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Bundeswehr-Einsatz Untersuchungsausschuss zu Afghanistan

Nach 20 Jahren Einsatz zog sich die Bundeswehr im August 2021 aus Afghanistan zurück. Der Rückzug verlief unerwartet dramatisch. Ein Untersuchungsausschuss soll nun klären, wie es dazu kam – das fordern vier Fraktionen.

Ein afghanischer Junge fährt auf einem Fahrrad, im Hintergrund ist ein Panzer zu erkennen.

Noch während des Truppenabzuges aus Afghanistan eroberte das Taliban-Regime die Macht zurück. Ein Untersuchungsausschuss soll die Umstände klären. © Ryanzo W. Perez/shutterstock

Die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, den Grünen und FDP wollen einen Untersuchungsausschuss einsetzen, der den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr – und besonders den Abzug der Truppen im August 2021 – bewerten soll. In einem Antrag schreiben die Fraktionen, was sie erwarten: Sie wollen sich ein Gesamtbild verschaffen zu den Erkenntnissen, dem Entscheidungsverhalten und dem Handeln der Bundesregierung.

Was ist ein Untersuchungsausschuss?

Mit einem Untersuchungsausschuss kann das Parlament die Regierung kontrollieren: Wenn der Verdacht aufkommt, dass sich Politikerinnen oder Politiker falsch verhalten haben, kann der Bundestag das spezielle Gremium einsetzen. Der Ausschuss hat das Recht, Zeugen und Sachverständige zu vernehmen und Gerichte und Verwaltungsbehörden ermitteln zu lassen. Das Ergebnis stellt er am Ende in einem Bericht vor. Mehr zum Thema könnt ihr in unserem Lexikon-Beitrag lesen.

Bundestags-ABC: Der Untersuchungsausschuss

Darum soll es gehen

Es soll unter anderem um die Frage gehen, inwieweit die Bundesregierung sich für den Schutz von betroffenen Personen vor Ort eingesetzt hat. Damit sind zum Beispiel Mitarbeiter der deutschen Botschaft oder von Nichtregierungsorganisationen gemeint, aber auch Journalisten und Afghanen, die sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzten und somit unter der Herrschaft der neuen Machhaber Taliban besonderen Risiken ausgeliefert sind.

Die islamistische Terrorgruppe hatte kurz vor der Rückholaktion die Macht erneut übernommen und die bisherige Regierung gestürzt. Fast 20 Jahre waren Soldaten der Bundeswehr bis zu diesem Zeitpunkt in Afghanistan im Einsatz gewesen: Es ging dabei um Terror-Bekämpfung und die Stabilisierung des Landes.

Wie kam es zum Afghanistan-Einsatz?

Der militärische Einsatz in Afghanistan ging von 2001 bis 2021. Hintergrund sind Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA. Im Oktober darauf marschierten die USA in Afghanistan ein. Es waren islamistische Terroristen, die Anschläge auf das World Trade Center in New York, auf das Pentagon in Washington D.C. und auf einen Linienjet verübten, bei denen etwa 3.000 Menschen starben.

Afghanistan galt damals als Basis für das terroristische Netzwerk Al-Qaida. Mit dem Militäreinsatz sollte der Terrorismus bekämpft werden, das Taliban-Regime gestürzt und das Land im Anschluss stabilisiert werden. Als Mitglied der Nato erhielten die USA Unterstützung von den Verbündeten – unter anderem von Deutschland. Wie genau der Afghanistan-Einsatz ablief, könnt ihr hier nachlesen.

38 Einzelpunkten sollen untersucht werden

Nun soll im Bundestag eine „gründliche Aufklärung der Umstände und des Ablaufs der militärischen Evakuierungsoperation stattfinden“, heißt es in dem Antrag. 38 einzelne Punkte sollen untersucht werden. Der Untersuchungsausschuss wäre der erste der 20. Wahlperiode.

Zusätzlich planen die Ampel-Fraktionen und die Union den Einsatz einer weiteren Kommission, die „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ ziehen soll. Darüber soll am 7. Juli beraten werden.

Am 23. Juni diskutierte der Bundestag in einer knapp 40-minütigen Debatte zum geplanten Untersuchungsausschuss. Anschließend wurde der Antrag an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsführung überwiesen.

SPD: „Afghanistan einmal mehr in existenzieller Krise“

Ralf Stegner von der SPD-Fraktion betonte zu Beginn der Debatte, dass die Lage in Afghanistan noch immer dramatisch sei: 95 Prozent der Bevölkerung könnten sich nicht ausreichend ernähren. Auch das Erdbeben, das am 24. Juni Afghanistan erschütterte, erwähnte Stegner und sagte, Afghanistan befinde sich nun einmal mehr in einer existenziellen Krise.

Im Rahmen des geplanten Untersuchungsausschusses sollen laut Stegner vor allem drei Linien verfolgt werden. Warum die Bundesregierung über den drohenden Machtgewinn der Taliban nicht im Bilde gewesen sei und wieso die afghanischen Streitkräfte innerhalb weniger Tage von den Taliban überrannt werden konnten, seien Fragen, die der Ausschuss klären solle. Außerdem müsse die Kommunikation zwischen Ministerien innerhalb der Bundesrepublik und mit ihren internationalen Partnern aufgearbeitet werden. Eine besondere Rolle solle hierbei die Kommunikation mit den USA und Ex-Präsident Trump spielen. Und zuletzt solle überprüft werden, welche Maßnahmen früher hätten ergriffen werden können. Denn es sei notwendig, bei einem künftigen Evakuierungseinsatz besser vorbereitet zu sein.

