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Sängerin Annika Mendrala „Lasst euch das nicht bieten“

Sängerin Annika Mendrala hat oft erlebt, dass Männer besser bezahlt werden als sie. Warum die Arbeit in ihrer Branche nicht mit Familie vereinbar ist und was das mit dem Gender Pay Gap zu tun hat, erklärt sie im Interview.

Porträt von Annika Mendrala

„Die Gender-Pay-Gap-Debatte wird erst so richtig in Fahrt kommen, wenn die Männer sich daran beteiligen“, sagt die Sängerin Annika Mendrala. © Lena Kern

Der Begriff Gender Pay Gap bezeichnet die Tatsache, dass Frauen häufig weniger verdienen als Männer in denselben Berufen. Ist das ein besonders großes Problem im Kultursektor?

Ja, das kann man schon so sagen. Im Durchschnitt der Gesellschaft liegt der Gender Pay Gap bei 18 Prozent. Im Kultursektor haben wir aber einen bis zu 30-prozentigen Gap.

Und dafür gibt es verschiedene Gründe. Wie überall tappen die Frauen nach der Familiengründung in die Teilzeitfalle, arbeiten weniger und bekommen so bestimmte Karrierechancen nicht. Aber sie werden auch bei der Vergabe von Führungspositionen häufig übergangen. Und: Gehälter im Kultursektor sind fast immer Verhandlungssache und Frauen lassen sich leider immer noch einschüchtern und verlangen nicht genug Gehalt.

Dazu kommt, dass es in einigen Bereichen in der Kulturbranche einen Frauenüberschuss gibt. Viel Konkurrenz bedeutet in der Regel, dass man im Preis runtergehandelt werden kann.

Gibt es neben der Bezahlung noch andere Bereiche, in denen Frauen in Kunst und Kultur Nachteile erleben?

Ich habe mit Verena Usemann den Verein Bühnenmütter e.V. gegründet und wir haben in der Pilotstudie des Vereins die Situation von Bühnenkünstlerinnen mit Kindern untersucht. Hier hat sich gezeigt, dass Frauen durch die Mutterschaft einen Imagewandel als Künstlerin in der Kulturbranche erleben.

Es gibt das Image der freien Künstlerin, die in der Kunst aufgeht und von Luft und Liebe lebt. In deren Leben spielen alltägliche Dinge wie Gehalt, Versicherungen und Steuererklärungen keine große Rolle. Eine Frau mit einem Kind entspricht diesem Bild aber nicht mehr, denn plötzlich entsteht neben der Kunst ein anderer wichtiger Bereich im Leben der Frau. Oft werden Mütter dann wie Künstlerinnen zweiter Klasse behandelt. Zum Beispiel sollen Regisseurinnen plötzlich nur noch theaterpädagogische Produktionen für Kinder inszenieren. Oder Darstellerinnen werden nicht mehr für die junge Heldin gecastet, weil sie nicht mehr als sexy und jung gelten.

Nicht gern gesehen ist auch, dass Mütter nicht mehr ständig verfügbar sind. Denn wer am Theater beschäftigt ist, muss normalerweise von 10 bis 14 Uhr und von 18 bis 22 Uhr zur Probe kommen. Diese Abendproben lassen sich aber schlecht mit Kindern vereinbaren, es sei denn, man hat Babysitter, Partner oder Familie, die jeden Abend einspringen können. Sobald man alleinerziehend ist, geht dieses Modell aber gar nicht mehr auf oder man muss Kredite aufnehmen, um etwa die Kosten für Babysitter zu tragen. All das führt oft dazu, dass viele Frauen sich nach und nach aus dieser Berufswelt zurückziehen, wenn sie Kinder bekommen.

Haben Sie persönliche Erfahrungen mit Ungerechtigkeiten zwischen Männern und Frauen gemacht?

Ich habe oft erlebt, dass Männer besser bezahlt wurden als ich. Beispielsweise bekommen Tenöre grundsätzlich mehr Geld als ich, denn ich singe Sopran und Tenöre sind seltener.

Wird unter Konzert- und Schauspielkollegen denn offen darüber gesprochen, dass unterschiedlich bezahlt wird?

