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Meinungsforschung „Nicht wie Wetterprognosen“

Laura Heyer

Im heute journal, der Tagesschau oder anderen Nachrichtensendungen gibt es regelmäßig Berichte über die politische Stimmung. Wie kommen die Zahlen zustanden und wer macht sie? Laura hat sich ein Meinungsforschungsinstitut mal genauer angeschaut.

Leinwand mit Wahlprognosen

Am Tag der Wahl warten alle immer gespannt auf die Prognosen. Hier bei der Bundestagswahl 2017 in der CSU Landesleitung.©picture alliance / SvenSimon / FrankHoermann/SVEN SIMON

„Herzlich Willkommen zum ZDF-Politbarometer“. So begrüßt Journalist Matthias Fornoff alle zwei Wochen die Fernsehzuschauer. In den kommenden zwei bis drei Minuten berichtet er, wie die politische Stimmung gerade so ist hierzulande: Welche Parteien würden die Menschen wählen, wenn kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre? Wie beliebt ist welcher Politiker? Und wie schätzen die Menschen die aktuelle Politik der Regierung ein?

Besonders vor Wahlen, wie den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz oder in Baden-Württemberg am 14. März 2021, sind solche Fragen nach der politischen Stimmung spannend. Aber woher kommen die Ergebnisse dieser Umfragen eigentlich? Und wie kommen sie dann ins Fernsehen und ins Netz? Dazu haben wir uns einmal die Forschungsgruppe Wahlen angeschaut, die Meinungsumfragen unter anderem für das ZDF durchführt.

Meinungsforschung – was ist das eigentlich?

Welche Ansichten, Einstellungen, Stimmungen oder Wünsche die Bevölkerung hat, finden Demoskopen heraus (von altgriechisch démos „Volk“, skopeín „spähen“). Dazu werden einmalig oder auch über einen längeren Zeitraum Befragungen durchgeführt. Neben der Meinungsforschung gibt es auch die Marktforschung, die zum Beispiel etwas über das Kaufverhalten von Menschen herausfinden will.

Aber was machen Meinungsforscher denn nun genau? „Wir fragen die Leute nach ihren Meinungen zur Politik und die Antworten veröffentlichen wir dann“, erklärt mir Matthias Jung. Er ist einer der Chefs der Forschungsgruppe Wahlen und ausgebildeter Ökonom. Das „Institut für Wahlanalysen und Gesellschaftsbeobachtung“ existiert seit 1974 als eingetragener Verein. Die Hauptaufgabe der Forschungsgruppe Wahlen e.V. ist die wissenschaftliche Beratung und Betreuung von Wahlsendungen im ZDF.

Portraitfoto

Matthias Jung ist eines von drei Vorstandsmitgliedern der Forschungsgruppe Wahlen. ©privat

Wer mischt mit?

Der Verein zählt zu einem der sieben bekanntesten Meinungsforschungsinstituten in Deutschland. Daneben gibt es noch Infratest Dimap, die mit der ARD zusammenarbeiten, forsa für RTL, Emnid für die Zeitung Welt, Ipsos oder etwa das Institut für Demonskopie in Allensbach. Häufig werden solche Umfragen von Medienanstalten beauftragt.

Umfragen können helfen, die politische Stimmung im Land einzuschätzen. Das ist sinnvoll für die Parteien, um zu sehen, wie sie in der Gunst der Wähler stehen. Aber auch den Medien kann es helfen, die Stimmung im Land zu kennen. „Wichtig ist jedoch vor allem, dass die Ergebnisse zeitnah veröffentlich werden“, erklärt mir Matthias Jung. Denn Umfragen messen, was Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt denken – und diese Einstellung kann sich gerade vor einer Wahl schnell ändern.

Enger Zeitplan

Deshalb ist der Zeitplan bei der Forschungsgruppe Wahlen sehr eng getaktet. Das Politbarometer erscheint meist alle zwei Wochen – oft werden die ersten Werte schon morgens im ZDF-Morgenmagazin bekanntgegeben. Drei Tag vorher rufen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Forschungsgruppe Wahlen dann Menschen in ganz Deutschland an und fragen sie nach ihrer Meinung. Im Büro in Mannheim und im Homeoffice sitzen über 300 Mitarbeiter, die versuchen, 1000 bis 2000 Menschen zu befragen, um ein möglichst umfangreiches Bild zu bekommen. Und das kann dauern: Denn durchschnittlich ist nur jeder Dritte nicht zu erreichen oder legt einfach auf, weil er nicht befragt werden will, erklärt mir Matthias Jung.

Bis 21 Uhr am letzten Tag der Umfrage werden noch Daten erhoben. In der Nacht werten dann Mathematiker und Journalisten die Daten aus. Sie gewichten, was sie gerade für besonders spannend halten, erstellen Grafiken und leiten sie weiter ans ZDF, damit sie morgens im Fernsehen präsentiert werden können.

