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Wehrbeauftragte Eva Högl „Truppe wartet auf Verbesserung“

Krieg in der Ukraine und fehlendes Personal: Die Stimmung in der Truppe ist angespannt, berichtet die Wehrbeauftragte Eva Högl. Warum sie jungen Leuten trotzdem empfiehlt, eine Ausbildung bei der Bundeswehr zu machen, lest ihr hier.

Die Wehrbeauftragte Eva Högl übergibt den Wehrbericht 2022 an die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas

Zu den Aufgaben der Wehrbauftragten gehört es, den Wehrbericht an den Bundestag zu übergeben: hier an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (rechts). © DBT/Thomas Imo/photothek

Nachdem Russland die Ukraine vor mehr als einem Jahr angegriffen hat, wurde das 100-Milliarden-Euro-Sondververmögen für die Bundeswehr beschlossen. Im Wehrbericht 2022 heißt es, dass von dem Geld noch nichts bei der Truppe angekommen sei. Wie kommt das?

Das Material, das mithilfe des Sondervermögens beschafft werden soll, muss erst bestellt werden. Teilweise muss es auch erst produziert werden. Und das dauert seine Zeit. Zusätzlich dauern die bundeswehrinternen Verfahren und Prozesse sehr lange. Deshalb habe ich diesen Punkt im Jahresbericht kritisch hervorgehoben und Beschleunigung angemahnt.

Die Truppe erwartet, dass das Geld aus dem Sondervermögen zügig bei ihr ankommt. Es gibt viele Defizite bei der Bundeswehr, die mit dem Sondervermögen beseitigt werden sollen. Ich hoffe sehr, dass im Jahr 2023 viel von dem Geld aus dem Sondervermögen ausgegeben und das entsprechende Material beschafft wird, sodass die Truppe eine Verbesserung spürt.

Werden die 100 Milliarden Euro denn ausreichen?

100 Milliarden Euro sind zunächst einmal viel Geld. Und es ist sehr wichtig, dass dieses Sondervermögen der Bundeswehr zur Verfügung steht. Außerdem gibt es noch den Bundeshaushalt, der einen Verteidigungsetat von 50 Milliarden Euro vorsieht.

Aber wir müssen uns anschauen, was die Bundeswehr alles braucht und dabei die aktuelle Situation berücksichtigen: Preissteigerung, gestiegene Rohstoffpreise und Personalkosten. Außerdem muss eine erhebliche Summe in die Infrastruktur der Bundeswehr investiert werden. Dann zeigt sich sehr schnell, dass die Bundeswehr vermutlich mehr Geld benötigen wird als die 100 Milliarden Euro Sondervermögen. Wie viel werden die Diskussionen der nächsten Monate zeigen.

In einem Interview mit dem Parlamentsfernsehen haben Sie erzählt, dass Sie bis zum russischen Angriffskrieg das Gefühl hatten, die Bundeswehr habe bei vielen Leuten nicht ganz oben auf die Prioritäten-Liste gestanden. Denken Sie, das hat sich geändert?

Das hat sich geändert und der Grund dafür ist traurig. Angesichts des entsetzlichen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ist Verteidigung das Top-Thema in den politischen Diskussionen. Viele Menschen, die sich für dieses Thema vorher nicht sehr interessiert haben oder vielleicht auch nicht wahrhaben wollten, dass Verteidigung so ein relevantes Thema werden könnte, wissen jetzt, wofür wir die Bundeswehr brauchen. Das spüren auch unsere Soldatinnen und Soldaten, die sehr positive Rückmeldungen aus der Gesellschaft bekommen. Die Umfragen zeigen, dass es viel Zustimmung für die Bundeswehr gibt – und auch für die Unterstützung der Ukraine.

Als Wehrbeauftragte stehen Sie regelmäßig mit der Truppe in Kontakt. Wie ist die Stimmung derzeit?