Nein, leider nicht und das ist Teil des Problems. Es gibt beim Theater oft Schweigeklauseln in den Verträgen, weil die Theater die Gagen deckeln und nicht möchten, dass über Gehälter geredet wird, damit keine Unruhen entstehen. Diese Klauseln sind aber rechtlich gar nicht bindend. Nur wissen das die meisten nicht.

Ich finde, Theater müssen sich viel transparenter aufstellen. Es müsste klar sein, wer wieviel wofür bekommt: vom Intendanten oder Generalmusikdirektor über die Bühnenbildner bis hin zur technischen Leitung. Dann würde sich meiner Meinung nach sehr viel ändern. Und jeder würde ganz klar sehen, dass Frauen viel schlechter bezahlt werden als Männer.

Was können Ihre Kollegen und Kolleginnen tun, um für gerechtere Verhältnisse im Kulturbereich zu sorgen?

Die Gender-Pay-Gap-Debatte wird erst so richtig in Fahrt kommen, wenn die Männer sich daran beteiligen und beispielsweise sagen: „Ich finde es ungerecht, dass meine Kollegin ein Drittel weniger bekommt als ich.“

Ein besonders guter und seltener Tenor oder Bass bekommt für eine Vorstellung unter Umständen 6.000 Euro. Eine junge Sopranistin, die gerade von der Hochschule kommt, bekommt für die gleiche Vorstellung 300 Euro. Es ist klar, dass jemand, der Erfahrung und Talent hat, gut bezahlt wird, aber es muss verhältnismäßig bleiben.

Ich hoffe, dass nach und nach alle Frauen sich erheben und helfen, die Gesellschaft umzukrempeln. Und an alle jungen Mädchen da draußen: Ich hoffe sehr, dass ihr euch das später nicht mehr bieten lasst und euch klar macht, dass ihr mindestens die Hälfte vom Kuchen verdient habt.

Was wünschen Sie sich von der Politik, damit sich gerechtere Strukturen in den Berufen im Kultursektor etablieren lassen?

Ich finde es zum einen unmöglich, dass es im Bundestag immer noch eine männliche Mehrheit gibt. Es sollte gesetzlich geregelt werden, dass Frauen und Männer in gleichen Anteilen vertreten sind.

Außerdem sollten alle Abgeordneten jederzeit Elternzeit nehmen können, um zu verstehen, was Care-Arbeit bedeutet. MdBs müssen die Freiheit haben, Beruf mit Familie zu vereinen, denn so wird man auch mehr Frauen in den Bundestag bekommen. Ich halte es für problematisch, dass die Abgeordneten so übermäßig viel arbeiten, dass sie nicht mehr am normalen Leben teilnehmen können. Denn dadurch erfahren sie bestimmte Dinge nicht am eigenen Leib. Es reicht nicht, mit Wählern auf dem Marktplatz zu sprechen. Man muss mit seinem Kind am Alltag teilnehmen und zum Beispiel auch mal zum Sportclub oder Musikunterricht am Nachmittag gehen oder Arztbesuche und den Einkauf erledigen.

Und ich glaube, dass Kultur-Politik langsam und durchdacht stattfinden muss. Ich denke, dass Gelder im Kultursektor nicht in erster Linie an Wirtschaftlichkeit, sondern an faire Arbeitsbedingungen geknüpft sein sollten. Wir als Bühnenmütter e.V. wollen beispielsweise mit Theatern zusammen ein Familiensiegel entwickeln. So wollen wir zeigen, dass man die Strukturen auch anders gestalten kann, so dass sie nicht familienfeindlich sind und Theater auszeichnen, die sich diesen Herausforderungen stellen und Änderungen angehen.

Zur Person

Annika Mendrala

Annika Mendrala ist in Hamburg geboren und studierte Gesang und Gesangspädagogik an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. Sie arbeitet als freischaffende Sängerin und Gesangspädagogin und leitet das Vokalwerk Hamburg, sowie den Weiterbildungsstudiengang CAS Singstimme an der Hochschule der Künste Bern. Sie ist Gründerin des Bühnenmütter e.V., der sich für familienfreundlichere Strukturen in Theaterberufen einsetzt.

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