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Stephan Thomae (FDP) „Einwanderung ist auch Notwendigkeit“

Wer in Deutschland arbeiten und sich integrieren möchte, sollte dazu auch eine Chance bekommen, findet Stephan Thomae (FDP). Trotzdem hält er auch konsequentere Abschiebungen für wichtig. Mehr im Interview.

Porträt von Stephan Thomae

„Deutschland ist schon immer ein Einwanderungsland“, sagt Stephan Thomae von der FDP-Fraktion. Wenn man das akzeptiere, könne man die Situation aktiv gestalten. © Stephan Thomae

Chancen-Aufenthaltsrecht heißt das Gesetz, das am 2. Dezember verabschiedet wurde. Um welche Chancen geht es hier?

Durch das Gesetz sollen Menschen, die als Asylbewerber nach Deutschland gekommen und schon länger hier sind, eine Chance auf einen dauerhaften Aufenthalt bekommen. Dabei geht es um Menschen, die bisher abgelehnt worden sind, weil beispielsweise kein Asylgrund nach dem Asylgesetz vorliegt. Gleichzeitig konnten die Betroffenen aber auch nicht abgeschoben werden – etwa aus humanitären Gründen.

Wenn diese Menschen gut integriert sind, unsere Sprache gut beherrschen, nicht straffällig geworden sind, wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen und ihre Identität geklärt ist, sollen sie nach 18 Monaten Chancenaufenthalt eine Möglichkeit bekommen, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Denn viele würden gerne langfristig hier arbeiten oder eine Ausbildung machen, haben aber Schwierigkeiten, eine gute Stelle zu finden, weil sie jederzeit abgeschoben werden könnten. Insofern können diese Menschen nicht richtig auf dem deutschen Arbeitsmarkt ankommen und bleiben oft im Sozialsystem stecken.

Sie haben im Bundestag zu dem Thema gesprochen und betont, dass man Einwanderung ganz grundsätzlich auch als eine Notwendigkeit für Deutschland betrachten sollte. Warum?

Deutschland ist ein Einwanderungsland und ist auch eigentlich schon immer eines gewesen. Es gab zum Beispiel die Hugenotten, die Ende des 17. Jahrhunderts nach Deutschland gekommen sind, es gab Kohlearbeiter, die aus Polen hierherkamen, es gab die Gastarbeiter, die seit den 1950er Jahren aus Italien kamen.

Wir brauchen ein gewisses Maß an Einwanderung, weil die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland negativ ist. Das bedeutet: Die Zahl der Menschen in Deutschland nimmt eher ab, entsprechend werden uns künftig Arbeitskräfte fehlen. Es wird vor allem auch zu wenig junge Menschen geben, die das Rentensystem mittragen. Deshalb ist Arbeitskräfteeinwanderung eine Chance und eine Notwendigkeit.

Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass Deutschland sich als Einwanderungsgesellschaft versteht?

Nur wenn wir uns selbst als Einwanderungsland begreifen, können wir die Bedingungen und die Regeln, unter denen diese Einwanderung stattfindet, positiv gestalten. Dabei müssen wir auch die Frage klären, wen wir in Deutschland aufnehmen können und wen nicht. Oder welche Arbeitskräfte wir vielleicht auch aktiv anwerben wollen.

Die Asylverfahren dauern in Deutschland sehr lange. Warum ist das so?

Zunächst muss man zwischen dem Asylverfahren und dem Asylgerichtsverfahren unterscheiden. Das Asylgerichtsverfahren findet nur dann statt, wenn der Asylantrag abgelehnt wurde und der Asylbewerber dagegen klagt. Über diese Fälle entscheidet dann das Verwaltungsgericht. Ein Asylgerichtverfahren dauert derzeit im Schnitt 26 Monate. Denn es ist schwierig, alle Beweise und Informationen, die für die Entscheidung relevant sind, zusammenzutragen. Der Weg durch die Instanzen ist lang.