Die Stimmung ist angespannt. Die Truppe ist sehr gefordert. Der Krieg in der Ukraine hat für unsere Soldatinnen und Soldaten alles verändert. Es geht einerseits um Unterstützung: Die geschieht, indem die Bundeswehr bei der Ausbildung ukrainischer Soldatinnen und Soldaten unterstützt, aber auch indem Material, Waffen, Panzer, Munition und Sanitätsmaterial geliefert werden. Das fordert die Truppe sehr.

Gleichzeitig musste die Nato-Ostflanke, die östliche Grenze des Bündnisses in den Ländern Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien, sehr zügig verstärkt werden. Hier haben wir beispielsweise die Mission Air Policing im Baltikum, die den Luftraum sichert und an der die Bundeswehr beteiligt ist. Die Marine ist in der Ostsee präsent und wir haben die Flugabwehr in Polen und der Slowakei stationiert.

All das wäre ohnehin ein enormer Kraftakt. Gleichzeitig gibt es innerhalb der Bundeswehr vieles zu verbessern. Das betrifft Material, Personal und Infrastruktur. Die Truppe wartet darauf, dass sich die Zustände verbessern. Deshalb ist die Stimmung nachvollziehbarerweise angespannt. Ich möchte aber betonen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten hochprofessionell, loyal und engagiert sind und die Männer und Frauen alles geben, um vollständig einsatzbereit zu sein.

Viele Menschen sorgen sich, dass die Bundeswehr nicht einsatzbereit sei. Wie schätzen Sie die Situation derzeit ein?

Die Bundeswehr ist gegenwärtig noch nicht vollständig einsatzbereit, weil es ihr an vielen Dingen mangelt, die sie für eine vollständige Einsatzbereitschaft braucht. Da geht es, wie erwähnt, insbesondere um Material, aber auch um Personal, Infrastruktur, Digitalisierung und moderne Kasernen. Und in diesen Bereichen muss sich schnell vieles verbessern. Deshalb sollen auch einige Prozesse wie Beschaffungsverfahren, unbedingt vereinfacht werden.

Aber wir können uns trotzdem auf unsere Bundeswehr verlassen. Zudem gilt die Bündnisverteidigung – und die kann die Bundeswehr gemeinsam mit unseren Partnern leisten.

Es wird viel über marode Kasernen und schlechte Ausstattung der Soldaten gesprochen. Aber es gibt auch zu wenig Personal. Wo fehlen denn die meisten Leute?

Personal ist aktuell eine fast noch größere Herausforderung als Material. Wir haben vor allem ein Problem in den spezialisierten Bereichen wie IT, es fehlt Personal für die Digitalisierung. Aber auch beim Sanitätsdienst ist die Personallage sehr angespannt.

Ich hoffe, dass hier erhebliche Anstrengungen unternommen werden, geeignetes Personal für die Bundeswehr zu gewinnen.

Im Interview mit mitmischen haben Sie im vergangenen Jahr den Jugendlichen empfohlen, eine Ausbildung bei der Bundeswehr zu machen. Würden Sie das Jugendlichen immer noch raten?

Selbstverständlich. Es ist eine ganz besondere Aufgabe, unseren Frieden, unsere Freiheit, unsere Sicherheit und unsere Demokratie zu vertreten und zu verteidigen. Deswegen kann ich allen Jugendlichen raten, zur Bundeswehr zu gehen.

Die Bundeswehr ist außerdem ein guter Arbeitgeber und es gibt viele Möglichkeiten, eine Ausbildung oder ein Studium bei der Bundeswehr zu machen. Die Einsatzmöglichkeiten innerhalb der Bundeswehr sind vielfältig. Auch wenn die Rahmenbedingungen nicht immer und überall optimal sind, kann ich doch sagen: Es lohnt sich, sich für die Bundeswehr zu interessieren und vielleicht eine Zeitlang bei der Bundeswehr Dienst zu leisten.

Zur Person

Eva Högl

Eva Högl wurde 1969 in Osnabrück geboren. Sie studierte Rechtswissenschaften und promovierte zum Europäischen Arbeits- und Sozialrecht. Seit dem 25. Mai 2020 ist sie Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Seit 2009 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages, von 2013 bis 2020 war sie stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion.

Mehr erfahrt ihr auf ihrem Profil auf bundestag.de.

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