CDU: „Grundsätzlich ein guter, ein richtiger Einsatz“

Johann David Wadephul von der CDU/CSU-Fraktion betonte, dass die Union nicht nur den Antrag unterstütze, sondern dass dieser gemeinsam erarbeitet worden sei. Er erwähnte, dass obwohl Opfer zu beklagen seien, in Afghanistan auch viel erreicht worden und es „grundsätzlich ein guter, ein richtiger Einsatz“ gewesen sei. Dabei sei es nicht nur um Terrorismusbekämpfung gegangen, sondern man habe auch für soziale Verhältnisse gesorgt, die ein menschenwürdiges Leben ermöglicht hätten.

Die Bilder des Abzuges könne man jedoch nicht vergessen, so Wadephul, und es müsse geklärt werden, wie es zu dieser dramatischen Situation kommen konnte. Als Parlament, das immer wieder Menschen nach Afghanistan geschickt habe, habe man nun die Verpflichtung, die Geschehnisse aufzuarbeiten.

Grüne: „Geht auch darum, Verantwortung zu benennen“

Der Untersuchungsauftrag des Ausschusses beginne bereits mit den Abzugsplänen von Donald Trump, sagte Agnieszka Brugger von der Grünen-Fraktion. Man müsse sich aber auch mit der Frage beschäftigen, warum die Bundesregierung trotz zahlreicher Warnungen in den Monaten vor der Evakuierung nicht oder nur „unpragmatisch“ gehandelt habe.

Der Untersuchungsausschuss sei für die Grünen ein Herzensanliegen, zudem sei es wichtig, dass im Rahmen einer Enquete-Kommission auch auf die ganzen 20 Jahre des Einsatzes selbstkritisch geschaut werde, so Brugger. Es ginge nicht darum, jemanden vorzuführen, aber es sei wichtig, Verantwortung zu benennen, das sei man den Menschen, die man 20 Jahre in diese Einsätze geschickt habe, schuldig. Abschließend würdigte Brugger alle, die dafür gesorgt haben, dass Menschen gerettet werden konnten.

FDP: „Wichtige Fragen wurden nicht gestellt“

„War dieser Einsatz umsonst?“ – Alexander Müller von der FPD-Fraktion sagte, dies sei eine Frage, die sich viele Menschen stellten. Sie ließe sich aber nicht pauschal beantworten. Er betonte, dass man Generationen von Afghaninnen und Afghanen ermöglicht habe, Bildung, Demokratie und Freiheit zu erleben. Man habe außerdem terroristischen Strukturen der Al-Qaida zerstört und die Terrorgefahr für Europa verringert.

Der schnelle Abzug, insbesondere der US-amerikanischen Partner, habe die damalige Bundesregierung überrascht, so Müller. Und der Vormarsch der Taliban sei von den zuständigen Ämtern und Nachrichtendiensten „krass falsch“ eingeschätzt worden. Müller kritisierte, dass wichtige Fragen beim Afghanistan-Einsatz nicht gestellt worden seien, zum Beispiel, was man erreichen wolle und bis wann. So sei die Situation 2021 im Chaos in Kabul gegipfelt. Kabul ist die Hauptstadt Afghanistans.

AfD: „Gesamtaufklärung ist dringend nötig“

Stefan Keuter von der AfD-Fraktion erwähnte, dass die AfD vor einigen Wochen ebenfalls einen Antrag auf einen Untersuchungsausschuss eingebracht habe, der aber abgelehnt worden sei. Dieser habe das politische, militärische und zivile Engagement in Afghanistan über den gesamten Zeitraum des Einsatzes aufarbeiten sollen. Keuter kritisierte, dass der vorliegende Antrag sich nur mit der Evakuierung befasse und „nicht mit den Entscheidungen, die zur Katastrophe in Afghanistan geführt“ hätten. Er bezeichnete den Einsatz in Afghanistan als Desaster und sagte, eine Gesamtaufklärung sei notwendig. Eine Enquete-Kommission sei dafür nicht ausreichend, denn der ausschlaggebende Zeitpunkt für das Desaster sei 2001 gewesen, „als die rot-grüne Bundesregierung den Amerikanern in den Krieg folgte“.

Linke: „Kriegsverbrechen nicht einfach ausblenden“

Sevim Dağdelen von der Linksfraktion kritisierten, dass die Fraktionen der SPD, Grünen, FDP und Union zwar einen Untersuchungsausschuss wollten, wohl aber keine umfassende Aufarbeitung ihrer Beteiligung am Krieg in Afghanistan. Man dürfe die Untersuchung nicht auf den Abzug beschränken. Denn ein Untersuchungsausschuss habe andere Instrumente als eine Enquete-Kommission. Der Abzug sei nicht der Grundfehler gewesen, so Dağdelen, sondern die 20 Jahre Krieg in Afghanistan. Die Linke sei von Anfang an gegen diesen Krieg gewesen, man fordere deshalb einen Untersuchungsauftrag, der die gesamte Zeit des Afghanistan-Kriegs umfasse und „die begangenen Kriegsverbrechen“ nicht einfach ausblende.

Die komplette Bundestagsdebatte seht ihr hier im Video, das Protokoll findet ihr wie immer auf bundestag.de.

(Mira Knauf)

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