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Experteninterview „Wahlkampf ist immer Zuspitzung“

Laura Heyer

Junge Menschen machen nicht so oft von ihrem Wahlrecht Gebrauch, wie sie könnten, sagt Thorsten Faas. Im Interview erklärt der Politikwissenschaftler, welche Rolle Erstwähler bei der Bundestagswahl spielen und warum es bei den Umfragen munter rauf und runter geht.

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Den Parteien muss es über Social Media gelingen, Menschen zu erreichen, sagt Thorsten Faas. © Bernd Wannenmacher

Herr Faas, bei der Bundestagswahl dürfen etwa 2,8 Millionen junge Leute zum ersten Mal wählen. Was weiß die Forschung über Erstwählerinnen und Erstwähler und deren Verhältnis zu Parteien?

Erstwählerinnen und Erstwähler sind eine sehr spannende Gruppe, denn sie werden unsere Demokratie über viele Jahre und Jahrzehnte prägen. Daher bemühen sich Parteien oft gezielt um die Ansprache dieser Gruppe. Das ist auch notwendig, wenn man sich etwa den Zusammenhang zwischen Alter und Wahlbeteiligung anschaut. Auch wenn uns die Jugend aktuell durch die Medien sehr politisch erscheint, ist Wählen für sie keine Selbstverständlichkeit.

Wie meinen Sie das?

Junge Menschen machen tatsächlich nicht so häufig von ihrem Wahlrecht Gebrauch, wie sie könnten. Diese Entwicklung gibt es aber schon länger. Das hat sicher auch damit zu tun, dass man als junger Mensch erst einmal in ein politisches System reinwachsen und sich mit allem vertraut machen muss.

Es gibt aber nicht die eine Partei, die bei jungen Menschen besonders beliebt ist. Eine Tendenz zu den Grünen ist in den letzten Jahren zu erkennen. Insgesamt sind junge Wählerinnen und Wähler aber offener für Themen, was bei Wahlen zu einer neuen Dynamik führen und für frischen Wind sorgen kann.

In den Umfragen geht es für die Parteien munter rauf und runter – wie ist das zu erklären?

Grundsätzlich ist diese Dynamik auch ein Trend, der sich schon länger abzeichnet. In der Wahlforschung spricht man von Volatilität. Die hängt einerseits damit zusammen, dass die Bindekraft der Volksparteien nachgelassen hat. Es gibt weniger Menschen, die sagen, dass sie eine klare politische Heimat haben. Das kann man vielleicht mit dem Zughörigkeitsgefühl zu einem Fußballclub vergleichen. Die Idee, dass eine Partei die eigene Identität bestimmt, gibt es immer weniger. Und mit Angela Merkel fällt in diesem Jahr zum ersten Mal eine konkrete Persönlichkeit weg, die für viele Menschen bei den zurückliegenden Wahlen auch ein immer gleicher Bezugspunkt war.

In den letzten Wochen haben sich außerdem die Themen, über die diskutiert wird, sehr häufig verändert. Es ging um Corona, um den Klimawandel oder die schwere Flutkatastrophe. Und jede Partei wird bei diesen Themen mehr oder weniger kompetent gehalten und steigt oder sinkt in den Umfragen. Auch kurz vor der Wahl kann ein neues Thema aufkommen, das dann ganz kurzfristig Auswirkungen auf die Wahl hat.

Wer der neue Kanzler oder die neue Kanzlerin wird, ist völlig offen. Was bedeutet das für den Wahlkampf?

Positiv könnte man sagen, dass wir gerade sehr viel Dynamik sehen – negativ könnte man von Unvorhersehbarkeit sprechen. Ob am Ende am Wahltag Personen den Ausschlag geben oder aber dieses Thema oder jenes, das wissen wir heute noch gar nicht. Denn es gibt ja keine amtliche Instanz, die sagt, welche Themen für Deutschland wichtig werden. Das entscheidet jeder und jede am Ende für sich. Dazu gehören Personen, Themen, aber natürlich auch die Frage, in welcher Koalition die Regierung stattfinden wird. Menschen wollen wissen, wer uns eigentlich in Zukunft regiert. Und mit diesen Unsicherheiten müssen Parteien, Medien und Wähler umgehen.

