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Urheberrechtsreform „Miese Stimmungsmache“

Die EU will im Internet Regeln durchsetzen, die im "normalen" Leben gelten: Wer Fotos, Texte, Bilder oder Musikstücke von anderen nutzt, soll dafür zahlen. Lukas hat Tabea Rößner (Bündnis 90/Die Grünen) gefragt, worum es geht und warum es so viel Kritik gibt.

Portraitfoto

Im Internet gehe es nicht fair zu, sagt Tabea Rößner von den Grünen. © Stefan Kaminski, Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Frau Rößner, die EU will die Rechte von Künstlern, Autoren oder Creators im Internet stärken. Die Grünen finden den Vorstoß gut und sagen, dass das Internet dadurch fairer würde. Geht es unfair zu im Internet?

Ja. Wir freuen uns zwar, dass wir im Internet Vieles kostenlos kriegen – sagen wir Videos oder Musik etwa bei YouTube. Doch den Künstler, der beispielsweise ein Video dreht, kostet die Produktion ja Geld. Und jetzt kommt eine Plattform wie Youtube ins Spiel. Sie verdient mit diesem Video Geld, indem sie etwa Werbung im Umfeld schaltet. Die Künstler selber, die Urheber dieser Werke, gehen aber oft leer aus. Das ist natürlich unfair. Deshalb braucht es Regelungen, die dafür sorgen, dass Kreative und Künstler im Internet für ihre Arbeit auch bezahlt werden.

Also geht die geplante Reform der EU in die richtige Richtung?

Jein. Das bei der EU dahinterstehende Motiv ist an sich gut: Sie will das Urheberecht, das es schon heute gibt, auf Plattformen wie Youtube anpassen. Die Frage ist nur, ob all die Regelungen der Reform bereits ausreichend durchdacht sind. Das bezweifele ich.

Gerade erst wurde in der EU eine vorläufige Einigung gefunden – diese Texte müssen jetzt sorgsam ausgewertet werden. Das größte Problem ist wohl aber weiterhin die Haftung der Plattformen für urheberrechtsverletzendes Material und die Maßnahmen, die sie dagegen zu ergreifen haben – hier wird immer noch der Einsatz starker Filter befürchtet. Und natürlich das Leistungsschutzrecht, das bereits in Deutschland nichts gebracht hat.

Viele Jugendliche befürchten das Aus für Youtube, mindestens jedoch, dass dann bestimmter Content verschwindet. Auch in einem Antrag der FDP-Fraktion wurde die Sorge geäußert, dass Inhalte wegfallen könnten. Wie ist das zu bewerten?

Alle berechtigte Kritik in Ehren: Ich halte es aber für eine ganz miese Stimmungsmache der Plattformen, wenn sie behaupten, dass durch die Reform gleich das ganze Internet kaputt gehen würde. Das hat nichts mehr mit einer sachlichen und sachgerechten Diskussion zu tun. Letztlich verfolgen die Plattformen natürlich auch nur ein Interesse: Ihr Geschäftsmodell zu schützen, möglichst wenig zu zahlen. Das ist aber nicht das, worum es uns hier gehen sollte.

Sondern?

Wenn Plattformen mit fremden Inhalten Geld verdienen, müssen sie auch etwas vom Kuchen an die Urheber der Inhalte abgeben. Diese Regelungen müssen aber ausgeglichen sein und dürfen nicht über das Ziel hinausschießen. Es muss weiterhin möglich sein, Inhalte legal zu teilen. Die Sorge, dass auch legale Inhalte aus Angst vor Strafe von den Plattformen rausgefiltert werden, ist in Teilen berechtigt. Die Firmen nutzen dazu Uploadfilter, die sicherlich noch nicht so ausgefeilt sind, um treffsicher zu funktionieren – umso mehr muss es hier ausgewogene, durchdachte und praxisnahe Regelungen geben.

Stichwort Musikvideo: Kann ich nach der Reform weiterhin meine Lieblingsmusikvideos posten?

Die Regelung zielt vor allem auf die großen Plattformen, nicht auf Privatpersonen und auch kleinere und mittlere Unternehmen sollen nicht darunter fallen – die Bundesregierung hat immer betont, sich für eine weite Ausnahme einsetzen zu wollen.

Das ist jetzt im Kompromiss mit Frankreich etwas unter die Räder gekommen. Es müssen danach drei Kriterien erfüllt sein, damit man privilegiert ist: Die Plattform ist nicht länger als drei Jahre auf dem Markt, der Jahresumsatz ist unter 10 Millionen Euro und sie hat weniger als 5 Millionen Nutzer pro Monat. Es dürfen für kleine Unternehmen einfach nicht zu viele Hürden bestehen.

Aber unabhängig davon: Natürlich ist sowieso jeder in der Pflicht, sich zu informieren, was man darf und was man nicht darf. Ich darf nicht einfach Inhalte von Dritten im Internet verbreiten. Das muss sich auch jeder klarmachen.

In der analogen Welt, also in der Welt außerhalb des Internets, gibt es schon seit Ewigkeiten ein striktes Urheberrecht. Warum sorgt die Reform in der digitalen Welt für so viel Gegenwind?