Repräsentative Umfragen

So ein Fragebogen hat bis zu 60 Fragen, die im Fall der Forschungsgruppe Wahlen mit dem ZDF abgestimmt werden. Manche kommen immer wieder vor, wie zum Beispiel die Sonntagsfrage: „Wen würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre?“ oder die Frage, wer zu den wichtigsten Politikern zählt. Aber es gibt auch immer aktuelle Fragen, zum Beispiel zu den Corona-Maßnahmen.

Wichtig ist dabei, dass die Umfragen repräsentativ sind. Das heißt, durch eine kleine Stichprobe muss man einen Rückschluss auf die gesamte Gesellschaft ziehen können. Deshalb muss gewährleistet sein, dass jeder die gleiche Chance hat, befragt zu werden. Um das zu ermöglichen, ruft die Forschungsgruppe Wahlen zufällig Telefonnummern aus allen eingetragenen Festnetzanschlüssen an. Damit auch die vorkommen, die nicht im Telefonbuch stehen, werden die letzten drei Ziffern von einem Algorithmus angepasst. In einem Haushalt mit mehreren Personen wird dann noch einmal ausgewählt: Befragt wird, wer von den Wahlberechtigten als letzter Geburtstag hatte.

Mehr über die Forschungsgruppe Wahlen

Die Forschungsgruppe Wahlen e. V. (FGW) ist ein Institut für Wahlanalysen und Gesellschaftsbeobachtung mit Sitz in Mannheim. Hauptaufgabe ist die wissenschaftliche Beratung und Betreuung von Wahlsendungen des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF), besonders im Format "ZDF-Politbarometer".

Kritik am System

Klingt alles recht logisch. Aber sagen die Leute denn auch immer wirklich ihre Meinung am Telefon? Und warum ist das Ergebnis bei Wahlen am Ende dann doch oft anders? Genau diese zwei Aspekte sind große Kritikpunkte an der Wahlforschung. „Es ist schon eine Bekenntnisbereitschaft bei den Menschen da“, sagt Matthias Jung. Was er damit meint: Meist sagen die Menschen in der Umfrage schon recht genau, wen sie wählen und was sie meinen. Aber es gibt eben auch Ausnahmen. Beispiel AfD: Gerade als die Partei noch unbekannter war, im Wahlkampf 2016, gaben in den Umfragen wesentlich weniger Menschen an, die AfD wählen zu wollen. Diese Zahl der Personen, die man nicht statistisch erfassen kann, nennt man Dunkelfeld.

Das gesteht auch der Wahlforscher ein. „In solchen Fällen passen wir aber unsere Instrumente empirisch an“, sagt Jung. Die Forscher schauen also, was die Menschen in den Umfragen sagen und wen sie am Ende wirklich wählen. Daraus ergibt sich ein Faktor, der in neue Umfragen mit einberechnet wird. Daher geht Jung davon aus, dass die aktuellen Umfrageergebnisse der AfD sich sehr gut mit dem tatsächlichen Stimmungsbild im Land decken.

Für jeden einsehbar

Wem das zu ungenau ist, der kann auf der Seite der Forschungsgruppe Wahlen die sogenannten Rohdaten einsehen und herunterladen. Das sind die exakten Daten der Befragung, die noch nicht mit Werten verrechnet und in Statistiken umgesetzt wurden. „Wir sind der Meinung, dass das Ansehen der Branche am besten zu gewährleisten ist, wenn maximale Transparenz vorhanden ist“, erklärt mir Matthias Jung das Vorgehen.

„Umfragen sind nicht wie Wetterprognosen“, sagt der Forscher. Denn: Prognosen sagen die Zukunft voraus, Umfragen bilden immer nur die Meinung der befragten Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt ab. Viele Menschen interpretieren sie aber als Prognose, also eine Aussage darüber, was in der Zukunft, zum Beispiel im Herbst bei der Bundestagswahl passieren wird. Das ist tatsächlich ein Problem, gibt auch Matthias Jung zu bedenken.

Ob die Menschen skeptischer geworden sind in den letzten Jahren gegenüber Umfragen und der Meinungsforschung? „Kritik gibt es immer“, sagt Matthias Jung. Aber die Aggressivität, besonders in Nachrichten an die Wahlforscher, habe schon zugenommen. Auf der anderen Seite interessierten sich aber wieder mehr Menschen für Politik. „Bei den letzten Landtagswahlen hat sich gezeigt, dass die Wahlbeteiligung zugenommen hat“, so Jung.

Eine Prognose für die Bundestagswahl kann das aber natürlich nicht sein. Wie es wirklich kommt, sehen wir dann im September.

(lh)

Zur Person

Mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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