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Carsten Müller (CDU/CSU) „Telegram ist wichtig für Geflüchtete“

Telegram ist umstritten. Einerseits wird der Messanger für illegale Machenschaften genutzt. Andererseits hilft er Ukrainern, sicher mit ihren Familien zu kommunizieren. Wie sollte die Politik mit der App umgehen? Das haben wir Carsten Müller (CDU) gefragt.

Portrait Carsten Müller

„Verfolgen vor Löschen“, das sei der richtige Grundsatz, wenn es um strafbare Inhalte auf Social Media geht, findet Carsten Müller. Allein durch Löschen könne man illegalen Äußerungen nicht Herr werden.© Tobias Koch

Die Nutzer-Zahlen von Telegram nehmen in Deutschland zu. Sehen Sie darin ein Problem?

Darin, dass ein Messenger-Dienst beliebt ist, sehe ich zunächst erst einmal kein Problem. Problematisch können die Inhalte sein.

Telegram gilt vielen als dubiose Plattform für Desinformationen und illegale Machenschaften. Im Ukraine-Krieg ist das Netzwerk eine wichtige Informationsquelle für Ukrainer und Russen. Kann die App im Kampf gegen autoritäre Regime wichtig sein?

Ich tue mich mit einem pauschalen Ja oder Nein sehr schwer. Aber wir stellen momentan schon fest, dass Telegram für die Geflüchteten aus der Ukraine in der Kommunikation mit ihren Angehörigen wichtig ist. Das bekomme ich direkt mit, da ich eine Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen habe. Sie hat mir berichtet, dass Telegram für sie ein Kanal ist, von dem sie das Gefühl hat, dass er sicher und zuverlässig funktioniert. Das bestätigen auch andere Geflüchtete, mit denen ich zu tun habe. Dieser Eindruck scheint auf Erfahrungswerten zu basieren.

Im Gegensatz dazu gibt es wohl ukrainische Telekommunikationsanbieter, die von russischer Seite gehackt worden sind. Das ist vor allem aus zwei Gründen problematisch: Zum einen funktioniert die Kommunikation mitunter einfach nicht. Zum anderen geht es auch um die mögliche Auswertung von Telekommunikation und Standortdaten aus militärischer Sicht – ein Risiko für die Menschen an der Front.

Aus diesem Sachverhalt eine generelle Aussage über Telegram abzuleiten, ist aber nicht möglich.

Strafbare Inhalte werden derzeit auf Telegram nicht gelöscht. Daher wird debattiert, ob ein Gesetz, das Social Media-Plattformen genau dazu verpflichtet, auch auf Telegram angewandt werden soll: das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Eine gute Idee?

Ich habe mich in der Bundestagsdebatte dagegen ausgesprochen. Das NetzDG erfasst derzeit Plattformen, die Postings ermöglichen. Diese Plattformen haben für mich den Charakter einer digitalen oder elektronischen Wandzeitung.

Nicht erfasst werden Kommunikationsnetzwerke, also Messenger-Dienste. Wir haben im NetzDG eine relativ scharfe Trennung zwischen Social-Media-Plattform und Kommunikationsnetzwerken vorgenommen. Und trotzdem bleibt die Abgrenzung schwierig.

Ein Beispiel: Bei Whatsapp hat man die Möglichkeit, Nachrichten zu schicken und Gruppen in begrenzter Größe anzulegen. Aber bei Whatsapp hat man auch die Möglichkeit, eine Statusmeldung zu posten. Diese Statusmeldung kann nicht mehr ganz klar als Individualkommunikation zwischen Sender und Empfängern definiert werden, sondern könnte auch als Posting gelten. Wir befinden uns also in einer Mischkategorie.

Nochmal zurück zu Telegram. Was spricht gegen eine Ausweitung des NetzDGs?

Ich halte es für den falschen Weg, das Gesetz auf Telegram auszuweiten. Es wäre rechtlich unsauber zu sagen, dass das NetzDG für alle Netzwerke gilt, die den Charakter einer digitalen Wandzeitung haben, und im Bereich der Messenger-Dienste gilt es zusätzlich exklusiv für Telegram.

Wir haben uns in Deutschland aus guten Gründen darauf verständigt, dass die Kommunikationsüberwachung besonders hohen Hürden unterliegt. Aber auch in der Eins-zu-eins-Kommunikation ist natürlich nicht alles erlaubt: Mordaufrufe sind auch hier strafbar und entsprechend muss dagegen vorgegangen werden.

Und wie geht man am besten dagegen vor?