Wir wollen deshalb den Prozess beschleunigen, müssen aber gleichzeitig sicherstellen, dass den Klägern keine Rechte genommen werden. Außerdem wollen wir schon ansetzen, bevor es zu einem Gerichtsverfahren kommt: indem wir eine sogenannte behördenunabhängige Asylverfahrensberatung fördern. Diese gibt es beispielsweise schon in der Schweiz. Durch eine solche Beratung könnte sich der Asylbewerber besser darauf vorbereiten, welche Tatsachen er darlegen muss, wenn er zur Anhörung bei der Behörde erscheint. So könnten die Prozesse erheblich beschleunigt werden. Denn momentan ist es so, dass oft erst der Rechtsanwalt im Gerichtsverfahren die relevanten Tatsachen vorträgt.

Asylverfahren

  • Asylsuchende kommen in Deutschland zunächst in eine sogenannte Erstaufnahme-Einrichtung.

  • Die Einrichtung gibt einer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Bescheid.

  • Hier wird der Asylbewerber registriert und muss in einem Gespräch erzählen, warum er verfolgt wird. Wenn möglich, muss er Beweise vorlegen. Diese Anhörung entscheidet darüber, ob Schutz gewährt wird.

  • Wird der Antrag abgelehnt, muss der Bewerber ausreisen, sonst droht eine Abschiebung.

  • Asylbewerber können aber vor dem Verwaltungsgericht gegen die Ablehnung klagen. Dann ist die Rede von einem Asylgerichtsverfahren oder Klageverfahren.

Ein viel diskutierter Punkt im Gesetz war die Dauer der Abschiebehaft. Warum wird die verlängert?

Die Abschiebehaft dauert bislang in der Regel bis zu zehn Tage. Das ist für die Behörden oft zu kurz, um die behördlichen Vorgänge zu organisieren, also die entsprechenden Kontakte mit dem Heimatland aufzunehmen oder einen Flug zu buchen.

Deshalb wollen wir die Abschiebehaft auf bis zu vier Wochen maßvoll verlängern. Bei den Betroffenen handelt es sich um ausreisepflichtige Ausländer. Sie können also jederzeit entscheiden, selbstständig auszureisen und ihre Haft somit beenden.

Hätte eine solche längere Abschiebehaft zur Folge, dass Abschiebungen konsequenter durchgeführt würden?

In vielen Fällen sind zehn Tage einfach zu kurz. Die verlängerte Abschiebehaft wird Rückführungen unterstützen. Ich möchte noch einmal betonen: Es geht dabei um Menschen, die ausreisen müssen und keine Bleibeperspektive in Deutschland haben. Die Rückführung in die Herkunftsländer ist die Durchsetzung dieser Ausreisepflicht, wenn ein abgelehnter Asylbewerber seiner Pflicht zur Ausreise nicht freiwillig nachkommt.

Das Gesetz sieht auch Veränderungen für junge Leute vor. Inwiefern ändert sich die Lage für Jugendliche und junge Erwachsene?

Viele junge Menschen kommen eigentlich zu uns, weil sie hier arbeiten wollen. Den unter 27-jährigen, die sich gut integriert haben, wollen wir die Möglichkeit geben, bei uns zu bleiben. Denn sie sind nach Deutschland gekommen, um hier ein besseres Leben zu führen, hier zu arbeiten, sich etwas aufzubauen. Das ist doch eigentlich eine positive Botschaft und genau das, was wir suchen. Es wäre sinnlos, diese jungen Leute wieder wegzuschicken, wenn wir hier dringend Arbeitskräfte brauchen. Voraussetzung ist natürlich immer eine geklärte Identität und Integrität, also Straffreiheit.

In dem Zusammenhang wird häufig kritisiert, dass es bei dieser Gruppe von Menschen vor allem um junge Männer geht. Stimmt das?

Wer zu uns kommt, um seinen Beitrag zum Gelingen dieser Gesellschaft zu leisten, dem sollten wir einen roten Teppich ausrollen – egal, ob Mann oder Frau.

Zur Person

Stephan Thomae wurde 1968 in Kempten, im Allgäu, geboren. Nach der Schule studierte er Geschichte und Rechtswissenschaften in München und Speyer. Sein Rechtsreferendariat machte Thomae in Kempten und an der deutsch-indischen Handelskammer in Delhi und Kalkutta und ist sei 1998 Rechtsanwalt. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.

(Mira Knauf)

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