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Studenten-Vertretung „Viel Frust und Enttäuschung“

In Corona-Zeiten helfen Medizinstudenten in Krankenhäusern mit. Gleichzeitig fallen für einige die Prüfungen aus. Unvertretbar findet das Aurica Ritter von der Bundesvertretung für Medizinstudenten in Deutschland.

Portrait einer jungen Frau

„Studierende brauchen viel Anleitung und Einarbeitungszeit. Das ist in Stresssituationen wie jetzt sehr schwer umzusetzen“, kritisiert Aurica. © privat

Studentinnen und Studenten der Medizin sind in Corona-Zeiten sehr gefragt. Viele zeigen sich solidarisch und helfen mit. In welchen Bereichen können sie in Krankenhäusern beteiligt werden?

Studierende, die noch ganz am Anfang stehen, werden zum Beispiel in Call Centern eingesetzt, wo sie Fragen von Bürgern zu Corona beantworten – natürlich erst, nachdem sie entsprechend geschult wurden. Studierende, die schon in höheren Semestern sind und vielleicht auch schon eine Pflegeausbildung hinter sich haben, können auch direkt an Patientinnen und Patienten arbeiten. Andere helfen in Notaufnahmen oder bei der Testung von potenziell Infizierten mit.

Arbeiten manche auch auf Intensivstationen?

Ja, ich kenne Kommilitoninnen und Kommilitonen, die schon Erfahrungen auf Intensivstationen gesammelt haben und jetzt dort mitarbeiten. Also dort, wo Menschen mit schweren Krankheitsverläufen liegen und an Beatmungsgeräte angeschlossen werden müssen.

Die Studenten lernen viel, den Kliniken ist geholfen. Das klingt nach Vorteilen für alle. Siehst du auch Nachteile oder Gefahren?

Ja, die sehe ich durchaus. Man muss wissen, dass die wenigsten von uns jetzt auf den Intensivstationen mithelfen. Die allermeisten arbeiten auf ganz normalen Stationen und erledigen das, was wegen Corona liegenbleibt – beispielsweise Blutabnehmen und Ähnliches. Ob man dabei so viel lernt, ist dann doch fraglich. Klar ist auch, Studierende können noch nicht alles und sie dürfen auch noch nicht alles. Sie brauchen viel Anleitung und Einarbeitungszeit. Das ist in Stresssituationen wie jetzt sehr schwer umzusetzen, muss aber trotzdem unbedingt gewährleistet werden, um die Patienten und Patientinnen und auch die Studierenden selbst zu schützen.

Wer Medizin studiert, durchläuft einen strikten Studienplan. Wie sieht der aus?

Die ersten vier Semester nennt man die Vorklinik. Da lernt man alle möglichen Grundlagen wie Biologie, Anatomie, Physiologie oder auch Physik und Chemie. All das wird dann im ersten Staatsexamen abgeprüft. Danach kommt das klinische Studium, das dauert drei Jahre lang. Da lernen wir alles über die verschiedenen Krankheiten und Fachrichtungen und wir arbeiten auch schon an Patientinnen und Patienten. Danach absolvieren wir das zweite Staatsexamen. Am Ende folgt dann das Praktische Jahr, in dem wir, wie der Name schon sagt, ein Jahr lang praktisch in einer Klinik mitarbeiten. Wer das durchlaufen hat, legt das dritte Staatsexamen ab und bekommt seine Zulassung als Ärztin oder Arzt.

Während der Corona-Krise sollen Studenten von diesem Plan abweichen können. In wie fern?

Das betrifft insbesondere die, die vor ihren zweiten Staatsexamen stehen. Der Bund hatte den Ländern empfohlen, die Prüfung wegen Corona zu verschieben. Stattdessen sollten die Studierenden früher ins Praktische Jahr gehen und ausnahmsweise erst im Anschluss daran die Prüfung ablegen. Das bedeutet allerdings auch, dass das zweite und das dritte Staatsexamen später dann direkt hintereinander absolviert werden müssen, was eine ziemliche Belastung sein wird. Insgesamt hat das Ganze für viel Frust und Enttäuschung gesorgt.