Der Grundsatz der Unionsfraktion ist: Verfolgen vor Löschen. Mit einer bloßen Löschung eines menschenverachtenden, gewaltverherrlichenden Posts ist die Sache nicht erledigt. Zunächst sollte geprüft werden, ob hier ein Sachverhalt vorliegt, der strafrechtlich verfolgt werden muss. Und wenn dem so ist, muss strafrechtlich verfolgt und gelöscht werden.

Müssen die Strafverfolgungsbehörden besser geschult werden, um gegen strafbare Inhalte bei Telegram und anderen Diensten besser vorgehen zu können – und zwar ohne Anwendung des NetzDGs?

Das ist ein Thema, das ich regelmäßig anbringe. Hier geht es um eine gute personelle und sachliche Ausstattung: also modernste Hard- und Software, die von rechtlich, fachlich und technisch besonders versierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Strafverfolgung eingesetzt wird.

Und Erfahrungsaustausch ist wichtig. In einigen Bundesländern gibt es Schwerpunkstaatsanwaltschaften zu dem Thema, zum Beispiel in meinem Bundesland Niedersachen. Das finde ich besonders gut, weil diese Staatsanwältinnen und -anwälte in besonderem Maße kompetent sind. Ähnliches gilt für die Polizei. Die Mitarbeiter werden dort sehr fachbezogen weiter qualifiziert und sie vernetzen sich auch über bestimmte Landesgrenzen gut untereinander. Vernetzung ist wichtig, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben.

Neben der Schulung der Menschen sollten wir aber auch an Unterstützung durch Künstliche Intelligenz denken. KI-Systeme können schnell und umfassend die betreffenden Plattformen durchsuchen und entsprechende Treffer zur Überprüfung an die menschlichen Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden übermitteln. Die wäre in diesem Bereich sinnvoll und möglich, aber da ist noch viel Luft nach oben.

Die Firma hinter Telegram sitzt in Dubai – und die Gründer des Messengers haben überhaupt keine Lust auf Kooperation mit Behörden jeder Art. Was tun?

Wenn sich eine Firma über längere Zeit der Kommunikation mit den staatlichen Stellen entzieht, muss man besonders kritisch hinterfragen, ob das Unternehmen sich überhaupt an die Regeln halten will.

Und dann gilt: Wer sich dauerhaft entzieht, der verwirkt damit auch seine eigenen Rechte. Eine Nicht-Mitwirkung kann im Extremfall umgekehrt zu einer Nicht-Mitwirkung auf unserer Seite führen. Mit einem Verweis auf die Verweigerungshaltung der Dienste könnte beispielsweise vor der Nutzung offiziell gewarnt werden.

Bis dahin gibt es aber viel Spielraum, um zueinander zu finden. Nur steht auch fest, dass man sich nicht ohne Folgen der Kommunikation mit rechtsstaatlichen Stellen entziehen kann.

Auch die AfD-Fraktion fordert in einem Antrag, dass Telegram nicht über das NetzDG reguliert werden solle. Gibt es weitere Punkte in dem Papier, mit denen Sie übereinstimmen?

Ich finde es wirklich bizarr, dass diejenigen, die Verhetzung und Desinformation als Fundament ihres Geschäftsmodells betrachten, diesen Antrag gestellt haben. Das vorab. Zusätzlich ist der Antrag aus meiner Sicht nicht konstruktiv gestellt.

Aber grundsätzlich ist es natürlich trotzdem Aufgabe des gesamten Parlaments und der Ausschüsse, sich mit den rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen rund um Social Media und Messenger-Dienste zu beschäftigen. Das ist ein kontinuierlicher Prozess, bei dem man die technischen Entwicklungen stets im Auge behalten muss.

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, funktioniert aber nur dann, wenn auch diejenigen zu Wort kommen, die eine nicht so laute Stimmen haben – und zwar ohne bedroht zu werden.

Es ist eine laufende Aufgabe, keine rechtsfreien Räume im Bereich der digitalen Kommunikation entstehen zu lassen. Rechtsfreie Räume führen sonst dazu, dass das Recht des Stärkeren gilt, das widerspricht unserer Verfassung.

Zur Person

Carsten Müller wurde 1970 in Braunschweig geboren. Nach der Schule machte er zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufmann und studierte später Rechtswissenschaften in Göttingen. Seit 2002 arbeitet er als selbstständiger Rechtsanwalt. Schon als Schüler wurde Müller Mitglied in der Jungen Union. Von 2005 bis 2009 war er Mitglied des Deutschen Bundestages, seit 2013 wieder. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.

(Mira Knauf)

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