzgermeister beim Namen, aber jedes Tier begleitet er von der Geburt bis zur Schlachtung und Verarbeitung. Ein Großteil der gentechnisch freien Futtermittel wird selbst angebaut, einmal pro Woche wird im benachbarten Fürstenfeldbrück geschlachtet. Auch hier überlässt der Metzgermeister nichts dem Zufall und schlachtet selbst. "Besonders bei der Schlachtung kann noch viel falsch gemacht werden, was sofort die Qualität des Fleischs ruiniert. Die Betäubung muss stimmen und die hygienischen Bedingungen einwandfrei sein", erklärt der Fachmann. Jais schlachtet nach den Richtlinien aus dem "Unser Land"-Netzwerk. Ein Verein, dessen Mitglieder sich zu bestimmten Qualitäts-Standards verpflichten und zwar von der Aufzucht der Schweine, über den Transport bis zur Schlachtung. Schlagstöcke und Elektrotreiber sind verboten, die Transportwege müssen kurz sein. Das tierschutzgerechte Schlachten wird durch "die fachlich einwandfreie Elektrobetäubung gewährleistet und durch sofortigen Blutentzug sichergestellt" heißt es in den Richtlinien.

Nicht schneller, höher, weiter

Je länger man sich mit Jais unterhält, desto deutlicher wird, dass man es hier mit einem Überzeugungstäter zu tun hat. Marktwirtschaftliche Interessen rangieren hinter den eigenen Ansprüchen, Qualität geht vor Quantität. Momentan werden pro Woche 1,8 Tonnen Schweinefleisch weiterverarbeitet. Das klingt viel, in Relation zu den Branchengrößen wirkt die Zahl verschwindend gering. Die Marktführer würden diese Mengen in weniger als 10 Minuten produzieren, erklärt der Landwirt. Kein Wunder, dass viele kleinere Betriebe aufgeben. Die Familie Jais hat sich bewusst für einen anderen Weg entschieden und spielt das Spiel "größer, schneller, weiter nicht mit". "Ich hätte in den letzten Jahren schon mehrfach expandieren können. Das wollte ich aber nicht, weil ich jeden einzelnen Schritt selbst überblicken und in der Hand haben will", erläutert Jais seine Geschäftsprinzipien.

Fleischsommelier und Genussbotschafter

Bei der Fleischverarbeitung kommt dem Metzgermeister außerdem seine 14-tägige Weiterbildung zu einem der ersten in Deutschland ausgebildeten Fleischsommeliers zugute. Als einer von gut 50 Fleischern darf er sich das Diplom an die Schürze heften. "Als Sommelier verstehen wir uns immer auch als Genussbotschafter und wollen zeigen, dass Fleisch kein Ramschprodukt ist. In dem Kurs haben wir uns deshalb auch nochmal ganz detailliert mit den verschiedenen Zuschnitten des Fleischs auseinandergesetzt", erklärt Jais und geht gleich ins Detail. "Spanische, italienische oder Schweizer Schnittführungen sind jeweils unterschiedlich. Wir wollen diese ganzen Techniken so anwenden, dass wir möglichst viel aus dem Tier rausholen können und wenig wegschmeißen müssen." Rund 60 Prozent eines Schweines werden am Ende zu Fleischprodukten verarbeitet, die über die Ladentheke gehen.

Nicht jeden Tag Schnitzel

Den zusätzlichen Arbeitseinsatz gibt es selbstverständlich nicht zum Nulltarif. Mit den Preisen der Discounter kann und will Jais auch gar nicht mithalten. Damit verliert er zwar mehr als Dreiviertel aller potentiellen Fleischkunden. Die große Mehrheit greift nämlich nach wie vor zur abgepackten Wurst in den Supermarktregalen. Doch bewusster Fleischverzehr liegt im Trend. Die angebotenen Steaktastings bei Jais sind schon vier Monate im Voraus ausgebucht. Das Interesse, mehr über die Zubereitung zu erfahren und Fleisch bewusst zu genießen, ist ungebrochen. "Früher waren es fast ausschließlich ältere Menschen, die für die höhere Qualität tiefer in die Tasche gegriffen haben. Jetzt zeigt gerade die jüngere Generation, 25- bis 45-Jährige, ein immer stärkeres Bewusstsein für Regionalität, Tierwohl und Qualität", freut sich Jais. "Es muss nicht jeden Tag Schnitzel auf dem Tisch stehen. Lieber weniger, aber dafür gutes Fleisch", rät Jais nicht nur denjenigen, die sich aus finanziellen Gründen nicht jeden Tag Qualitätsfleisch erlauben können.

Keine Öko-Siegel

Bei den hohen Standards für Tierwohl, Nachhaltigkeit und Regionalität könnte man meinen, dass auf allen Schweinerückensteaks und Wurstgläsern ein Dutzend von Öko-Labels prangt. Doch Jais winkt ab. "Regionalität, wollen die Menschen nicht auf einem Label stehen haben, sondern vor sich sehen", so seine Erfahrung. Auch deshalb steht der Chef jeden Samstagmorgen im Laden und berät, informiert und hält den Kontakt zu seinen Kunden. An allen anderen Tagen pendelt er zwischen Schweinestall und Schlachthof. Aufstehen bevor der Hahn kräht, Abendbrot erst, wenn die Schweine ihre Fütterung hatten - Fleischarbeit ist eben auch immer Fleißarbeit.

Henrik Rampe

Zur Person

mitmischen-Autor

Henrik Rampe

studiert Publizistik und Soziologie

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