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Cellist Isang Enders „Kinderbetreuung wäre eine Revolution“

Konzerte und Theaterstücke finden abends statt: Für Kinderbetreuung gehe so oft ein Großteil des Monatsgehalts von Kulturschaffenden drauf, sagt Cellist Isang Enders. Arbeitgeber müssten mehr Verantwortung übernehmen.

Porträt von Isang Enders

„Vergütung darf nicht vom Geschlecht oder anderen Eigenschaften der Kulturschaffenden abhängen“, fordert der Cellist Isang Enders. Mehr Transparenz bei Gehältern könnte dabei helfen. © VingiNg

Der Begriff Gender Pay Gap bezeichnet die Tatsache, dass Frauen häufig weniger verdienen als Männer in denselben Berufen. Ist das ein besonders großes Problem im Kultursektor?

Im Kultursektor wird ein Gender Pay Gap von bis zu 30 Prozent zwischen den beiden Geschlechtern vermutet. Wie überall in der Gesellschaft gibt es auch in der Kulturbranche patriarchale Strukturen, also Strukturen, die über lange Zeit gewachsen sind, bei denen Männer mehr Einfluss und Macht haben. Besonders für Frauen ist das eine schwierige Ausgangssituation.

Ein großes Problem besteht darin besteht, dass wir oft den Wert von Arbeit an dem messen, was dafür gezahlt wird. Frauen verdienen weniger Geld. Viele Leute schließen daraus, dass sie wohl auch weniger leisten oder schlechter in dem sind, was sie machen. Das ist meiner Meinung nach eine Art des Opfer-Shamings – die Schuld für die Situation wird den Frauen zugeschrieben.

Gibt es neben der Bezahlung noch andere Bereiche, in denen Frauen in Kunst und Kultur Nachteile erleben?

Ich selbst bin in Teilzeit alleinerziehender Vater, deshalb möchte ich die Frage für alle Geschlechter beantworten. Eine Tätigkeit im Kultursektor ist so gut wie nie mit Familie vereinbar. Die Arbeitsrealität passt einfach nicht zum Leben einer Familie. Meines Wissens wird so gut wie nie Kinderbetreuung angeboten, selbst bei großen Arbeitgebern wie Konzerthäusern nicht.

Kein Kindergarten und keine Ganztagsschule ist um 22 Uhr noch geöffnet, aber viele Künstler arbeiten genau dann. Ein Babysitter für einen Abend kann schnell 100 Euro kosten. Bei den niedrigen Gehältern kann ein Drittel oder mehr des Monatsgehalts dafür draufgehen.

Sicherlich kann man nicht grundlegend etwas an den Vorstellungszeiten ändern, denn niemand kann vormittags unter der Woche eine Oper besuchen. Aber trotzdem sollten wir hinterfragen, ob die Arbeitgeber nicht mehr Verantwortung übernehmen müssen.

Haben Sie persönliche Erfahrungen mit Ungerechtigkeiten zwischen Männern und Frauen gemacht?

Aktuell gibt es viele Regelungen, die zum Ziel haben, beispielsweise mehr Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Bei gleicher Qualifikation werden also Frauen bevorzugt. Das finde ich in erster Linie gut. Als Mann bin ich dadurch manchmal persönlich benachteiligt. Anders geht es nicht, wenn wir die Strukturen wirklich nachhaltig ändern wollen. Das erkenne ich an.

Trotzdem sehe ich, dass Frauen weniger Privilegien haben als fast jeder Mann – und da sind andere Merkmale, die es Frauen zusätzlich schwer machen können –Hautfarbe, Herkunft oder Behinderungen – noch nicht einmal miteinbezogen.

Was können Ihre Kollegen und Kolleginnen tun, um für gerechtere Verhältnisse im Kulturbereich zu sorgen?

Wir sollten uns in unserer Branche allesamt darüber einig werden, dass die geleistete Arbeit vergütet wird. Und das Vergütung nicht vom Geschlecht oder anderen Eigenschaften der Kulturschaffenden abhängen darf.

In der Szene der freischaffenden Künstler müssen wir mehr Transparenz beim Thema Vertragsverhandlungen und Gehältern einfordern. Der Druck auf die Verantwortlichen muss so groß werden, dass eine gleiche Bezahlung für alle ganz selbstverständlich wird.

Was wünschen Sie sich von der Politik, damit sich gerechtere Strukturen in den Berufen im Kultursektor etablieren lassen?

Ich wünsche mir, dass die Politik die Gesellschaft noch mehr für die Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern sensibilisiert. Außerdem sollten Frauenbeauftrage, wie es sie schon vielfach gibt, zu richtigen Gerechtigkeitsanwältinnen und -anwälten aufgewertet werden. Ich stelle mir vor, dass sie dann mehr Entscheidungskompetenzen bekommen oder beispielsweise auch abmahnen können.

Im Kultursektor denke ich, dass anonymisiert veröffentlichte Gehaltslisten von Theaterproduktionen ein Weg zu mehr Transparenz sein könnten. Wenn es eine finanzielle Unterstützung der Kulturstätten gäbe, sodass dort Kinderbetreuung ermöglicht würde, wäre das fast eine Revolution. Für Freischaffende könnte es zusätzlich zum Gehalt ein Budget für die Kinderbetreuung geben.

Aber ich möchte als Kulturschaffender nicht unbedingt auf die Politik warten und lieber selbst die Welt mitgestalten, in der wir arbeiten.

Zur Person

Isang Enders

Isang Enders wurde 1988 in Frankfurt am Main geboren. Im Alter von neun Jahren entdeckte er das Cello. Später studierte er an der der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main und an der Musikhochschule Saarbrücken. Mit 20 unterbrach Enders das Studium für das Engagement als „1. Konzertmeister der Violoncelli“ der Sächsischen Staatskapelle Dresden. 2012 verließ er Dresden und unterrichtete für zwei Jahre mit einer Vertretungsprofessur in Frankfurt am Main. Anschließend begann er als Solist zu arbeiten und zog nach Berlin, wo er sein Studium abschloss.

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