Welche Rolle spielen Soziale Medien im Wahlkampf und was bedeutet das für die Parteien?

Wir haben jetzt schon mehrere Wahlen gesehen, bei denen die Sozialen Medien im Fokus standen, aber am Ende keine so entscheidende Wirkung hatten. Die Aufgabe für Parteien ist gerade vor allem, in Sozialen Medien präsent zu sein und die Menschen zu erreichen. Denn online kann ich mir die Dinge zusammenstellen, die ich sehen möchte. Wenn ich aber kein politisches Interesse habe, komme ich dort auch weniger mit diesen Themen in Berührung.

Gleichzeitig hängen vielerorts Wahlplakate. Wen erreicht man damit?

Man kann den Plakaten eigentlich nicht entgehen und daher erfüllen sie auch eine Funktion und erreichen Menschen. Allein, dass wir darüber reden, zeigt ja schon, dass sie Menschen erreichen. Sie führen dazu, dass uns aktuell Politik überall begegnet. Sie sagen quasi den Wählerinnen und Wählern, dass sie sich jetzt langsam mal entscheiden und mit den Themen und Parteien auseinandersetzen muss.

Die Parteien schreiben dicke Wahlprogramme. Werden die überhaupt gelesen?

Es gibt nicht nur das große Wahlprogramm, sondern oft auch kurze Zusammenfassungen. Einen Wahlkampf führt man ja nicht auf hundertseitigen Wahlprogrammen. Sie dienen eher in den Parteien selbst dazu, die eigenen Punkte noch einmal zu festigen. Aber die Wähler entscheiden sich nicht aufgrund von Wahlprogrammen. Sie entscheiden sich für Gesichter, für Themen und aufgrund bestimmter Ereignisse – und das ist auch ok. Denn das steht nicht in Widerspruch zueinander. Wahlkampf ist immer Verkürzung und Zuspitzung.

Es gibt dieses Jahr viele neue Parteien und kleine Wählervereinigungen. Wie nehmen Sie dieses Phänomen wahr?

Das setzt einen Trend fort, den wir schon länger sehen. Große Gruppen, wie auch die Kirche oder Gewerkschaften, verlieren an Bindekraft und das schafft einen Anreiz für kleine Parteien, sich zu etablieren.

Aus demokratischer Sicht entsteht dadurch natürlich ein Konflikt, bei dem zwei Ziele miteinander ringen. Auf der einen Seite ist es wünschenswert, wenn es viele Parteien gibt – denn jede Wählerin und jeder Wähler kann so für sich die fast optimale Partei finden. Auf der anderen Seite braucht es in der Demokratie aber Mehrheiten, um verbindliche Ziele zu erreichen. Menschen sollen sich einbringen und sich gut vertreten fühlen, aber auf der anderen Seite soll die Demokratie natürlich handlungsfähig sein und zu guten Ergebnissen führen.

Mit vielen Parteien in einem Parlament ist es oftmals sehr schwierig, Mehrheiten zu finden. Deswegen gibt es auf Bundesebene die Fünf-Prozent-Hürde – nur Parteien, die mehr als fünf Prozent der Stimmen (oder drei Direktmandate) bekommen, können in den Bundestag einziehen. Hier wird auch die Idee dieser Regelung deutlich: Es sollen zwar alle antreten dürfen, aber am Ende eben nur die Parteien mit einer gewissen Mindestgröße im Parlament vertreten sein.

Mehr über Prof. Dr. Thorsten Faas

Prof. Dr. Thorsten Faas ist seit Oktober 2017 Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

(lau)

Zur Person

Mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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