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Jürgen Coße (SPD): Arbeitsvermittler

Das Wichtigste ist Zuhören

Für Jürgen Coße (SPD) dreht sich sowohl sein vorheriger Beruf als Jobvermittler als auch sein aktuelles Bundestagsmandat um den gleichen Faktor: die Menschen. Inwieweit sich der Arbeitsalltag unterscheidet und welche Lehren ihm der Fußball für den Bundestag mitgegeben hat, verrät er im Interview.

Ein mittelalter Mann mit blau-roter Kappe und dunkler schmaler Brille schaut in die Kamera.

Jürgen Coße (SPD) war von 2016 bis 2017 und ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. © Büro Coße

Wie sah Ihr Weg von Ihrem Beruf als Arbeitsvermittler in den Deutschen Bundestag aus?

2016 bin ich für den Abgeordneten Peer Steinbrück nachgerückt und war somit in der 18. Legislaturperiode für 13 Monate Bundestagsabgeordneter. In der darauffolgenden Wahl, die 2017 stattfand, konnte ich mein Mandat leider nicht verteidigen, nach der Bundestagswahl 2021 zog ich aber wieder in den Bundestag ein. Ich habe also in dieser Zwischenzeit wieder für vier Jahre in meinem ursprünglichen Beruf als Arbeitsvermittler in einem Jobcenter gearbeitet, also Menschen dabei geholfen, aus der Arbeitslosigkeit heraus einen Job zu finden.

Wie wirkt sich Ihr beruflicher Werdegang auf Ihre Arbeit als Bundestagsabgeordneter aus?

Im Kosmos Bundestag stellt meine Schul- und Berufsausbildung eine Seltenheit dar, denn ich habe weder ein Abitur noch ein akademisches Studium abgeschlossen. In einem Plenarsaal voller Akademikerinnen und Akademiker habe ich einen mittleren Schulabschluss und bin ausgebildeter Bürokaufmann. Durch Weiterbildungen habe ich zuletzt in einem Jobcenter gearbeitet und mich um die Eingliederung schwer vermittelbarer Menschen in den Arbeitsmarkt gekümmert. Das heißt also, dass ich mich über Fort- und Weiterbildung qualifiziert habe und zum Schluss eine Stelle besetzt habe, für die sonst ein akademischer Abschluss notwendig gewesen wäre. Ich habe mir dies hart erarbeitet und viel darin investiert, Dinge zu verstehen, die mir aufgrund meines Abschlusses vielleicht nicht zugetraut worden wären.

Aufgrund dessen ist mir die Sprache, mit der ich spreche, enorm wichtig. Mein Handeln und meine Entscheidungen als politischer Vertreter müssen verständlich sein für alle Teile der Gesellschaft, gerade weil ein Parlament ja ein Spiegelbild der Gesellschaft sein sollte, die es vertritt! Das Motto, das dies für mich am besten widerspiegelt, lautet: Ohne Breite keine Spitze! Wir brauchen also viele unterschiedliche Lebensbiografien, Kenntnisse, Fähigkeiten, die eine Person durch ihr Berufsleben erlangt, die wir hier im Parlament dann nutzbar machen können. 

Welche Fähigkeiten aus Ihrem vorherigen Beruf helfen Ihnen bei Ihrem Mandat?

Die Fähigkeit zuzuhören ist natürlich ganz wichtig in der Politik. Wer zuhört, der kann aufnehmen, der kann auch lernen und er kann etwas mitnehmen, auf Menschen zugehen und versuchen, die Welt ein Stück weit besser zu machen. Die Fähigkeit zuzuhören hat auf jeden Fall auch von meiner Tätigkeit als Arbeitsvermittler profitiert. 

Und ich glaube, dass mir vor allem mein Sport, der Fußball, heute immer noch hilft. Als Mannschaftssport hat mich Fußball enorm viel über Moral, Verpflichtung und Verantwortung gelehrt – ein Team kann nur funktionieren, wenn es ein Miteinander gibt und man sich Rückschlägen gemeinsam stellt. Und aus jeder Niederlage kann man lernen und im Kollektiv stärker werden. Und das hilft auch in der Politik, denn natürlich ist es frustrierend, wenn man Wahlen verliert, aber auch dann müssen wir weitermachen.

Was war die größte Umstellung von dem einen auf den anderen Beruf?

Etwas ganz Neues war für mich auf jeden Fall die Position als Vorgesetzter. Ich habe als Abgeordneter jetzt insgesamt acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mir unterstützend zur Seite stehen. Auch das Chef-Sein musste ich lernen, gerade weil ich viel Wert auf gute Führung und eine gute Atmosphäre im Team lege. Mein Büro soll ein angstfreier Raum sein, in dem wir alle Argumente austauschen können. Aber klar, ich trage am Ende des Tages die Verantwortung und da muss ich mir in meinem Team und der Zuarbeit absolut sicher sein können. 

Wie hat Ihr Umfeld auf den Einzug in den Deutschen Bundestag reagiert?

Als ich erfahren habe, dass ich in den Deutschen Bundestag nachrücken werde, habe ich meiner damaligen Vorgesetzten eine SMS geschrieben und Unterstützung erhalten. Für eine gewisse Zeit musste ich die Neuigkeit meines Nachrückens geheim halten: Im Sommer 2016 erhielt ich einen Anruf von Peer Steinbrück, dem ehemaligen Bundesfinanzminister und Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. Er informierte mich darüber, dass er aus seinem Mandat ausscheiden würde und da ich auf der SPD-Reserveliste auf der ersten Stelle stand, würde ich sein Mandat zum 1. Oktober übernehmen. Bis zur offiziellen Bekanntmachung, knapp zwei Wochen später, musste ich aber noch den Mund halten. Der ersten Person aus meinem privaten Umfeld, der ich von meinem Einzug erzählt habe, war mein 97-jähriger Opa, der selbst auch in der SPD war, und wir haben uns dann lange unterhalten über die Verantwortung, die mit diesem Mandat einhergeht, und die Ansprüche, die ich an meine eigene Arbeit als Abgeordneter stelle. 

Gibt es Parallelen zwischen Ihrem Beruf als Arbeitsvermittler und Ihrer Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter?

Die größte Parallele ist, dass weiterhin Menschen meinen Arbeitsalltag ausmachen. Als Fallmanager von schwer vermittelbaren Arbeitssuchenden habe ich den Umgang mit den unterschiedlichsten Menschen gelernt. Dies hilft mir heute in der internationalen Diplomatie, im Austausch mit Staatspräsidenten, Außenministern oder auch im politischen Alltag mit Kollegen anderer Parteien. In der Arbeitsvermittlung ist die Art und Weise, wie man etwas sagt, entscheidend. Gerade im Umgang mit Menschen in schwierigen Lebenslagen. Diese Erfahrung ist ein gutes Rüstzeug für eine diplomatische Sprache.

Zur Person

Jürgen Coße

…zog 2016 zum ersten Mal für die SPD in den Deutschen Bundestag ein, dann 2021 und 2025 wieder. In der 21. Legislaturperiode ist er Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sowie im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen.

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