Weshalb?

Die meisten Bundesländer sind der Empfehlung des Bundes nicht gefolgt. Dort können die Studierenden jetzt ihr Staatsexamen wie vorgesehen schreiben. Abgesagt wurden die Prüfungen nur in Bayern und Baden-Württemberg. Dort soll nun das Praktische Jahr also vorgezogen werden. Für viele ist das aber ein Problem, weil sie eigentlich aus ihrem Bundesland raus und an anderen Kliniken lernen wollten. Das ist jetzt nicht mehr so einfach möglich, sie bekommen reihenweise Absagen. Das kann auch finanzielle Folgen nach sich ziehen. Viele haben beispielsweise schon ihre WG-Zimmer vermietet und in anderen Städten eine neue Wohnung gefunden.

Wenn ich dich richtig verstehe, hättest du dir also von Bayern und Baden-Württemberg gewünscht, dass sie die Prüfungen nicht absagen?

Wir von der Bundesvertretung der Medizinstudenten in Deutschland hätten uns vor allem Einheitlichkeit gewünscht. Es geht hier nicht um irgendeine Prüfung, sondern um ein Staatsexamen. Überall in Deutschland sollten alle Studierenden um punktgenau die gleiche Uhrzeit exakt die gleichen Fragen beantworten. Überall in Deutschland habe sie die letzten drei Monate dafür gebüffelt. Jetzt dürfen manche ihr Examen machen und manche nicht. Das ist aus meiner Sicht unvertretbar.

Warum genau?

Wer sein Examen nächstes Jahr nachholen muss, bekommt erstens ganz andere Fragen mit abweichenden inhaltlichen Schwerpunkten gestellt und hat zweitens sehr viel weniger Zeit zum Lernen, weil das Praktische Jahr dazwischen lag. Hinzu kommt noch, dass er oder sie sich gleichzeitig noch auf das dritte Examen vorbereiten muss, was kurz danach stattfindet. Die Bedingungen sind also ganz unterschiedliche und die Prüfungsergebnisse sind nicht mehr objektiv miteinander vergleichbar. Das wäre aber eigentlich das Ziel eines Staatsexamens.

Die Staatsexamen werden in großen Hallen geschrieben. Über hundert Absolventen sitzen da zusammen. Wie regeln das die Bundesländer, in denen die Prüfungsphase gerade läuft, in Zeiten von Corona?

In Brandenburg, um ein Beispiel zu nennen, wird zwar tatsächlich in genau solchen großen Hallen geschrieben. Bei den Absolventinnen und Absolventen wird aber zuvor Fieber gemessen. Außerdem tragen sie Mundschutz und Handschuhe. In anderen Bundesländern ist es ähnlich. Teils sind die Gruppen auch verkleinert worden, damit nicht zu viele auf einmal in einem Raum sitzen. Die Idee war auch, dass die Studierenden während der Prüfung den Raum nicht verlassen dürfen. Das hat bei vielen Verwunderung hervorgerufen. Wie soll man fünf Stunden durchhalten können, ohne auf die Toilette gehen zu dürfen? Ich hoffe, da haben die Länder eine Lösung gefunden.

Über Aurica Ritter

Aurica Ritter (25) ist die Präsidentin der Bundesvertretung der Medizinstudenten in Deutschland. Die gebürtige Berlinerin studiert selbst Medizin im 9. Semester in Gießen. Momentan schreibt sie an ihrer Doktorarbeit im Bereich Medizindidaktik.

Über die Bundesvertretung der Medizinstudenten

Die Bundesvertretung der Medizinstudenten in Deutschland vertritt die Interessen der Medizinstudenten, zum Beispiel auf gesundheits- oder hochschulpolitischer Ebene. Für die Studenten organisiert sie aber auch Praktika oder Austausche mit anderen Ländern.

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