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Pro und Contra Widerspruchslösung – hopp oder top?

Soll jeder mit dem Tod automatisch zum Organspender werden, wenn er nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat? Kolja sagt ja, Laura ist dagegen.

Für oder gegen die Widerspruchslösung? mitmischen-Autoren diskutieren. © shutterstock.om/Roman Bykhalets

Pro

Kolja (18): Man muss sich wenigstens Gedanken darüber machen

Organspende rettet Leben. In Deutschland kommen aber auf eine Million Einwohner gerade Mal zehn Organspender – das ist sehr wenig. In Spanien sind es fast fünfmal so viele. Damit ist Spanien bei den Spender-Zahlen, fundierten Aufklärungskampagnen und auch bei der Organisation von Transplantationen weltweit führend. Spanien hat übrigens die Widerspruchslösung, bei der jeder zum Organspender wird, der dem nicht ausdrücklich widerspricht.

Jeder soll über seinen Körper selbst entscheiden

Natürlich gibt es auch Gründe dafür, dass Menschen nicht wollen, dass ihnen ihre Organe entnommen werden. Das ist völlig legitim, denn jeder hat das Recht, über seinen eigenen Körper zu entscheiden – und zwar bedingungslos. Viele sind vielleicht getrieben von der Angst, sie würden vorschnell für tot erklärt und ausgenommen werden wie ein Ersatzteillager, wenn sie einen Organspende-Ausweis haben.

Andere verweigern die Spende aus religiösen, ethischen oder spirituellen Gründen. Wieder andere allerdings entscheiden sich nicht für eine Spende ihrer Organe, weil sie sich schlicht und ergreifend nie darüber Gedanken gemacht haben, was mit ihrem Körper nach ihrem Tod passiert. Und genau aus diesem Grund wäre eine Widerspruchslösung für die Organspende in Deutschland das Richtige.

Ist dies ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht?

Ich glaube: Nein. Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht wäre es, wenn das Gesetz jede hirntote Person zu einer Organspende verpflichten würde. Das sieht die Widerspruchslösung aber nicht vor. Sie würde nur sicherstellen, dass jede entscheidungsfähige Person sich Gedanken machen muss über das, was nach dem eigenen Tod mit dem Körper passiert. Sie würde dafür sorgen, dass jeder Zugang zu seriösen und neutralen Informationen bekommt, auf deren Grundlage er sich seine eigene Meinung bilden kann.

Der Transplantationsskandal von 2012

Vor sieben Jahren kam zutage, dass es Ärzte gab, die die Akten ihrer Patienten manipulierten, damit die Patienten auf der Empfänger-Liste für Organspenden nach oben rutschten. Sie sollten dadurch schneller ein Spenderorgan bekommen.

Dieser Skandal hat möglicherweise mit dafür gesorgt, dass die Akzeptanz für die Organspende in der Bevölkerung sank. Immer weniger Menschen erklärten sich zu einer Spende bereit. Von 2012 bis 2017 sank die Zahl der Spender immer weiter, 2017 erreichte sie den Tiefstand: Gerade mal 797 Organspender kamen auf 10.107 Patienten, die eine Spende brauchten. Das waren nur 9,7 Spender pro eine Millionen Einwohner. Schlechter im internationalen Vergleich schneiden nur Griechenland, Bulgarien, Rumänien und Albanien ab.

2012 wurde das deutsche Transplantationsgesetz reformiert. Die Kontrollmechanismen wurden verschärft. Kein Arzt darf heute mehr allein über den Hirntod eines Patienten entscheiden.

Macht euch schlau!

Alle acht Stunden stirbt in Deutschland ein Mensch, weil wir nicht genug Spender haben. Ob man spenden will oder nicht, ist eine sehr persönliche Frage. Das nicht zu wollen, ist völlig in Ordnung. Man sollte sich nur wenigstens Gedanken darüber gemacht haben.

Hier könnt ihr euch informieren und einen Spenderausweis beantragen. Auch ein ausdrücklicher Widerspruch ist auf dem Ausweis möglich.

Contra

Laura (19): Aufklärung statt Zwang

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“. So lautet Artikel Eins des Grundgesetzes, unserer Verfassung. Unter die Menschenwürde fällt auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht. Aus diesem Recht wird unter anderem abgeleitet, dass jeder medizinische Eingriff vom Patienten gewollt sein muss. Niemand darf zum Beispiel gezwungen werden zum Arzt zu gehen, das ist eine persönliche Entscheidung.

Bei der Widerspruchslösung zur Organspende, wie sie aktuell im Bundestag diskutiert wird, wäre das anders. Der Patient könnte keine Zustimmung zum Eingriff mehr geben, denn er wäre bereits tot. Patienten, die zu Lebzeiten nicht ausdrücklich „Nein“ zur Organ-Transplantation gesagt haben, könnte somit ein Organ entnommen werden. Dann kann auch nicht mehr von einer Organspende gesprochen werden, denn Spenden beruhen auf Freiwilligkeit – und oft auch auf Freundlichkeit und Großzügigkeit. Das Entnehmen von Organen ohne ausdrückliche Zustimmung wäre somit eine Art Zwangsabgabe.

Nieren sind kein Allgemeingut

Die Entscheidung, ob man seine Organe spendet, kann aber nur nach reichlicher Überlegung getroffen werden, denn Nieren und Lebern sind nun einmal kein Allgemeingut, sondern ein Teil eines Körpers. Jeder Mensch hat das Recht, selbst darüber zu bestimmen, was nach seinem Tod damit passiert. Man kann allerdings nicht erwarten, dass jede und jeder sich so gut und fundiert über die Organspende informieren kann und will, dass er eine solch weitreichende Entscheidung treffen kann.

Zum einen gibt es religiöse Gründe, die gegen eine Entnahme sprechen, zum anderen auch ethische und persönliche Gründe, weshalb man sich gegen eine Spende entscheidet. Diese muss der Gesetzgeber respektieren. Man darf sich nicht einfach an Organen bedienen, ohne die Zustimmung der Toten zu haben. Ein Schweigen bedeutet noch lange kein Ja, sondern im Zweifel ein Nein. Im deutschen Rechtssystem darf Schweigen nicht als Ja ausgelegt werden – und so sollte es auch bei dem neuen Gesetz zur Organtransplantation sein.

Aufklärung statt Zwang

Organspenden retten leben. Doch man darf niemals die Spender vergessen, die sich nach reichlicher Überlegung bewusst für oder gegen eine Spende entscheiden. Der Gesetzgeber darf die Entscheidungsfreiheit jedes Einzelnen nicht in Frage stellen, indem die Widerspruchslösung eingeführt wird.

Vielmehr sollte das Vertrauen in das System der Organspende gestärkt werden, indem das System verbessert wird. Und die Bürger sollten ausführlich informiert werden – in den Schulen, Ämtern und bei öffentlichen Veranstaltungen in der ganzen Republik. Dann kann auch vielen kranken Menschen geholfen werden, die mit Hilfe der Organspende eine zweite Chance bekommen. Das Prinzip der Freiwilligkeit und der Entscheidungsfreiheit darf aber niemals in Frage gestellt werden. Die Menschenwürde steht eben an erster Stelle.

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