Das ist richtig, die Regelungen gibt es seit Jahrzehnten. Aber in der digitalen Welt herrschen andere Bedingungen. Der Austausch von Inhalten funktioniert anders. Wenn ich etwa ein Buch verleihe, dann sieht das danach nicht mehr so aus wie vorher – unter Umständen ist es zerfleddert oder sogar kaputt. Bei digitalen Gütern ist das anders: Ein E-Book könnte ich zum Beispiel herumreichen, so viel ich will, ohne dass die Qualität darunter leidet. Das verleitet natürlich dazu, dass man viele Sachen kopiert und mit anderen teilt...

... und wenn man alles gratis weitergibt und ein Autor kein Geld für seine Leistung bekommt, dann kann das dazu führen, dass er von seiner Kreativität nicht leben kann und seine Arbeit einstellen muss?

Genau. Wir wollen ja nicht nur einen Mainstream im Internet haben, sondern eine Vielfalt an Meinungen und Inhalten. Und genau das ist in Gefahr, wenn das Urheberrecht im Internet nicht durchgesetzt wird. Weil sich durch das Netz aber Vieles verändert hat, muss auch das Urheberrecht in das digitale Zeitalter überführt werden. Immer mit dem Ziel, einen angemessenen Ausgleich der Nutzerinnen, der Nutzer und der Kreativen zu erreichen.

Selten hat ein EU-politisches Thema Kinder und Jugendliche derart aufgebracht wie dieses. Hat sich die Politik denn genügend bemüht, den Sachverhalt zu erklären?

Dadurch, dass sich die Politik selbst nicht einig und das Thema sehr komplex ist, ist die Diskussion auf politischer Ebene sehr abgehoben geführt worden. Es gelingt dann oft nicht, die Thematik einfach darzustellen. Und ganz ehrlich: Wir haben auch nicht die Reichweite, die zum Beispiel Youtube-Stars haben, die gegen die Reform Stimmung machen und vor allem eine jugendliche Fangemeinde haben. Dagegen können wir nicht ankommen. Das ist auch das Problem von schönen, kurzen Videos: Dieses Thema ist einfach zu komplex und braucht eine größere Auseinandersetzung.

Sie schreiben auf Ihrer Homepage "es bleibt zu hoffen, dass es in Brüssel noch zu einer sinnvollen Regelung kommt". Was halten sie von den neuen Vorschlägen?

Ein gutes Ergebnis sieht anders aus. Mit Biegen und Brechen sind die monatelangen, immens umstrittenen Verhandlungen nun zwar vorerst finalisiert worden – aber damit konnte man jetzt am Ende keine Seite mehr glücklich machen. Den einen ist der Text nach etlichen Kompromissen zu stark verwässert, andere sehen weiterhin große Gefahren für die Meinungsfreiheit durch Filtermaßnahmen und das Leistungsschutzrecht für Presseverlage.

Eine solch diverse Kritik ist einfach kein gutes Omen für eine Richtlinie, die grundlegende Weichen für die digitale Wirtschaft, den medialen Alltag der Nutzerinnen und Nutzer und den Umgang mit urheberrechtlichen Werken im Digitalen stellen soll.

Ich bleibe dabei: Plattformen, die an der digitalen Nutzung von Werke verdienen, sollten auch dafür zahlen. Dadurch wären wir als Privatleute nicht betroffen. Es gibt bereits vertragliche Absprachen zwischen den großen Plattformen und der Musikindustrie. Das funktioniert schon. Es ist aber sinnvoll, das gesetzlich zu regeln wie auch die Frage der Verantwortlichkeiten.

Zudem wäre es wichtig, Klarheit zu schaffen, welche Nutzungen im Internet gesetzlich (gegebenenfalls auch mit Bezahlung) erlaubt sind und welche nicht, damit mehr Rechtsklarheit herrscht. Die jetzige Regelung – so gut sie auch gemeint gewesen sein mag – lässt aber noch zu viele Fragen in der (vor allem technischen) Umsetzung offen; diese Rechtsunsicherheit ist nicht gut für die digitale Wirtschaft, gerade eben die kleinen Unternehmen, die es sich nicht leisten können, Risiken einzugehen.

Was ändert sich konkret für mich, wenn die Reform dann doch irgendwann kommt?

Ich hoffe immer noch auf sinnvolle und ausgewogene Regelungen, so dass sich nicht so viel ändert. Ich hoffe, dass wir das Internet genauso nutzen können wie bisher. Nochmal: Wichtig ist es die großen Konzerne, die viel Kohle mit fremden Inhalten verdienen, zu verpflichten, davon etwas abzugeben. Ich glaube, daran müssten wir alle ein Interesse haben.

Zur Person:

Tabea Rößner ist Sprecherin für Netzpolitik und Verbraucherschutz der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte, Film- und Fernsehwissenschaft sowie Journalistik. Seit 2009 ist sie Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Frau Rößner ist 52 Jahre alt und hat zwei Kinder.

Lukas Stern

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